Finanzen

Digitaler Euro: Eine „Kriegserklärung“ an das Bankensystem?

Lesezeit: 5 min
24.04.2023 15:29  Aktualisiert: 24.04.2023 15:29
Die geplante Einführung digitaler Zentralbankwährungen könnte für kleinere Finanzinstitute verheerende Folgen haben, zeigt eine Studie der Genossenschaftsbanken. Ist der Untergang kleiner Banken vielleicht sogar gewollt?
Digitaler Euro: Eine „Kriegserklärung“ an das Bankensystem?
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) spricht auf einer Pressekonferenz zur aktuellen Ratssitzung der Bank. (Foto: dpa)

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Die geplante Einführung einer digitalen Zentralbankwährung sorgt für Nervosität innerhalb der deutschen Bankenlandschaft. Denn: Sollten zu viele Kunden nur noch den digitalen Euro nutzen wollen und das ganze wäre technisch machbar, könnten unzählige kleine Banken in kurzer Zeit illiquide werden.

Das geht aus einer Untersuchung hervor, die der Bundesverband deutscher Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) unter 714 Bankgesellschaften durchgeführt hat und über die zuerst das Handelsblatt berichtete. Sollte jeder Kunde ein paar Tausend Euro in digitales Zentralbankgeld umtauschen wollen, würden demnach nur 56 der genossenschaftlichen Institute noch die gesetzlich vorgeschriebenen Liquiditätspuffer vorhalten können.

Studie: Digitaler Bankrun hätte „verheerende Folgen“ für kleine Banken und Wirtschaft

Die Folgeeffekte des Stressszenarios beschreibt der Verband als schlichtweg „verheerend“. Im Szenario des BVR wollen alle Kunden 3.000 Euro ihrer Einlagen digitales Zentralbankgeld umwandeln. Solange Kundengelder auf dem Bankkonto liegen, gelten sie als Liquidität für die Bank. Denn aus rechtlicher Sicht sind Bankguthaben Kredite der Kunden an die Bank. Werden die Guthaben aber in digitale Euro umgewandelt, werden sie zu einer Forderung des Kunden gegenüber der Europäischen Zentralbank und die Bank kann sie nicht mehr als liquide Mittel bilanzieren.

Bei den allermeisten betroffenen Banken reichte im Stresstest der Liquiditätspuffer nicht aus, um den Mittelabfluss zu verkraften. Infolgedessen müssten sie sich anderweitig Geld zu schlechteren Konditionen besorgen, etwa indem sie mehr Kundeneinlagen durch höhere Zinsen gewinnen.

Wahrscheinlicher ist, dass betroffene Genossenschaftsbanken die Kreditvergabe rasch soweit einschränken, dass sie wieder die regulatorischen Kapitalquoten erfüllen können. Das hätte eine Kreditklemme und höhere Zinsen zur Folge, wodurch vor allem kleinere Firmen schwer getroffen würden. Ganz besonders in Deutschland, wo die Kreditvergabe von lokalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken ein wichtiges Rückgrat der Finanzierung von KMUs sind. Der hiesige Anleihemarkt ist unterentwickelt und für kleine Firmen kaum eine Option.

Die Kalkulationen des Bankenverbands stellen die erste konkrete Abschätzung zu möglichen Konsequenzen eines digitalen Euros für das genossenschaftliche Bankensystem dar. Die Studie zog jedoch auch Kritik auf sich. Manche Finanzexperten halten das Szenario für übertrieben. Der Verband selbst räumte ein, dass es sich beim digitalen Bankrun um ein „Extremszenario“ handelt. Unter anderem wurde in der Szenarioanalyse unterstellt, dass alle aktiven Privatkunden überhaupt ein Bankguthaben von mindestens 3.000 Euro haben. In der Realität ist das nicht der Fall, weshalb die Abflüsse zu hoch geschätzt sein dürften. Zudem ist fraglich, warum alle Kunden auf einen Schlag dreistellige Summen in Zentralbankgeld umtauschen sollten.

