Politik

Wirtschaftskrieg gegen Deutschland

Der geopolitische und Finanzanalyst Folker Hellmeyer erläutert im Gespräch, mit welchen Methoden die USA der deutschen Wirtschaft zusetzen und warum eine Gegenwehr de facto nicht erfolgt.
24.12.2023 09:44
Aktualisiert: 24.12.2023 09:44
Lesezeit: 6 min
Wirtschaftskrieg gegen Deutschland
Führt die US-Regierung einen verdeckten Wirtschaftskrieg gegen Kontinentaleuropa? (Foto: dpa) Foto: Michael Kappeler

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Führen die USA einen Wirtschaftskrieg gegen Deutschland?

Folker Hellmeyer: Meines Erachtens führen die USA einen verdeckten Wirtschaftskrieg nicht nur gegen Deutschland, sondern gegen Kontinentaleuropa. Da Deutschland (noch) das ökonomische Rückgrat Europas ist (nach Größe der Wirtschaft, Wirtschaftsclustern, Hort der „Hidden Champions“, Stabilitätspolitik), steht Deutschland im Fokus der USA.

Die USA haben einen öffentlich klar definierten globalen Machtanspruch, der eine Unterordnung von anderen Ländern einfordert, der damit gegen den Artikel 2 der UN-Charta verstößt (Völkerrecht) und faktisch totalitäre Charaktereigenschaften (asymmetrische Anwendung des Völkerrechts) hat. Macht definiert sich über Wirtschaftsstärke, über Finanzkraft und Kontrolle von Ressourcen und Ländern.

Schauen wir zurück. Die europäische Einigung, begonnen mit der Montanunion (1952) und in der Folge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957 – 1993, ab 1993 EU), hatte unter Führung des Gespanns de Gaulle/Adenauer das Ziel der politischen Union. Bewusst war de Gaulle während seiner Amtszeit gegen einen Beitritt des UK wegen der politischen Nähe des UK zu den USA (“UK/US Special Relationship“ ab 1944).

Nach dem Tode de Gaulles kam es unter Pompidou zum Beitritt des UK. Das lieferte eine Zäsur. Das Ziel mäanderte dann von der politischen Union zu der Wirtschaftsunion. Das war im Interesse der USA nach dem Motto “teile und herrsche”. Kontinentaleuropa hätte politisch geeint deutlich bessere Strukturdaten (Staatsverschuldung, Leistungsbilanz, Wirtschaftsstruktur) und damit Machtpotentiale. Das stellte eine Herausforderung für die USA dar.

Deutlich wurde das Anliegen der USA flankiert von Großbritannien nach der Einführung des Euros (Währungsunion als Grundlage einer zukünftigen politischen Union). Im Rahmen der Euro-Defizit-Krise engagierten sich sowohl Washington als auch London (Politik, Medien, Märkte) für den Zerfall des Euros. Erst das “Whatever it takes” Draghis setzte dieser Aggression ein Ende, die in dieser Form ohne politische Rückendeckung nicht hätte stattfinden können.

Die fortgesetzte Erweiterung der EU tut uns dabei nicht gut. Sie korreliert aber definitiv mit geopolitischen Interessen der USA. Von 12 Ländern hat nur ein Land in der Osterweiterung die Bedingungen zum Beitritt voll erfüllt. Wer latent seine Standards nivelliert, hat am Ende kein Niveau. Die Probleme, denen wir heute in der EU ausgesetzt sind, haben exakt damit zu tun. Von Seiten der USA leicht manipulierbare oder “kaufbare” Länder treten ein und wirken ultimativ gegen eine Homogenisierung unseres politischen Raumes. Es sind meines Erachtens aus Sicht der USA “Sollbruchstellen”, die bei machtpolitischem Bedarf instrumentalisiert werden können (Beispiel Beitritt Griechenland zur Eurozone, Rolle Goldman Sachs).

