Begleitet von einer aufgeregten Debatte über den Umgang mit der AfD bereitet sich die Partei von Tino Chrupalla und Alice Weidel auf ihren Bundesparteitag in Magdeburg vor. Am Freitag sollen Satzungsfragen erörtert und neue Mitglieder für das oberste Schiedsgericht der Partei gewählt werden. Was bei anderen Parteien meist eher langweilige Routine ist, kann bei der AfD durchaus für Wallungen sorgen. Schließlich sind Fälle, wo sich Mitglieder mit Ordnungsmaßnahmen bis hin zum Ausschluss konfrontiert sehen, bei der AfD keine Seltenheit.
Wie hoch ist die CDU-Brandmauer?
Dass politische Gegner in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt protestieren wollen, gehört bei AfD-Parteitagen schon fast genauso dazu wie die wurstlastige Auswahl von Speisen, die vor dem Saal zum Kauf angeboten wird. Ungewöhnlich ist, dass diesmal im Vorfeld weniger über die Positionen und möglichen Kandidaten der AfD gesprochen wird als über die Frage, wie fest die sogenannte Brandmauer der CDU nach Rechtsaußen steht.
Anlass dafür bot der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Dessen Äußerungen im ZDF-Sommerinterview zum Umgang mit der AfD in den Kommunen war vielfach als Aufweichung der klaren Abgrenzung der CDU zu den Rechtspopulisten interpretiert worden. Wenn wie jetzt in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt worden sei, dann seien das demokratische Wahlen, sagte Merz.
„Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“ Dafür erntete er viel Kritik. Auch in der eigenen Partei, wo manche die Äußerung missverständlich fanden. Er selbst sagte später: „Daraus abzuleiten, ich hätte den Weg geöffnet für die Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene, ist wirklich völlig abwegig.“
Am Samstag will die AfD damit beginnen, ihre Kandidaten für die Europawahl 2024 aufzustellen. Dafür hat sie mindestens vier Tage veranschlagt. Am Sonntag wird unterbrochen, am darauffolgenden Freitag geht es dann weiter. Da die Partei in Wählerumfragen zur Bundestagswahl zuletzt kräftig zugelegt hat und stabil bei rund 20 Prozent liegt, hat man sich vorgenommen, auf jeden Fall eine ausreichende Zahl von Kandidaten zu wählen. Die Debatte um das Europawahlprogramm soll deshalb ans Ende gestellt werden. So sieht es zumindest ein Antrag des Bundesvorstandes vor.
Kampf um Listenplätze für Europawahl
Sollte es zu vielen Listenplätzen Kampfkandidaturen geben, womöglich mit mehreren Kandidaten, könnte für die Beratungen zum Programm möglicherweise sogar noch zu einem Sonderparteitag eingeladen werden. Dass Prinzip „Zuerst die Kandidaten, dann das Programm“ könnte zwar theoretisch zur Folge haben, dass Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden, die nicht voll hinter dem Programm stehen, mit dem die Partei in den Wahlkampf geht.
Alice Weidel, die gemeinsam mit Tino Chrupalla an der Spitze von Partei und Bundestagsfraktion steht, ficht das jedoch nicht an. Auf die Tagesordnung angesprochen, lässt sie mitteilen: „Es geht um die Rechtssicherheit der Listenaufstellung. Diese darf sich aus rechtlichen Gründen nicht über einen zu langen Zeitraum erstrecken.“ Außerdem hätten die Kandidaten, sofern sie auch Delegierte seien, ja die Möglichkeit, sich an der Programmdiskussion zu beteiligen.
Dass die Liste diesmal mit Sicherheit anders aussehen wird als zur Europawahl 2019, ist zu erwarten. Schließlich war damals der inzwischen aus der AfD ausgetretene langjährige Bundesvorsitzende Jörg Meuthen Spitzenkandidat. Meuthens Abgang war nicht der einzige, den die AfD-Delegation in Brüssel zu verzeichnen hatte.
Als möglicher Kandidat für Platz Eins wird diesmal der Europaabgeordnete Maximilian Krah gehandelt. Krah, der dem Bundesvorstand der AfD als Beisitzer angehört und Mitglied des sächsischen Landesverbandes ist, hatte 2022 ohne Erfolg für das Amt des Oberbürgermeisters von Dresden kandidiert.
Die rechtsnationale ID-Fraktion im Europaparlament hatte seine Mitgliedschaft 2022 für mehrere Monate ausgesetzt. Damals wurde ihm vorgeworfen, dass er im französischen Präsidentschaftswahlkampf nicht Marine Le Pen von der ID-Mitgliedspartei Rassemblement National, sondern öffentlich die Partei des Rechtsextremen Éric Zemmour unterstützte.
Verfassungsschutz und Wagenknecht
Interessieren dürfte die Wahl der Kandidaten in Magdeburg auch die Verfassungsschützer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD im März 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Diese Einstufung hatte das Kölner Verwaltungsgericht im März 2022 bestätigt. Die AfD hat Berufung eingelegt. Das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster läuft noch.
Im Rückblick auf den AfD-Bundesparteitag im Juni 2022 hatte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang bilanziert, dort seien nur Leute in den Vorstand gewählt worden, „die entweder den rechtsextremistischen Kräften der AfD nahestehen oder diese zumindest tolerieren“. Außerdem sei erkennbar, „dass Rechtsextremisten wie Björn Höcke einen starken Einfluss auf die Partei bekommen haben“.
Höckes Name steht neben anderen auch über einem Änderungsantrag zum Leitantrag für das Europawahlprogramm. Darin heißt es: „Die AfD erkennt die EU als gescheitert und als nicht reformierbar.“ Der Antrag enthält zudem einen bemerkenswerten Satz mit Blick auf die Verteidigungspolitik Deutschlands. Hier wird gefordert, „dass die Staaten Europas die Verantwortung für ihre Sicherheit endlich selbst in die Hand nehmen, statt unter den vermeintlichen Schutzschirm eines fernen und eigennützigen Hegemons zu flüchten“.
Wie die Debatte zum „Dexit“ und zur Nato in Magdeburg ausgehen wird, ist offen. Im AfD-Programm für die Bundestagswahl 2021 hieß es: „Wir halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig.“ Manchen in der Partei geht das zu weit – auch weil das im Europäischen Parlament die Zusammenarbeit mit Politikern aus anderen europäischen Staaten erschwert, die ansonsten ähnliche Ziele verfolgen wie die AfD.
Der große Optimismus, der in den vergangenen Wochen in der AfD-Spitze zu spüren war, speist sich vor allem aus den für die Partei günstigen Wählerumfragen. Wenn da nur nicht Sahra Wagenknecht von der Linkspartei wäre, die in Interviews Diskussionen über Identitätspolitik und „Sprachverbote“ beklagt, und damit womöglich im gleichen Teich nach Stimmen fischt wie die AfD.
Die frühere Chefin der Linksfraktion im Bundestag liebäugelt seit Monaten mit der Gründung einer eigenen Partei. Beobachter vermuten, dass eine Wagenknecht-Partei nicht nur der Linken, sondern auch der AfD potenzielle Wähler abspenstig machen könnte – vor allem im Osten. (dpa)