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Ampelstreit: Habeck will plötzlich umstrittenes Lieferkettengesetz aussetzen

Lesezeit: 3 min
10.06.2024 18:43  Aktualisiert: 10.06.2030 16:00
Wirtschaftsminister Robert Habeck möchte plötzlich das deutsche Lieferkettengesetz für zwei Jahre aussetzen, bis die europäische Richtlinie greift. Das sorgt erneut für Unruhe in der Ampelregierung. Unternehmensverbände und FDP stimmen zu, SPD und einige Grüne nicht. Entwicklungsorganisationen und die Deutsche Umwelthilfe sind entsetzt. Was hat es mit Habecks Vorschlag auf sich? Kommt nach der Wahl-Klatsche bei der Europawahl die erhoffte Wirtschaftswende, um deren Stagnation aufzuhalten?
Ampelstreit: Habeck will plötzlich umstrittenes Lieferkettengesetz aussetzen
Robert Habeck (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz) überrascht mit einer möglichen "Pause" beim deutschen Lieferkettengesetz (Foto: dpa).
Foto: Bernd von Jutrczenka

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Das Lieferkettengesetz nimmt Unternehmen für Missstände in den Lieferketten in die Pflicht. Vor allem Umweltsünden und Zwangsarbeit sollen so verhindert werden. Robert Habecks Vorschlag, das Gesetz möglicherweise auszusetzen, kam am Freitag für alle überraschend: Bei der Anwendung des Lieferkettengesetzes solle eine „Pause“ eingelegt werden. Das sagte der Bundeswirtschaftsminister beim Kongress „Tag der Familienunternehmen“ in Berlin.

„Ich habe vorgeschlagen, das deutsche Lieferkettengesetz, solange bis das EU-Recht umgesetzt ist, zu pausieren beziehungsweise deutlich zu reduzieren“, erläuterte er später. Der Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards werde nur dann erfolgreich sein, wenn er bei den Unternehmen Akzeptanz fände. Offen ließ er, was genau er mit einer „Pause“ meint.

Habeck will deutsches Lieferkettengesetz aussetzen

Die SPD lehnte umgehend Habecks Vorstoß ab. Für SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erweist der Wirtschaftsminister den „langjährigen Bemühungen um eine an Menschenrechten und fairen Löhnen orientierte und gegen Ausbeutung gerichtete Wirtschaftspolitik einen Bärendienst“. Es sei eine „gewohnte Praxis, nationale Regelungen an EU-Recht anzupassen“, so Mützenich. „Bis dahin bleibt es aber beim gültigen Gesetz.“

Auch das zuständige Bundesarbeitsministerium wird sich nach wie vor für die Umsetzung strenger Lieferkettenregeln in Deutschland einsetzen. Ein Sprecher von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) entgegnete jetzt, im Sinne eines fairen Wettbewerbs habe sich das Arbeitsressort für ein nationales und europäisches Lieferkettengesetz eingesetzt. Heils Sprecher sagte, Ziel seien eine möglichst einfache und praxisnahe Umsetzung des Lieferkettengesetzes und der entsprechenden EU-Lieferkettenrichtlinie sowie die Sicherung wirksamen Menschenrechtsschutzes. „Darüber hinausgehende Pläne sind dem Bundesarbeitsministerium nicht bekannt.“

Kritik am deutschen Lieferkettengesetz

Die Wirtschaft hat das Gesetz immer wieder scharf kritisiert, wegen der bürokratischen Dokumentationspflichten und deren schwierige Umsetzbarkeit. Das deutsche Lieferkettengesetz ist vollständig in Kraft und gilt für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigte. Diese sind mitverantwortlich für die Einhaltung der Menschenrechte der Beschäftigten ihrer weltweiten Zulieferfirmen.

Kürzlich hat die Europäische Union außerdem ihre Lieferkettenrichtlinie beschlossen, die teilweise über das deutsche Gesetz hinausgeht. Die Mitgliedsländer müssen sie innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht übertragen, wobei zunächst nur große Unternehmen ab 5.000 Beschäftigte daran gebunden sind. In den folgenden Jahren gilt das dann auch für Unternehmen ab 1.000 Arbeitnehmer.

