Politik

Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“

Lesezeit: 4 min
26.04.2024 15:27
Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um endlich von Politik und Regierung als Wirtschaftsfaktor ernstgenommen zu werden. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben sich in Berlin beim diesjährigen Treffen der „Denkfabrik Zukunft der Gastwelt" die Kritik angehört.
Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
Junge Touristin vor dem Brandenburger Tor in Berlin: Der Deutschland-Tourismus zieht auch immer Besucher aus China an (Foto: dpa).
Foto: Wolfgang Kumm

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Irgendwann ist Sybille Wiedemann aus Kempten im Allgäu der Kragen geplatzt. Und sie ließ es die versammelten Lobbyisten und Verbandsvertreter wissen, was sie von der Aussage der wirtschaftspolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Sandra Detzer, hält, dass die Beherbergungs- und Gastronomiebranche - anders als die Automobilbranche - nicht wirklich viel zu beklagen habe.

In der Tourismusbranche im Lande „ist noch nichts wieder in Ordnung“, entgegnete Wiedemann, Geschäftsführerin der proAllgäu GmbH, die gut 80 Hotels der Region diese Woche beim ersten „Gastwelt Summit“ in Berlin vertreten hat. Die Kunden bleiben aus, man findet kein Personal, die Energiepreise drücken, die Löhne sind mit Erhöhung des Mindestlohns zum Preistreiber geworden. Wie vielen Branchenvertretern beschleicht Wiedemann das „ungute Gefühl, dass Politik und Regierung ihre Branche nicht so richtig ernst nehmen und wertzuschätzen wissen“.

Warum der Deutschen Tourismus-Zentrale (DTZ) beim Fremdenverkehr die Mittel gekürzt werden

Eine Sorge, die viele der Anwesenden in Fragen und Statements auch gegenüber den Keynote-Speakern der Politik wie dem Tourismus-Koordinator der Ampel, Dieter Janecek (Bündnis 90/Grüne), zum Ausdruck brachten. Der versuchte zwar „positive Stimmung“ zu verbreiten, die Talsohle Corona sei durchschritten, es gehe aufwärts. Man habe schließlich das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht, der Strompreis sei auch wieder runter. Das klang für viele ziemlich oberlehrerhaft.

Janecek räumte zwar ein, dass Parteifreund Robert Habeck den Etat der Deutschen Tourismus Zentrale (DTZ) zusammenstreichen muss und damit de facto 30 Prozent des Marketingetats für Auslandswerbung wegfallen - sehr schade, aber da könne man nichts machen, angesichts der akuten Haushaltsprobleme der Regierung. Und bitter sei das mit der geplanten Abschaffung des Meldescheins, einem Dauerärgernis der Hotels. Schuld, dass „die Zettelwirtschaft erhalten bleibt“, seien indes die Länder und deren Sicherheitsbedenken gegenüber ausländischen Gästen. Laut Janecek habe die Ampel guten Willen gezeigt.

Gastgewerbe hart getroffen: 20 Jahre Aufwuchs - und nach Corona wieder von vorne anfangen

Ein besseres Gespür für die Stimmung in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft im alten Reichstags-Palais zeigte da Angela Merkels frühere Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), deren Familie die Bahnhofsgaststätte im westfälischen Tecklenburg mit acht Betten in einen florierenden mittelständischen Gastbetrieb verwandelt hat. „Und dann hat die Corona-Pandemie über 20 Jahre Aufwuchs einfach zunichte gemacht“, sagte sie, „und das in einer traditionell schon margenschwachen Branche“. Sie äußerte Verständnis, dass viele der kleinen Familienbetriebe im Lande Zweifel haben, ob die Krise am Abklingen ist.

