Kein Mitlaufen bei den Rentendemos, keine Führungsrolle in der Parlamentsdebatte, und doch Pluspunkte in den Umfragen: Marine Le Pen und ihr rechtsnationales Rassemblement National (RN) profitieren von dem seit Monaten andauernden Streit um die Rentenreform in Frankreich und der grassierenden Unzufriedenheit im Land, der am Donnerstag mit neuen Streiks und Protesten abermals Ausdruck verliehen wird. Wie haben sie das geschafft, und was heißt das für die nächsten Wahlen?
Rentenreform führte zu Protestwelle gegen Macron
Kleine Rückschau: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Mitte-Regierung wollen mit der Rentenreform ein drohendes Loch in der Rentenkasse verhindern. Dazu wollen sie das Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben. Die Einzahldauer für eine volle Rente soll schneller steigen. Mittlerweile ist die Reform, gegen die seit Monaten protestiert wird, beschlossen. Am Freitag entscheidet der Verfassungsrat über ihre Verfassungsmäßigkeit.
Macron hat die Rentenreform reichlich Groll eingebracht. Laut einer Auswertung verschiedener Umfragen durch die Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“ befindet er sich am Tiefpunkt seiner Beliebtheit, seit er vor knapp einem Jahr als Präsident wiedergewählt wurde. Sein Lager verliert wichtige Wählergruppen und hält sich nur bei Beamten und Rentnern stabil, wie Politikwissenschaftler Antoine Bristielle von der Fondation Jean-Jaurès beobachtet.
Marine Le Pen legt in Umfragen deutlich zu
Das rechtsnationale RN hingegen liegt in einer Umfrage des renommierten Ifop-Instituts mittlerweile sieben Prozentpunkte über seinem Ergebnis bei der Parlamentswahl im Juni. Le Pen ginge mehreren Umfragen zufolge derzeit zumindest in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl als Siegerin hervor. Bristielle sieht ihre Partei als „große Gewinnerin“. Sie baue ihre Unterstützung aus – „so sehr, dass sie mehr und mehr einer Regierungspartei ähneln“.
Dass die Regierung und Macron sich mit der Reform, ihrer teils unglücklichen und teils stur wirkenden Kommunikation und ihrem als aggressiv wahrgenommenen Verhalten im Parlament unbeliebt gemacht haben, steht außer Frage.
Doch die linke Tageszeitung „Libération“ ist überzeugt: „Emmanuel Macron ist nicht der einzige Verantwortliche für die gute Gesundheit des RN. Die Linke trägt eindeutig Schuld.“ Denn sie habe die Gunst der Arbeiterklasse verloren. Und obwohl die Linke in der Rentendebatte omnipräsent war und aktiv an den Protesten teilnahm, kann sie nicht wirklich punkten. Zu aggressiv, zu viel Blockadehaltung, moniert die Bevölkerung Bristielle zufolge.
RN setzt auf Zurückhaltung im Rentenstreit
Fraktionschefin Le Pen hat ihren Rechtsnationalen einen anderen Kurs diktiert. Die Devise lautet, möglichst seriös und staatstragend zu wirken und aggressive Angriffe zu vermeiden. Es ist die Fortführung ihres Kurses der „Entteufelung“ der Partei, der sie in den vergangenen Jahren bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar gemacht hat.
Konkret bedeutet das, dass die Abgeordneten eher durch Zurückhaltung geglänzt haben. „Libération“ taufte sie daher kürzlich „Könige der Stille“. Doch Le Pen geht das zu weit. Dass man im Rentenstreit nicht viel getan habe, sei eine Lüge, sagte sie im Sender BFMTV. „Ich erlaube Ihnen nicht, das zu sagen!“
Fest steht aber, dass Le Pen und ihre Partei Nutznießer des Duells zwischen Regierung und Linken waren. „Libération“ zufolge wurden durch den Fokus auf die beiden Kontrahenten sogar einige Patzer der Rechtsnationalen im Parlament übersehen. Und weil sie sich nicht aktiv bei den Protesten engagieren, können die Rechtsnationalen sich leicht von gewaltsamen Ausschreitungen dort distanzieren.
„Wir werden keine Autos (...) zerstören, sondern den Franzosen sagen, dass sie bewirken können, dass diese Reform zu einer schlechten Erinnerung wird, indem sie für den RN stimmen“, sagte Le Pen.
Aber wird es so weit wirklich kommen? Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich stehen erst 2027 an. Im kommenden Jahr ist Europawahl, aber kann die frankreichinterne Rentendebatte sie prägen? Für Bristielle ist die Antwort eindeutig.
„Sobald eine größere Krise das Land erschüttert und sich zu diesem Zeitpunkt Wahldynamiken beobachten lassen, halten diese an oder verstärken sich gar und zeigen sich bei den kommenden Wahlen an der Urne.“ So hätte sich etwa die Gelbwesten-Krise auf die Europawahl 2019 ausgewirkt. „Wenn Volatilität bei Wahlen auch immer mehr zur Realität in unserem Land wird, sind es doch diese Phasen der großen Politisierung, die die Wahldynamiken für die kommenden Jahre in Gang setzen.“ (DWN/dpa)