Weltwirtschaft

Frankreich als Knotenpunkt für US-Investitionen - warum fällt uns das so schwer?

Lesezeit: 4 min
09.06.2024 13:31
Beim Choose France Gipfel in Versailles sicherte sich Emmanuel Macron Investitionszusagen in Höhe von 15 Milliarden Euro zu. Technologie- und Pharmaunternehmen konnten sich von der günstigen Infrastruktur Frankreichs überzeugen. Doch warum schafft es ausgerechnet Frankreich, große Standorte wie Deutschland und Großbritannien auszustechen?
Frankreich als Knotenpunkt für US-Investitionen - warum fällt uns das so schwer?
Microsoft-CEO Brad Smith (r) schüttelt dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im französischen Microsoft-Hauptquartier die Hand- Frankreich hat sich Investitionen des Konzerns in Höhe von 4 Milliarden gesichert (Foto: dpa).
Foto: Thibault Camus

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15 Milliarden Euro und 10.000 neue Arbeitsplätze

Der Choose France Gipfel wurde erstmals im Jahr 2018 von Emmanuel Macron ins Leben gerufen. Das als „Mini-Davos“ bezeichnete Treffen zieht hochkarätige Führungskräfte aus aller Welt an, die in Frankreich investieren wollen. Macron Vorstoß, sein Land zu einem attraktiven Ziel für Investitionen zu machen, scheint insbesondere in diesem Jahr mit Erfolg gekrönt zu sein.

Zu den wichtigsten Investoren gehören dieses Jahr namhafte Firmen wie Microsoft, Amazon, Pfizer und AstraZeneca. Laut dem Wall Street Journal gilt Frankreich als Knotenpunkt für ausländische Investitionen in Europa. Viele Investoren gehen demnach davon aus, dass das Land in den nächsten drei Jahren deutlich an Attraktivität gewinnen könnte.

So kündigte Microsofts Präsident Brad Smith an, vier Milliarden Euro in den Aufbau von Rechenzentren, Cloud-Infrastruktur und der Forschung künstlicher Intelligenz in Frankreich zu investieren. Amazon will 1,2 Milliarden Euro investieren, um ebenfalls eine Cloud- und eine Logistikinfrastruktur zu etablieren. Doch auch kleinere Player wie JPMorgan Chase, Morgan Stanley, Accenture und Qatar Investment Authority sagten mehrere Investitionen zu.

Neben den Tech-Giganten sind es vor allem pharmazeutische Firmen, die in Frankreich investieren wollen. Die Präsidentin von Pfizer France machte das solide biopharmazeutische Ökosystem in Frankreich dafür verantwortlich: Hier könne gut in Innovationen im Bereich der Onkologie und ähnlichen geforscht werden. Pfizer will Forschung und Entwicklung innerhalb eines Fünfjahresplans mit 500 Millionen Euro stärken. Sanofi, ein französischer Pharmakonzern, sieht ebenso große Wachstumsmöglichkeiten und will die Produktionskapazitäten mit über einer Milliarde Euro ausbauen. AstraZeneca möchte den Produktionsstandort in Dünkirchen mit 388 Millionen Dollar unterstützen.

Alles in allem spricht Macron von einem großen Erfolg, der 15 Milliarden Euro und in etwa 10.000 Arbeitsplätze für Frankreich bedeuten könnte. Es zeigt sich, dass ausländische Investitionen in der Regel für beide Seiten gewinnbringend sind. Doch warum profiliert sich ausgerechnet das Land, das jahrelang im Schatten Deutschlands und Großbritanniens wirtschaftete?

Frankreich: souverän, widerstandsfähig, weitsichtig — und erfolgreicher als Deutschland?

Deutschland konnte viele Jahre lang von der Globalisierung profitieren: Die Bundesrepublik verdrängte die französische Autoindustrie aus China und konnte hier während der Merkeljahre große Umsätze schaffen. Doch Corona-Krise und Ukrainekrieg haben die Bundesrepublik in eine offenbar endlose Serie von Problemen katapultiert, Frankreich hingegen konnte sich sowohl wirtschaftlich als auch militärisch in dieser Zeit beweisen.

Während Deutschland durch seine schwindende Konkurrenzfähigkeit auf hohe Subventionen angewiesen war und ist, um seine wirtschaftliche Schrumpfung wenigstens abzufedern, konnte Frankreichs Wirtschaft im Jahr 2023 um ein Prozent wachsen. Laut Marcel Fratzscher, dem ehemaligen Manager der Europäischen Zentralbank und Präsident der Denkfabrik DIW in Berlin, kann diese unerwartete Entwicklung auf drei Faktoren zugunsten Frankreichs zurückgeführt werden:

Präsident Emmanuel Macron habe allein schon durch das Präsidialsystem Frankreichs die Macht, seine Maßnahmen rasch umzusetzen. Die deutsche Gewaltenteilung hingegen sei zwar robust und weniger anfällig für Missbrauch, dafür aber deutlich langsamer. Die Ampelkoalition sorge zudem für etliche interne Streitigkeiten, die die Entscheidungsfindung zudem erschweren.