So gut wie niemand braucht digitales Zentralbankgeld

Warum sollte das Interesse am staatlichen Kryptogeld so groß sein? Das Vertrauen in die klassischen Banken mag angeschlagen sein, aber das Vertrauen in die Zentralbanken war schon seit langem angeknackst und ist durch die hohe Inflation der letzten zwei Jahre nur noch mehr erodiert worden. Seitdem die ersten Ideen der CBDCs („Central Bank Digital Currencies“) aufkamen, hat es aus der Mitte der Gesellschaft eigentlich nur Kritik gehagelt. Wobei es dabei weniger um die Gesundheit der Bankenlandschaft als vielmehr um die dystopischen Kontrollmöglichkeiten einer solchen Zentralbankwährung geht.

Klare Befürworter gibt es fast nur in staatlichen Institutionen und vonseiten profitierender Konzerne wie Google oder Amazon, die beim Aufbau der Bezahl-Infrastruktur helfen sollen und als Gegenleistung in Zukunft bestimmt reichlich Daten abgreifen dürfen.

Geldwäschebekämpfung oder eine Verringerung des ökologischen Fußabdrucks ist meistens nur ein vorgeschobener Grund für mehr Kontrolle der gesetzestreuen Bürger, genauso dürfte es auch mit der staatlichen Digitalwährung sein. Vermeintliche Effizienzgewinne gibt es auch nicht. In Zeiten von weltweit akzeptieren Kredit- und Debitkarten, Direktüberweisungen sowie unzähligen Zahlungs-Apps (von Paypal und GooglePay bis zu Angeboten kleiner Fintechs) braucht wirklich niemand ein direktes Verrechnungskonto bei der Zentralbank, um Zahlungen zu beschleunigen.

Digitale Kontrolle ist der eigentliche Grund für die Einführung von CBDCs

Sind die Gründe für die Einführung von CBDCs als tatsächlich in erster Linie dystopischer Natur? Geht es nur um die totale Überwachung aller Zahlungsvorgänge? Jüngste Enthüllungen deuten stark darauf hin. EZB-Chefin Christine Lagarde ist vor kurzem einem russischen Anrufer auf den Leim gegangen, der sich als Ukraine-Präsident Zelensky ausgab. In dem Gespräch hatte sie zum digitalen Euro folgendes gesagt. „Der digitale Euro ist auf einem guten Weg. Unser Ziel ist es, alle Transaktionen zurückzuverfolgen. [...] Es wird eine Kontrolle geben.“ Im selben Gespräch hatte Lagarde eine künftige Bargeld-Obergrenze von 1.000 Euro ins Spiel gebracht.

Auch in offiziellen Statements hat die EZB-Chefin eingeräumt, dass die Zentralbanken ihre Kontrolle über das Geldsystem verlieren werden, wenn sie nicht zur eigenen Digitalwährung übergehen würden. Wenn man die Bürger aufgrund geringer Akzeptanz zum Eröffnen einer EZB-Wallet zwingen müsste, so könnte man dies beispielsweise über Steuern und Sozialleistungen regeln. „Der digitale Euro könnte auch für Zahlungen zwischen dem Staat und Einzelpersonen genutzt werden, zum Beispiel für die Auszahlung von Sozialleistungen oder die Entrichtung von Steuern“ heißt es aus dem Direktorium der Notenbank.

Das digitale Zentralbankgeld ist längst keine Verschwörungstheorie mehr. Rund um den Globus haben bereits elf Länder Digitalversionen ihrer Währungen eingeführt – darunter China, Singapur, Venezuela und Tunesien (teilweise noch im Status von Pilotprojekten) – und über 100 Staaten arbeiten daran. Das führende internationale Zahlungssystem SWIFT berichtete jüngst von einem erfolgreichen Test von CBDCs für grenzüberschreitende Zahlungen. Am großen Feldversuch hatten unter anderem die Großbanken HSBC und UBS sowie die Bundesbank teilgenommen.

