Deutschland wird in etwa zwei Drittel seines Wasserstoffbedarfs importieren müssen. Das sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Mittwoch in Berlin, nachdem das Kabinett die neue Strategie zum Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur beschlossen hat.
Ein Drittel könne selbst in Deutschland hergestellt werden, vor allem mit Windenergie auf hoher See sowie dezentral an den Industriestandorten. Wasserstoff spielt eine zentrale Rolle dabei, Industrieprozesse klimaneutral zu machen.
Grünen-Politiker Habeck ergänzte, das Kernnetz – quasi die Autobahn für Wasserstoffleitungen – solle im Sommer erarbeitet werden. Im Herbst würden dann die Bundes- und Kreisstraßen folgen. Das Kernnetz werde eingebunden sein in ein europäisches Netz.
Unter anderem werde es eine zentrale Leitung für grünen Wasserstoff über Portugal, Spanien und Frankreich geben, außerdem aus Norden über Norwegen und die Nordsee.
Kabinett bringt Wasserstoff-Strategie auf den Weg
Den deutschen Bedarf bezifferte Habeck bis 2045 auf 500 bis 600 Terawattstunden. Grüner – also aus erneuerbaren Energien hergestellter – Wasserstoff werde mit der Zeit günstiger werden. „Ich glaube, es geht jetzt sehr viel schneller als eigentlich alle gedacht haben.“
Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sagte, ihr Ministerium stelle in der Forschung 700 Millionen Euro bereit, um Wege zur Herstellung zu optimieren. „Es schafft Planungssicherheit für die Unternehmen, auch für die Kommunen“, sagte die FDP-Politikerin zur Wasserstoff-Strategie der Regierung. Diese umreißt Maßnahmen, wie der Markt bis 2030 aufgebaut werden soll.
Die Bundesregierung will Tempo machen bei der Erzeugung, dem Import und der Nutzung von Wasserstoff als klimafreundlichem Energieträger. Dazu will sie ihr bisheriges Ziel, bis zum Jahr 2030 Erzeugungsmöglichkeiten in Deutschland von 5 Gigawatt zu schaffen, auf mindestens 10 Gigawatt verdoppeln.
Das hat das Kabinett am Mittwoch in Berlin mit Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie von 2020 beschlossen. Der restliche Bedarf soll durch Einfuhren gedeckt werden, es soll eine Importstrategie geben.
Wasserstoff gilt angesichts fortschreitender Erderwärmung als Baustein für klimaverträglicheres Wirtschaften, weil im Produktionsprozess keine Treibhausgase anfallen und er fossile Brennstoffe wie Gas oder Öl ersetzen kann. Allerdings ist für die sogenannte Elektrolyse, bei der Wassermoleküle in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt werden, viel Strom nötig.
Dieser soll nach dem Willen der Bundesregierung zunehmend aus erneuerbaren Energien kommen. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Es sollen dann also nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen als auch wieder gebunden werden können.
Die bisherige Nationale Wasserstoffstrategie stammt aus dem Jahr 2020. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP ein «ambitioniertes Update» des Papiers vereinbart.
Großteil des Wasserstoff-Bedarfs muss importiert werden
Für 2030 geht die Bundesregierung für Deutschland von einem Wasserstoffbedarf von 95 bis 130 Terawattstunden aus, inklusive sogenannter Wasserstoffderivate wie Ammoniak, Methanol oder synthetischer Kraftstoffe, die zum Beispiel für den Transport per Schiff genutzt werden.
Davon werden nach Einschätzung der Regierung 50 bis 70 Prozent durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden, bei steigender Tendenz in den Jahren danach. Dabei will die Regierung auf soziale und ökologische Standards im Herkunftsland achten.
Dem Papier zufolge dürfte bis 2030 ein Großteil mit dem Schiff kommen, danach sollen Pipelines eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Terminals zum Import von Flüssiggas (LNG), die derzeit an den deutschen Küsten entstehen, sollen später für Wasserstoff genutzt werden. Noch in diesem Jahr soll eine Importstrategie folgen.
Bis 2030 soll Deutschland „Leitanbieter für Wasserstofftechnologien“ werden. Eine direkte staatliche Förderung für die Erzeugung des Energieträgers soll es aber nur für „grünen“ Wasserstoff geben, der mit Hilfe von erneuerbaren Energien erzeugt wird.
Lagerung und Transport bleiben ein Problem
Wasserstoff und seine Derivate sind derzeit dem Papier zufolge noch nicht im großen Stil speicherbar, was angesichts geringer Verfügbarkeit und hoher Kosten auch nicht nötig sei. Vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts soll sich das aber ändern.
Noch in diesem Jahr sollen die Fernleitungsnetzbetreiber Pläne für ein deutsches Wasserstoff-Kernnetz vorlegen, die durch die Bundesnetzagentur geprüft und bis 2032 umgesetzt werden.
Daneben setzt die Bundesregierung den Schwerpunkt auf Verbindungen zu Nachbarländern sowie zu potenziellen Erzeugungsregionen in Skandinavien, Süd- und Osteuropa sowie zu Import-Knotenpunkten in Westeuropa. Sie hofft auch auf Verbindungen nach Nordafrika entweder über Frankreich, Spanien und Portugal (H2Med-Pipeline) oder über Österreich und Italien (Südkorridor).
Bis 2030 dürften Wasserstoff und seine Derivate der Strategie zufolge vor allem in der Industrie zum Einsatz kommen, insbesondere in der Chemie- und Stahlbranche, sowie im Verkehr in Brennstoffzellen und als erneuerbarer Kraftstoff.
Eine „breite Anwendung“ im Wärmebereich sei bis dahin nicht zu erwarten. Im Stromsektor soll Wasserstoff helfen, die schwankende Erzeugung aus erneuerbaren Energien auszugleichen.
So groß die Hoffnungen sind, die auf Wasserstoff ruhen: Auch für seine Produktion ist Energie nötig. Wo es möglich ist, solle erneuerbare Energie besser direkt und ohne den Umweg über Wasserstoff genutzt werden, schreibt das Umweltbundesamt. So lasse sich mehr fossile Energie ersetzen. (Reuters/ dpa)