Das Fazit lautet, dass das Verhältnis der USA zu Kontinentaleuropa von US-Interessen dominiert ist. Das aktuelle IRA-Programm, das nicht rechtskonform ist (WTO), richtet sich gegen Deutschland und gegen Europa und ist Teil des Wirtschaftskrieges. Deutschlands, aber leider auch Europas Antwort darauf ist seit der Kanzlerschaft Merkels bewusste oder unbewusste Naivität oder sogar Willfährigkeit zu Lasten des Standorts, zu Lasten der Unternehmen und Bürger.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie gehen die USA dabei vor?

Folker Hellmeyer: Es gibt in den USA Think Tanks, die sich mit strategischen Themen intensiv auseinandersetzen. Diese Erkenntnisse fließen in eine kurz-, mittel- und langfristige Planung der USA zur Erhaltung ihrer Interessen und ihrer Macht ein.

Die USA haben langfristig Netzwerke aufgebaut, die sie bei Bedarf nutzen. Als Lesestoff empfehle ich diesbezüglich das Buch des früheren CIA-Mannes Jonathan Perkins “Confessions of an Economic hit man”. Dort wird aufgezeigt, wie man sich seitens der USA in Südamerika willfährige Eliten organisierte. Hier geht es also um den Faktor des korrumpierten Menschen, der gegen die Interessen des eigenen Landes und zu Gunsten der USA agiert. Gibt es die denn nur in Südamerika?

Ein zweiter Weg war und ist es, das internationale Organigramm so zu gestalten oder zu manipulieren, dass US-Interessen ohne Konsequenzen durchgesetzt werden können. Im aktuellen Fall ging und geht es um die Welthandelsorganisation WTO, ansässig in Genf. Bereits unter der Präsidentschaft Obamas wurden die zu besetzenden Richterstellen in den Schiedsgerichten durch Verweigerung der USA nicht mehr besetzt (Ausdruck langfristiger Planung).

In der Folge kam die Rechtsprechung der WTO zum Erliegen. Die Rechtsprechung dient auch dem Schutz kleiner Länder gegenüber großen Ländern, so dass nicht das “Rechts des Stärkeren”, sondern Recht durchgesetzt wird. Es ist das Grundgerüst der globalisierten Wirtschaft, für das deutsche Geschäftsmodell nahezu unverzichtbar, das aber ab 2019 nicht mehr arbeitsfähig war. Das lieferte den USA im Rahmen ihrer Wirtschafts- und Finanzkriege die Möglichkeit ihre Sanktionspolitiken bar allen Rechts, ohne Konsequenzen durchzusetzen. Das IRA-Programm, das gegen Europa und Deutschland zielt, ist Teil dieser US-Politik.

Der Weg im Wirtschaftskrieg gegen Deutschland führt zudem über die Ukraine. Die EU/Deutschland wurden von dem Rohstoffgiganten Russland getrennt. Wir leben in einem energetischen Zeitalter. Ohne Energie geht nichts. Unsere Energieabhängigkeit wird von den USA ausgenutzt. Japan importiert weiter aus Russland trotz Sanktionen. Japan und die USA, die energetisch autark sind, wachsen um circa 2%, Deutschland hat als einziges westliches Land Kontraktion zu verzeichnen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was sind die konkreten Folgen dieses Krieges - bisher?

Folker Hellmeyer: Die Folgen lassen sich an den aktuellen Konjunkturdaten ablesen. Deutschland hat in Folge nicht nur ein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem, da Investitionen mangels Konkurrenzfähigkeit ausbleiben, da Unternehmen den Standort verlassen. Die von den USA forcierte Teilung der Welt belastet uns im Import- und Exportgeschäft signifikant. Es ist das größte strukturelle Wirtschaftsproblem Deutschlands nach 1949.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Beteiligen sich die deutsche Regierung bzw. deutsche Institutionen an dem Wirtschaftskrieg gegen das eigene Land?

