Politik

Nach Terroranschlag: Moskau und eine neue Welle des Terrors in Europa?

Lesezeit: 4 min
25.03.2024 13:18  Aktualisiert: 25.03.2024 13:18
Seit Monaten mehren sich Anzeichen für ein Erstarken des Terrorismus in Europa. Nach den Anschlägen auf die Konzerthalle in Moskau ist diese Tendenz konkret geworden. Was bedeutet diese neue Terrorgefahr in Europa für Menschen und Wirtschaft? Und wie konkret ist die Bedrohungslage in Deutschland? Eine Analyse des Wall Street Journals lässt aufhorchen!

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Seitdem der Israelkonflikt aufs Neue eskaliert ist, steigt auch die Gefahr terroristischer Anschläge in der westlichen Welt. Das Wall Street Journal sieht eine neue Gefahr des Terrors für Europa gekommen. Doch wer instruiert die neuen Gefährder, die die westliche Welt destabilisieren wollen? Und wie reagieren Europas Sicherheitsbehörden auf die neue Bedrohung?

Mehr geplante Anschläge in Europa seit dem 07. Oktober

Als ein mutmaßlich islamistischer Anschlag Russland erschütterte und 133 Menschenleben kostete, war klar: Der internationale Terrorismus könnte wieder auf dem Vormarsch sein. So warnte die US-amerikanische Botschaft schon seit Längerem vor islamistischen Anschlägen in Russland. Und auch die Bundesrepublik Deutschland scheint nicht vor neuen Attacken gefeit zu sein. Innenministerin Nancy Faeser nannte die Terrorgefahr durch den Islamischen Staat in Deutschland „akut“. Doch warum könnte ausgerechnet Europa zum Ziel neuer Anschläge werden? Die Gründe dafür sind vielfältig und wurden bereits vor dem Anschlag in Moskau im Wall Street Journal ausführlich besprochen.

Der 07. Oktober 2023 stellte nicht nur für die Levante eine Zäsur dar, sondern auch für Europa. Bislang beschränkten sich Glaubenskriege und analoge Konflikte weitgehend auf den Nahen und Mittleren Osten. Angriffe wie die Attacke auf das World Trade Center 2001 und europäische Hauptstädte in den Folgejahren blieben tragische Ausnahmefälle. Doch die Dynamik könnte sich dem Wall Street Journal zufolge verschieben, denn laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin gerät Europa zunehmend ins Visier von Terroristen — die nicht unbedingt in einem religiösen, sondern geopolitisch motivierten Auftrag handeln.

So gaben mehrere europäische Sicherheitsbehörden bekannt, dass sie Anschlagspläne vereitelt hätten. So etwa wurden in Österreich und Bosnien jeweils eine Gruppe schwer bewaffneter afghanischer und syrischer Flüchtlinge festgenommen. Nicht nur konnten diese Gruppen unabhängig voneinander in den Schengenraum einreisen, sondern sie brachten auch automatische Gewehre, Pistolen und große Mengen Munition mit über die Grenze. Auch der Kölner Dom war laut Sicherheitsbehörden geplantes Ziel eines Anschlags am Ende des vergangenen Jahres. Dieser konnte aber im Vorfeld vereitelt werden.

Warum wächst die Terrorgefahr ausgerechnet in Europa, wo die Solidarität für Palästina doch vergleichsweise hoch ist? Außerdem bieten die offenen Grenzen für Menschen aus dem arabischen Raum eine Gelegenheit zur Einreise und für ein besseres Leben?

Geopolitik und Fundamentalismus: Die neuen Säulen des Terrors

Die neue Welle von islamistischen Anschlagplänen folgt im Narrativ der Täter einer simplen religiösen Logik: Da der Westen an der Seite Israels stehe, trage er eine Mitschuld an dem vermeintlichen Genozid, der täglich an den Palästinensern begangen werde. Doch das ist nur ein Grund für die ansteigende Gefährdung. In erster Linie tragen geopolitische Spannungen zu der Gefahrenlage bei.

Der Iran nimmt dabei eine entscheidende Rolle ein. So trug Teheran maßgeblich zur Planung und Durchführung der Massaker am 07. Oktober 2023 in Israel bei. Mit ihren Stellvertretern, den Hisbollah und der Hamas, versucht die mächtige Regionalmacht Vorderasiens, den Einfluss Israels und Saudi-Arabiens zu unterminieren. Im größeren Maßstab können dabei Russland als Mentor Irans und Saudi-Arabien sowie Israel als Schützlinge der USA betrachtet werden.

Viele Anschlagpläne haben demzufolge nicht nur das Ziel, den Staat Israel und seine Bewohner als solche zu attackieren, auch geht es um eine grundsätzliche Destabilisierung des Westens. So sollte etwa ein deutsch-iranischer Mann auf Geheiß Teherans im Jahr 2022 eine Synagoge in Bochum in Brand stecken. Ein Agentenpärchen sollte zudem in Schweden drei prominente Menschen jüdischen Glaubens ermorden. Und im Jahr 2017 wurde ein pakistanischer Student in Berlin verurteilt, weil er die Anweisung aus Iran befolgte, den ehemaligen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V., Hellmut Königshaus (FDP), auszuspionieren. Ein Mord konnte verhindert werden, war aber allem Anschein nach geplant.

