Die geringen Kontozinsen und die hohe Inflation treiben Privatanleger zunehmend in Zinszertifikate. Diese verzinsten Wertpapiere – im Fachjargon auch strukturierte Anleihen und Kapitalschutzzertifikate genannt – haben in der Regel eine fixe Laufzeit von Monaten bis Jahren, einen festen Zins und zahlen bei Endfälligkeit den vollen Nennwert wieder aus.
Laut dem Deutschen Derivateverband hat sich das Marktvolumen innerhalb eines Jahres verdoppelt. Im Mai 2022 betrug es bei strukturierte Anleihen und Kapitalschutzzertifikaten insgesamt 22,8 Milliarden Euro. Im Mai 2023 waren es bereits 45,8 Milliarden Euro.
Etwa verkaufen die Sparkassen laut dem Fachmedium Finanz-Szene immer mehr Zertifikate. Im ersten Quartal seien Zertifikate in Höhe von 3 Milliarden Euro pro Monat von sparkassennahen Emittenten in den Markt gebracht worden, heißt es unter Berufung auf Zahlen des Derivateverbands. 90 Prozent des Zuwachses seien strukturierte Anleihen gewesen.
Dabei habe der Absatz jahrelang an der Nulllinie gependelt und sei im Jahr 2021 sogar negativ gewesen. Erst im Jahr 2022 sei er im Zuge der Zinswende auf 13,9 Milliarden Euro hochgeschnellt. „Die Zahlen aus dem ersten Quartal deuten nun allerdings darauf hin, dass die Sparkassen ihren Vertrieb sogar nochmals intensiviert haben“, berichtet Finanz-Szene.
Kritik an Zinszertifikaten
Unabhängige Experten sind indes kritisch. Etwa warnt die Verbraucherzentrale vor Zertifikaten als „Wetten“ und sieht diese aufgrund der geringen Transparenz und der versteckten Kosten „nur etwas für erfahrene Anleger“.
Auch der Honorar-Anlageberater Gunnar Marschke warnt vor Zinszertfikaten. Die Verzinsung sei „unfair“, schreibt er in einem Blogbeitrag. Marschke verweist etwa auf eine strukturierte Anleihe der französischen Großbank Société Générale, die Erträge von 2,85 Prozent pro Jahr abwirft und zum Laufzeitende den vollen Kaufpreis wieder auszahlt.
Eine deutsche Staatsanleihe mit gleicher Laufzeit rentiere aktuell höher (3,02 Prozent). Dabei sei ein Staat als Schuldner in der Regel vertrauenswürdiger als ein privates Unternehmen wie die Société Générale. „Damit wird das im Vergleich höhere Ausfallrisiko der Société Générale überhaupt nicht berücksichtigt.“
Laut Marschke muss die französische Bank am Markt deutlich höhere Zinsen bezahlen, um Kapital aufzunehmen. Demnach rentieren Unternehmensanleihen gleicher Laufzeit der französischen Großbank bei circa 3,8 Prozent. Die Verzinsung von 2,85 Prozent liege daher um rund einen Prozentpunkt pro Jahr unter dem fairen Wert.
Eine weitere Gefahr ist das Ausfallrisiko: Wenn der Herausgeber (also nicht die Depotbank, sondern der Emittent des Wertpapiers) insolvent geht, drohen Anlegern Verluste bis hin zum Totalausfall. Zwar würde bei einer Insolvenz der Landesbanken die Institutssicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken einspringen, erklärt Stiftung Warentest. Aber: „Wie das bei einer sehr gravierenden Pleite funktionieren würde, müsste sich erst zeigen.“
Landesbanken gehören laut dem Derivateverband zu den größten Emittenten von strukturierten Anleihen. Ganz vorne lag im ersten Quartal die Landesbank Hessen-Thüringen Helaba (33 Prozent Marktanteil), danach kamen der Fondsdienstleister der Sparkassen Dekabank (24 Prozent) und die Landesbank Baden-Württemberg LBBW (21 Prozent). Erst danach folgen zwei staatsferne Banken, die Société Générale (10 Prozent) und die Deutsche Bank (6 Prozent).
Was sind die Alternativen?
Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg kritisiert gegenüber DWN die hohen und intransparenten Kosten. Diese würden etwa bei einer festverzinsten Anleihe der Dekabank einmalig bei mindestens 0,4 Prozent der investierten Gelder liegen, wozu noch versteckte Kosten kommen könnten.
Laut Nauhauser lassen sich die Kosten erahnen, wenn man den Ausgabepreis mit dem sogenannten Issuer Estimated Value vergleicht. Dabei handelt es sich um den vom Emittenten geschätzten Herstellwert des Zertifikats, der auf dem Produktinformationsblatt ausgewiesen wird und eine Abschätzung über die Kosten ermöglichen soll.
Beim Verkauf können weitere Kosten anfallen. Denn nicht alle Zinszertifikate werden an der Börse gehandelt. Ungelistete Wertpapiere müssen Anleger an den Emittenten zurückgeben. „Die Rückgabe über die Bank ist zwar einmal täglich möglich“, erklärt der Honorarberater Gunnar Marschke. „Der Emittent hat aber daran kein Interesse und stellt dann sehr schlechte Rücknahmekurse.“
Marschke rät daher von Zinszertifikaten ab und empfiehlt stattdessen eine Bundesanleihe oder einen Fonds mit deutschen Staatsanleihen, die entweder eine Restlaufzeit von bis zu einem Jahr oder zwischen 1,5 und 2,5 Jahre haben. Auch Festgeld sei eine Option. Allerdings solle man Angebote gründlich vergleichen und innerhalb der gesetzlichen Einlagensicherung von 100.000 Euro pro Kunde und pro Bank bleiben.
Kritische Experten raten derweil von Tagesgeld und Festgeld komplett ab und empfehlen, nur Liquidität für kurzfristige Zahlungsziele auf Bankkonten zu parken. „In Expertenkreisen ist man sich uneinig darüber, ob die Einlagensicherung hält, wenn gleichzeitig, zum Beispiel in einer Bankenkrise, mehrere größere Banken in die Insolvenz gehen“, erklärte etwa der Honorarberater Michael Schiffer gegenüber DWN.