Als Mitglied des Tourismusausschusses im Bundestag begrüßte die Hotelfachfrau das Bestreben, die so unterschiedlichen Akteure der Gastwelt unter einem Dach zu vereinen. „Es gibt Handlungsbedarf“, so Karliczek, „und Teamwork würde helfen“. Gut 20 Verbände kämpfen normalerweise sonst - jeder für sich - um „bessere Rahmenbedingungen für Tourismus, Travel, Hospitality und Food-Service“. Womit sofort deutlich wird, warum die zerfaserte Branche verzweifelt nach einem neuen umfassenden Logo sucht. Köche, Hoteldirektoren, Reiseveranstalter, Freizeitparks - die Branche ist ein buntes und vielfältiges Sammelsurium meist mittelständischer Betriebe, die das Problem haben, nicht als Marktmacht oder politischer Faktor wahrgenommen zu werden. „Dabei ist die Branche mit über 345 Milliarden Euro Wertschöpfung der zweitgrößte Motor der deutschen Wirtschaft“, erinnerte die Politikerin.

Ob sich das Wort „Gastwelt“ durchsetzen wird, erscheint dabei fraglich. Das könnte die erste ernüchternde Erkenntnis für Marcel Klinge, Vorstandssprecher der „Denkfabrik Zukunft der Gastwelt", sein. Trotz der zentralen Organisation „Germany Travel“ in Frankfurt, dem guten alten Fremdenverkehrsamt, das international um Besucher wirbt, ist die Branche nun mal innerhalb Deutschlands eher regional verwurzelt und aufgestellt. „Wobei nicht einmal alle Bundesländer wie bereits Bayern, Sachsen oder Schleswig-Holstein extra Landesministerien unterhalten", erläuterte Prof. Ralf Vogler von der Universität Heilbronn.

Er ordnete die Bedeutung des deutschen Tourismus und Gastgewerbes im Europa-Ländervergleich ein und verblüffte damit sogar manche der anwesenden Verbandspräsidenten. Während Kroatien, Griechenland, Portugal und Spanien beim Anteil des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes ihrer Gastweltbereiche, wie erwartet, vorne liegen, überrascht Deutschland nach Daten des World Tourism Council mit einem fast gleich hohen Niveau wie etwa Österreich oder Slowenien von fast zehn Prozent und liegt damit sogar vor manch klassischen Destinationen wie Frankreich, Ungarn - und der Schweiz.

Brauchen Tourismus und Gastronomie erst ein eigenes Ministerium wie in Spanien oder Italien?

„Ein eigenes Ministerium braucht Deutschland im Gegensatz zu den Spanien oder Italien meiner Meinung zwar nicht“, entgegnete Vogler auf die von den Verbänden zur Diskussion gebrachte Frage, wie sich die Mitglieder gesellschaftlich aufstellen sollten und besser organisieren könnten. Die Expertise zu bündeln und proaktiv auf die Politik zuzugehen, sei aber „der richtige Ansatz“.

Wie hat es Kopenhagen geschafft, als Städte-Reiseziel aus dem Peloton in die Spitzengruppe vorzustoßen? Das fragte Martin Behle von der Metro AG und wunderte sich, „warum niemand im Lande zur Kenntnis nimmt, dass zum Beispiel Baden-Württemberg in Sachen Spitzen-Gastronomie und Michelin-Sternen auf dem dritten Platz weltweit“ steht. Ingo Lies, Inhaber des Reiseveranstalters Chamäleon aus Berlin, erinnerte wiederum daran, dass der Tourismus eigentlich viel wichtiger sei für das Land, als allein die Umsatzzahlen suggerieren: „Wir als Outbound-Veranstalter sorgen zwar mehr für Umsatz im Ausland, aber die deutschen Reiseweltmeister müssen als Faktor einbezogen werden.“

Es sei „Zeit für einen Mentalitätswechsel“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Dijr-Sarai, wollte damit zwar vielmehr für das 12-Punkte-Programm seiner Partei für eine Wirtschaftswende in Deutschland werben. Es könnte auch den erhofften Aufbruch der Tourismusbranche beschreiben, für den in Berlin erstmals wirklich vernehmlich getrommelt wurde. „Wir sind als Branche der zweitgrößte Arbeitgeber im Land“, machten sich die Verbandsvertreter gegenseitig Mut, „es wird allmählich Zeit, dass das ankommt in Berlin.“

Bei aktuell über 50 Grad in Bangkok und bei den oberägyptischen Königsgräbern in Abu Simbel ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Bedeutung des Tourismus in Deutschland im Vergleich zu Fernreisen sogar noch zunimmt. Das wurde in der neuen Strategie der Gastwelt noch gar nicht so berücksichtigt.

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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