Die EZB hatte im Herbst 2021 eine zweijährige Untersuchungsphase eingeleitet, um die Kerneigenschaften eines Digital-Euros zu bestimmen und gemeinsam mit den nationalen Notenbanken zu testen, wie sich das digitale Zentralbankgeld in der Praxis bewähren würde. In einer Pressemitteilung vom 16. September 2022 teilte die EZB mit, dass sie für diesen Zweck mit fünf „externen Unternehmen“ zusammenarbeitet, unter anderem Amazon und Wordline.

Diesen Oktober soll nun die Entscheidung fallen, wie der digitale Euro gestaltet werden soll. Bis zur Einführung würden wohl noch einmal rund drei Jahre vergehen. Erwartet wird, dass die EU-Kommission in Kürze einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegt

Geplante Zentralisierung des Bankensystems?

Derweil ist den Zentralbankern die Gefahr von CBDCs für den Bankensektor durchaus bewusst. Abhilfe schaffen sollen Obergrenzen, wie viel Geld die Menschen in Digitalwährung halten dürfen. Abschreckend (und förderlich für den Konsum) wären auch ein Ablaufdatum und/oder Negativzinsen auf das Digitalguthaben, worüber regelmäßig spekuliert wird.

„Wir werden dafür sorgen, dass ein digitaler Euro keine Risiken für die Finanzstabilität mit sich bringt. Bei seiner Ausgestaltung wird es möglich sein, eine Obergrenze für den Besitz digitaler Euro festzulegen, auch wenn noch keine Entscheidung über die genaue Höhe getroffen wurde“, so EZB-Direktor Fabio Panetta in einem Interview mit dem Handelsblatt. „Wir wollen, dass der digitale Euro ein Zahlungsmittel ist und nicht eine Form der Geldanlage.“

Panetta hatte in der Vergangenheit mehrfach von einer möglichen Obergrenze von 3.000 Euro gesprochen, um einer Destabilisierung des Bankensystems vorzubeugen. Die Genossenschaftsbanken sind für deutlich niedrigere Höchstbeträge. „Wir sprechen uns für einen digitalen Euro aus, der als eine Art digitale Geldbörse genutzt werden kann. Dafür sind 500 Euro genug“, meint BVR-Chefvolkswirt Andreas Bley.

Unabhängige Ökonomen wagen indes deutlich steilere Thesen. Der renommierte Professor Richard Werner (Universität Winchester) glaubt, dass CBDCs letztlich nur den Notenbanken dabei helfen soll, den Bankensektor zu zentralisieren. Er beruft sich dabei auf die Theorie der Bürokratie, wonach staatliche Institutionen wie die EZB danach streben, ihre Macht immer weiter auszudehnen.

In einem Artikel für das Magazin Fortune sagte Professor Werner eine Verdrängung klassischer Banken durch digitales Zentralbankgeld voraus. „Wie der Name schon sagt, würde eine digitale Zentralbankwährung (CBDC) - wenn sie sich durchsetzt - die Kontrolle über unsere Geldmenge unwiderruflich von dem dezentralen System, das wir haben und das auf Privatkundenbanken basiert, auf die Zentralbanken verlagern.“

„Der Extremfall ist die Sowjetunion. In den entscheidenden Phasen war das ein sehr zentralisiertes Geldsystem mit nur einer einzigen Bank, der Zentralbank, und das war kein gutes System. Aber das ist es, was die zentralen Planer wie die EZB wollen.“, warnt Werner gegenüber Cointelegraph.

„Die EZB sagt, dass es in Europa zu viele Banken gibt. Warum ist das so? Und wer sind sie, dass sie das sagen? Nun, sie hätten es am liebsten, wenn sie die einzige Bank wären. Sie wollen keinen Wettbewerb. Sie wollen wieder die zentrale Bank sein, die einzige Zentralbank. Hier kommt also die Ausgabe von CBDCs ins Spiel, denn in den CBDCs sehen die zentralen Planer eine Kriegserklärung an das Bankensystem.“


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