Angesichts der vielen Herausforderungen schafft es die deutsche Regierung demzufolge nicht, im Wettbewerb zu punkten. Der Export industrieller Güter wird von China abgeschöpft, während wichtige Unternehmen von den USA und China zur Abwanderung bewegt werden.

Frankreich ist zwar bisher nicht erfolgreicher als Deutschland, doch es nähert sich seinem Nachbar in großen Schritten an. In den letzten vier Jahren konnte das Land wachsen und große Investitionen an sich ziehen, zwei Dinge, die die Bundesrepublik versäumt hat. Hohe Kosten, die Unsicherheit bei der Energieversorgung und ein rezessives Umfeld schrecken Investoren in Deutschland ab, die komplexe Bürokratie tut ihr Übriges, um diesen Trend zu befeuern.

Deutschland ist somit nicht völlig abgeschlagen, allerdings nur die Nummer drei der wichtigsten Industrieregionen Europas. Platz zwei belegte Großbritannien, wozu insbesondere London als stärkste Investitionsregion Europas beitrug, während Paris auf dem zweiten und Frankreich als Land für Investitionen auf dem ersten Platz landete.

35 Prozent weniger Investitionen in Deutschland: Trotz Chipindustrie?

Die deutsche Wirtschaft probiert indessen, sich in neuen Gebieten zu profilieren. Speziell die Halbleiterindustrie steht dabei im Fokus: So sollen etwa Intel in Magdeburg und TSMC im Raum Dresden angesiedelt werden. Was allerdings schon lange im Gespräch ist, wird derzeit nur mühsam aufgebaut.

Christoph Schell vom Intel-Vorstand konstatiert, Europa müsse eine starke Infrastruktur für Chips aufbauen, um seine Digitalisierung voranzutreiben. Bereits jetzt sucht Schell nach Investoren für eine Industrie, die es in Deutschland noch gar nicht gibt, entsprechend träge reagieren potenzielle Investoren auf den neu entstehenden Markt in Deutschland. Idealerweise soll hier eine souveräne Industrie entstehen, die Europas Selbstversorgung und eigenständige Forschung ermöglicht. Das technische Know-how Deutschlands könnte durch die Nähe Polens unterstützt werden, wo günstige Arbeitskräfte für eine zuverlässige Verarbeitung sorgen könnten.

Gunther Kegel, Präsident vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie, hält höhere Subventionen für unerlässlich, um starke Strukturen im Halbleiterbereich aufzubauen. Und tatsächlich scheint sich etwas zu bewegen: Derzeit liegt die Investitionssumme für Intel bei insgesamt 33 Milliarden Euro, von denen 9,9 Milliarden Subventionen gewesen sind, bei TSMC liegt die gesamte Investitionssumme bei 10 Milliarden Euro, mit einem Anteil an Subventionen von fünf Milliarden Euro. Infineon in Dresden konnte durch Subventionen von einer Milliarde Euro Investitionen von insgesamt fünf Milliarden Euro gewinnen.

Da derzeit noch die Infrastruktur für eine Halbleiterindustrie in Ostdeutschland aufgebaut wird, lässt sich bisher nicht abschätzen, wie groß das Potenzial für neue Investitionen langfristig sein wird. Derzeit planen die Landkreise eifrig die Ansiedlung neuer Fachkräfte und diskutieren etwa über neue S-Bahn-Strecken zu den Halbleiterfabriken sowie den Aufbau einer Lieferkette nach Polen, wo die Rohmaterialien der Chips günstig verarbeitet werden.

Europa: Zwischen den Weltmächten und doch optimistisch

Das deutsche ist durchaus auch ein europäisches Problem: Die großen Weltmächte USA und China, aber auch Player wie Russland und Israel verfügen bereits jetzt über eine deutlich fortschrittlichere KI-Forschung als Deutschland, die Chipherstellung ist für Europa Neuland. Und doch sind die wichtigsten Voraussetzungen für stärkere Investitionen gegeben: Eine starke Infrastruktur, die gebildete Bevölkerung und die zuverlässige Werkbank Osteuropa sprechen für sich.

Deutschland mag als föderales, langsames System zwar auf den ersten Blick weniger attraktiv erscheinen als ein flexibles, zentralistisches Frankreich mit seinem ambitionierten Präsidenten Macron, der schon vor Ausbruch der heutigen Krisen die Souveränität seines Landes ausbauen ließ. Doch es sollte ohnehin nicht das Ziel sein, Frankreich zu überholen.

Vielmehr, so Marcel Fratzscher, sollten beide Länder als Knotenpunkt Europas agieren und gemeinsam eine zukunftsweisende Infrastruktur aufbauen. Nur so könne sich die Union als attraktiver Investitionsstandort etablieren. Der Gewinn wäre groß: Erneuerbare Energien, die Industrie 4.0, die Automobilindustrie und die pharmazeutische und Biotechnologie sind nur einige Beispiele für Sektoren, deren Grundstein hier bereits gelegt ist und die eine große Zahl ausländischer Investoren anziehen könnten.

Dafür braucht es aber vor allem zwei Dinge: wirtschaftlichen Pragmatismus und politische Stabilität. In beiden Bereichen könnte sich die Bundesrepublik einiges von ihrem französischen Gegenstück abschauen

                                                                            ***

Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.



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