Folker Hellmeyer: Spionage ist beispielsweise eine Form des Wirtschaftskriegs. Wir wissen seit den Eröffnungen von Edward Snowden im Jahr 2013, dass die USA Wirtschaftsspionage in Deutschland betrieben und wohl weiter betreiben. Es gibt auch diverse Belege, dass unsere Regierung das inoffiziell wusste, jedoch das offiziell verneinte Wer sich mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses auseinandersetzt, mag erkennen, dass der Aufklärungswille nicht ausgeprägt war. Vor dem Hintergrund der mir verfügbaren Informationen kann ich die Frage weder mit “Ja” noch mit “Nein” beantworten. Es wäre ja der Tatbestand des Verrats. Es wäre ein Skandal unfassbaren Ausmaßes.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Unwillen der Regierung, die Urheberschaft der Sprengung der Nordstream-Pipelines aufzuklären?

Folker Hellmeyer: Der Vorfall erinnert an den Untersuchungsausschuss Snowden, Zeit gewinnen und ausblenden. Es ist der größte Angriff auf eine europäische Infrastruktur seit dem 2. Weltkrieg. Da gilt es seitens der Regierung aus Respekt vor dem Souverän und der Werte, für die wir angeblich stehen, alles in Bewegung zu setzen, um den Fall ultimativ aufzuklären und die Täter dieses staatsterroristischen Vorfalls zur Verantwortung zu ziehen. Genau das passiert nicht, das wirft Fragen der Loyalität auf. Zudem will Schweden Erkenntnisse im Zweifelsfall nicht mit uns teilen und deckt damit möglicherweise Staatsterroristen. Welche Macht der Welt kann wohl derartiges Verhalten forcieren? Haben Sie eine Antwort?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Folgen wird der wirtschaftliche Niedergang und die Deindustrialisierung Deutschlands für die EU haben?

Folker Hellmeyer: Wenn Deutschland fällt, fällt auch die EU. Das europäische Geschäftsmodell basiert auf Importen, die dann zumeist hochenergetisch veredelt werden. Wenn dieses Geschäftsmodell ausfällt, wenn die Wirtschaftscluster zerstört sind, werden wir nicht nur ökonomische Probleme haben. Dann gäbe es gesellschaftspolitische und politische Destabilisierungen, die massiv wären. Ohne Wirtschaft ist alles nichts. Die Generation, die die Weltwirtschaftskrise 1929 - 1932 erlebte, wusste das sehr genau. Die Folge war 1933!

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was wäre jetzt zu tun, um das Schlimmste abzuwenden?

Folker Hellmeyer: Wir brauchen bezüglich dieses Themas einen Politikwechsel, der eine interessenorientierte Außenpolitik in unbestechlicher Form für Deutschland und für Kontinentaleuropa gewährleistet. Das ist seit Gerhard Schröder nicht mehr der Fall.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie haben ein neues Talk Show Format in Planung. Warum, worum handelt es sich dabei und wann und wo können unsere Leser es sehen?

Es ist ein Format von Mission Money (Focus Money), das wie eine Talk-Show mit Publikum ausgelegt ist. Philipp Vorndran und meine Wenigkeit machen die Kick-off Veranstaltung. Es wird um Politik, Wirtschaft und Märkte gehen. Wir nehmen sie Ende November auf, dann wird sie via YouTube veröffentlicht. Es wird erfrischend sein, weil man sich ausreden lässt, weil es um Informationen und potentielle Lösungen geht. Die Qualität wird hoch sein. Ich freue mich sehr darauf.

*****

Info zur Person: Seit April 2022 bekleidet Folker Hellmeyer die Position des Chefvolkswirts bei der Netfonds AG. Er war zuvor von 2018 bis 2021 Chefanalyst der Solvecon Invest GmbH. Von 2002 bis 2017 fungierte er als Chefvolkswirt/Chefanalyst der Bremer Landesbank. Davor war Hellmeyer unter anderem für die Deutsche Bank in Hamburg und London als Senior Dealer und Chefanalyst der Landesbank Hessen-Thüringen tätig. Als Kommentator des Geschehens an den internationalen Finanzmärkten ist er u. a. regelmäßig bei n-tv, Welt TV und anderen Sendern zu sehen. Mit seinem Buch „Endlich Klartext“ wirft er einen Blick auf das US-Finanzsystem und den dazugehörigen Wirtschaftsdaten.

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