Es ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang: Der frühere Präsident des Bundeamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, wird nun von seinem früheren Arbeitgeber überwacht. Maaßen, der das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) von 2012 bis 2018 geleitet hatte, wurde als Präsident von der damaligen Bundesregierung abberufen und in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Das BfV hat ihn nun unter dem Aktenzeichen 1A2-244-250002-5406-0008/23 S als Beobachtungsobjekt im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft. Grundlage für diese Entscheidung ist ein Dossier des Verfassungsschutzes – die Akte Maaßen. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sind im Besitz dieser Akte und haben diese ausgewertet. Fazit: Auch wenn für manche Ohren gewisse Äußerungen Maaßens durchaus fragwürdig sind oder gar auch anstößig, so bleibt am Ende die Materialsammlung des Verfassungsschutzes in der Substanz dürftig. An keiner Stelle des 20-seitigen Dossiers wird erkennbar, dass Maaßen zur Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufruft. Die Äußerungen Maaßens sind ein Fall für den politischen Meinungskampf, der in der Öffentlichkeit ausgetragen werden muss, aber nicht ein Fall für einen Geheimdienst.
So beschreibt der Verfassungsschutz in seinem Dossier als ersten Punkt, dass ein der Reichsbürger-Szene nahestehender Rechtsextremist in einem Schreiben die Auffassung vertreten habe, dass Maaßen „ein strammer Republikaner zu sein scheint“. Ähnlich gehaltvoll ist auch die Feststellung des BfV, dass „laut der medialen Berichterstattung“ eine der Reichsbürger-Szene zuzurechnende Person „Videos von Hans-Georg Maaßen“ auf einer Facebook-Seite geteilt habe. Zudem, so die Verfassungsschützer, habe Maaßen in einer Diskussionsrunde, die in einer Kurzfassung auch auf YouTube zu sehen gewesen war, Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gegen die Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß geäußert. Prinz Reuß wird vom Verfassungsschutz der sogenannten Reichsbürger-Szene zugeordnet.
Widersprüche im Dossier
In dem Dossier führt der Verfassungsschutz aus, dass Hans Georg Maaßen im Internet auf mehreren Kanälen präsent sei und sich „im Rahmen von Kolumnen und Aufsätzen zu aktuell-politischen Themen“ äußere. So habe Maaßen vor vier Jahren in einem Aufsatz für die Zeitschrift „Cato“ vor „undemokratischen, totalitären supranationalen Systemen“ und „einem neuen Totalitarismus“ gewarnt, der das Ziel von „sozialistischen und globalistischen Kräften“ sei. Diese Wortwahl interpretiert der Verfassungsschutz dahingehend, dass Maaßen mit dieser Wortwahl „antisemitische Codes und Chiffren“ benutze. An anderer Stelle aber – und da widerspricht sich der Verfassungsschutz in seinem Dossier – wird angeführt, dass Maaßen in einem Tweet sich darüber beklagt habe, dass in Berlin von Ausländern antisemitische Parolen wie „Tod den Juden“ gerufen werde, das „politisch-mediale Establishment“ aber wegschaue. Maaßen schreibt in dem Tweet: „Das ist nicht mehr das Deutschland, für dessen Sicherheit ich gearbeitet habe und das ich will.“ Tatsächlich scheint dem Verfassungsschutz der Widerspruch nicht weiter aufgefallen zu sein, dass das Amt Maaßen einerseits unterstellt, dass er antisemitische Chiffren benutze, aber nur einige Seiten später einen Tweet von ihm zitiert, in dem sich Maaßen über antisemitische Parolen beklagt.
Akribisch hielt der Verfassungsschutz auch eine Rede Maaßens auf einer Veranstaltung der Bürgerinitiative „Unser Holzland – Kein Windkraftland“ fest: Darin hatte Maaßen ausgeführt, dass man auch in einem Dorf in Afrika den Leuten nicht einreden könne, dass es drei, zehn oder hundert Geschlechter gebe. Jedoch führt der Verfassungsschutz weder aus, was an der Behauptung Maaßens verfassungsfeindlich sein soll, noch welche Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung von der Bürgerinitiative „Unser Holzland – Kein Windkraftland“ ausgeht.