Diese Anschläge konnten glücklicherweise vereitelt werden, stellten aber eine neue Bedrohung für die Zivilgesellschaften Europas und Israels dar. Sie basieren nämlich nicht mehr auf aufwendig geplanten Operationen wie dem Angriff auf das World Trade Center im Jahr 2001 oder der gemeinschaftliche, islamistische Amoklauf von 2015 in Paris. Vielmehr setzen diese Attacken auf die Selbstradikalisierung frustrierter Individuen, die im Internet Anregungen zu terroristischen Angriffen erhalten.

Der Terroranschlag vom Breitscheidplatz in Berlin 2016 kam deshalb für die Behörden so unerwartet, weil er von einem solchen „einsamen Wolf“ verübt worden war, der beinahe in totaler Eigenregie handelte. Sicherheitskräfte in ganz Europa müssen daher ihre Arbeitsweise anpassen und vermehrt in sozialen Netzwerken nach verdächtigen Aktivitäten suchen, die auch von jahrelang völlig unbehelligten Individuen ausgeübt werden könnten.

Fraglich ist nun aber vor allem, warum ausgerechnet jetzt eine neue Welle der terroristischen Bedrohung auf Europa zurollen soll. Es gibt einige Gründe, die dafür sprechen.

1. Der Hamas und Hisbollah läuft die Zeit davon

Während die Hamas in Palästina als erste bewaffnete Instanz gegen Israel agiert, ist es für Hisbollah zu gefährlich, einen Angriff auf Israel zu starten, jedenfalls vorerst. Der Hamas droht in Rafah eine nachhaltige Schwächung oder sogar die Vernichtung.

Einer der einflussreichsten Führer der sunnitischen Organisation, Marwan Issa, wurde bereits bei einem israelischen Luftschlag getötet und hinterlässt eine klaffende Lücke in der Kommandostruktur der Hamas. Auch schwindet der Rückhalt für die Organisation, die sich zwar als Wohltäter der Palästinenser darstellt, die Zivilisten des kleinen Landstriches in aller Regel aber als menschliche Schutzschilde für ihre Operationen gegen das jüdische Israel ausnutzt.

Insofern besteht aus Sicht des verlängerten Arms Teherans das reale Risiko, aus dem Israel-Krieg äußerst geschwächt hervorzugehen. Die Eröffnung einer zweiten Front in Europa dürfte deshalb für die Hamas als eine strategisch notdürftige und gleichzeitig effektive Alternative wahrgenommen werden.

2. Einzeltäter sehen im Krieg in Gaza eine Legitimation

Sogenannte einsame Wölfe in Deutschland erfahren durch das Kriegsgeschehen ein entscheidendes Moment: Sie sehen in ihm ein Ventil für ihren persönlichen Frust. Diese Hebelwirkung ist für die Entstehung von Terrorismus nicht neu. Zur Zeit der Grenzöffnung im Jahr 2015 radikalisierten sich viele Rechtsextreme, sodass schließlich die Ermordung Walther Lübkes von einem unscheinbaren Einzeltäter quasi im Affekt verübt wurde.

Auch der Anschlag auf das Tesla-Werk in Grünheide bei Berlin, in seiner Schärfe und aufgrund der Folgen selbstverständlich nicht vergleichbar, ist als Reaktion auf größere Entwicklungen zu sehen. Unzureichend integrierte Jugendliche, die im Islamismus eine geistige Heimat vermuten, werden durch soziale Medien wie TikTok oder Telegram von dubiosen Gefährdern und Rattenfängern angesprochen, die ihnen Ideen zur "Verbesserung der Welt" einhauchen.

3. Der IS Ableger Khorasan ist in Afghanistan unter Druck

Wider Erwarten stellen sich die Taliban als erbitterte Gegner des IS in ihrem eigenen Land heraus. Dieser Zwist mag in Afghanistan selbst zu einer Zementierung der Macht der Taliban führen. Doch die in die Ecke gedrängten Kämpfer des Islamischen Staates suchen nun nach anderen Zielen, um ihre Macht auszuüben.

Mit Hochdruck arbeitet die Gruppe an einer Vergrößerung und auch einer Verbindung zu Ortsgruppen, etwa in Syrien. Um sich Spendengelder zu sichern und den eigenen Aktionsradius auszubauen, verübt diese Organisation auch Anschläge im Ausland. Die Folge für uns: Die IS-Terrorgefahr in Europa und Deutschland nimmt wieder zu.

Weitere Terroranschläge möglich

Diese drei Gründe beschwören auf beängstigende Art und Weise eine wachsende Terrorgefahr in Europa. Wenn es den Sicherheitsbehörden der EU nicht gelingt, diese Ursachen wirksam zu bekämpfen, könnte es demnächst zu neuen Anschlägen aus dem islamistischen Milieu kommen — sei es aufgrund von Anstiftungen Teherans, des IS oder infolge einer selbst initiierten Radikalisierung in den sozialen Medien.

Anschläge in der Vergangenheit und der aktuelle Anschlag in Moskau auf die Crocus City Hall führen uns vor Augen, dass der Terror auch an ungeahnten Stellen auftreten und Menschen in den Tod reißen kann. Insofern sollte die Prävention extremistischer Straftaten weiterhin ein Hauptanliegen europäischer Sicherheitsbehörden sein.

                                                                            ***

Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.



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