Von ähnlichem Gewicht ist auch die Feststellung, dass Herr Maaßen sich dazu bekennt, „ein großer Kritiker der Staatsmedien“ zu sein. Maaßen habe, so das Dossier, die Meinung vertreten, dass die öffentlich-rechtlichen Medien „mittlerweile zu Regierungsmedien“ mutiert seien, „sie wenden sich nicht gegen Regierungen“, sondern „gegen diejenigen, die sie kritisieren“. Auch hier ist in den Ausführungen des Verfassungsschutzes nicht ersichtlich, wie diese Äußerungen eine Bedrohung für die Verfassung darstellen sollen. Es dürfte im Allgemeinen zudem nicht unproblematisch sein, alle als potentielle Verfassungsfeinde zu sehen, die mit der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien nicht einverstanden sind.
TV-Auftritte von Maaßen
Darüber hinaus listet der Verfassungsschutz eine ganze Reihe von Auftritten Maaßens auf, darunter einen Auftritt im Sender TV Berlin. In der Sendung mit dem Titel „Strategie für Deutschland - Migrationspolitik“ sagt Maaßen im BfV-Dossier, dass andere Kulturen, wie die arabische, „Gewalt durchaus auch als ein probates Mittel der Konfliktlösung“ ansehen.
Einen größeren Teil in dem 20-seitigen Dossier nehmen sogenannte Second-Hand-Aktivitäten ein, das heißt: Der Verfassungsschutz listet auf, wer wann auf welchen Kanälen Äußerungen von Hans Georg Maaßen weiterverbreitet hat. Tatsächlich ist es so, dass Personen, wie beispielsweise der zu der Identitären Bewegung zählende Martin Sellner oder auch der AfD-Landesvorsitzende von Thüringen, Björn Höcke, teils mit zustimmenden Kommentaren Äußerungen von Maaßen auf ihren Kanälen weiterverbreitet haben. Diese Second-Hand-Aktivitäten können einen Hinweis darauf geben, wie gewisse Äußerungen in welchen Milieus wahrgenommen werden. Jedoch ist es nicht unproblematisch, dies Maaßen zur Last zu legen, da dieser sich kaum dagegen wehren kann, dass andere ihn zitieren.
Tatsächlich gibt es aber auch Punkte, die für Maaßen heikel sind. So spricht Maaßen von den tragenden Parteien im Bundestag von den sogenannten „Kartellparteien“. Dieser Ausdruck erscheint nicht unproblematisch, da im politischen System der Bundesrepublik Deutschland eine parlamentarische Demokratie ohne Parteien schlechterdings nicht möglich ist. Sehr fragwürdig ist auch ein Auftritt Maaßens vor der „Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft“ (SWG) in Lübeck. Die SWG wird vom Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz als eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
Die Antwort des Verfassungsschutzes
Insgesamt ist aber als Fazit festzuhalten, dass der Umfang der Verfassungsschutz-Akte Maaßen in keinem Verhältnis zur Substanz steht. Aktivitäten, die die Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Ziel haben, sind dem Dossier nicht zu entnehmen. Erkennbar gibt sich der Verfassungsschutz allergrößte Mühe, in der Causa Maaßen möglichst viel Material zusammenzutragen. Manches von dem, was das Amt an Äußerungen Maaßens zusammengetragen hat, mag überspitzt sein und auch anstößig. Doch nicht alles, was überspitzt oder anstößig ist, ist schon verfassungsfeindlich. Eine starke Demokratie und eine stabile Gesellschaft müssen solche Aussagen aushalten können.
Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN) haben das Bundesamt für Verfassungsschutz angefragt und um eine Stellungnahme zu dem Vorgang um Hans Georg Maaßen gebeten. Insbesondere wollten die DWN wissen, was den Verfassungsschutz bewogen hatte, Maaßen zu überwachen und ob das BfV die Beobachtung Maaßen fortsetzen wolle. Das Bundesamt für Verfassungsschutz lehnte aber eine Beantwortung der Anfrage mit Verweis auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte ab.