Einer der größten Unterschiede zwischen dem deutschen Gesetz und der EU-Richtlinie ist die Haftbarkeit. Im deutschen Gesetz ist ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind – die EU-Regelung lässt das zu.

Einfacherer Übergang zu EU-Regeln?

Bei der grünen Partei herrscht Irritation. „Eine Pausierung oder Aussetzung des Gesetzes lehne ich als federführender Abgeordneter für das Thema in der grünen Fraktion ab“, erklärte Wolfgang Strengmann-Kuhn. Andere zuständige Abgeordnete sähen das ähnlich. „Ich kann mir schwer vorstellen, dass es eine Mehrheit in der Fraktion für die Pausierung gibt“, so Strengmann-Kuhn.

Die grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini deutete den Vorschlag dahingehend, dass Habeck nicht die „Kernpflichten“ aussetzen wolle, die das Gesetz den Unternehmen auferlege. Es gehe ihm darum, den „Übergang“ von der deutschen zur europäischen Regelung „so einfach wie möglich zu machen“. Tatsächlich hatte Habeck schon vor geraumer Zeit angeregt, die Berichtspflicht der Firmen laut deutschem Gesetz vorübergehend aufzuheben, um ihnen Arbeit zu ersparen.

FDP und Wirtschaft begrüßen die Initiative

Die FDP begrüßt Habecks Vorschlag: Ein Stopp des deutschen Lieferkettengesetzes wäre „ein wichtiger Beitrag für die Wirtschaftswende“, erklärte Fraktionschef Christian Dürr. Die Liberalen fordern, das Gesetz bis zum Inkrafttreten der EU-Regelung „vollständig auszusetzen“. „Habecks Vorstoß nährt nun eine neue Hoffnung, dass die Aussetzung in der Regierung mehrheitsfähig werden kann“, sagte FDP-Justizminister Marco Buschmann.

Einige Wirtschaftsverbände äußerten sich ebenfalls zustimmend und betonen die Notwendigkeit einer Aussetzung. „Es ist überfällig, das deutsche Lieferkettengesetz jetzt aufzuheben und die europäische Richtlinie nur in schlanker Form umzusetzen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung BDA, Steffen Kampeter. „Mit der Aussetzung würden wir die dringend benötigte Atempause für die deutsche Wirtschaft schaffen.“ Auch der Verband der Chemischen Industrie hob hervor, die Unternehmen brauchten dringend Entlastung. „Der Vorschlag von Wirtschaftsminister Habeck kommt zur rechten Zeit“, sagte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. „Wir stehen zur Wahrung der Menschenrechte. Aber der europäische Standard braucht keinen deutschen Überfüllungswahn.“

DUH: Unausgegorener Vorschlag des Klimaministers

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert in einer Pressemitteilung den Vorschlag, das deutsche Lieferkettengesetz für zwei Jahre pausieren zu lassen, scharf und fordert SPD und Grüne auf, dies zurückzuweisen. Dazu sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Das von der Großen Koalition beschlossene Lieferkettengesetz ist ein Meilenstein für Klimaschutz, faire Arbeit und Menschenrechte im Handel. Das Gesetz schafft Rechtssicherheit und belohnt Unternehmen, die sich schon immer verantwortungsbewusst verhalten. Außerdem hilft es allen vom Gesetz erfassten Unternehmen, ihre Lieferkette besser zu verstehen und dadurch verantwortungsbewusster zu gestalten.“ Müller-Kraenner kritisiert außerdem, dass das Aussetzen des geltenden Lieferkettengesetzes keinem hilft und neue Rechtsunsicherheit schafft. Auch Ver­tre­te­r von Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation wie das katholische Hilfswerk Misereor und die Initiative Lieferkettengesetz kritisierten den Vorstoß des Wirtschaftsministers scharf.

Fakt ist, die deutsche Wirtschaft stagniert: Der Wirtschaftsminister braucht dringend ein besseres Verhältnis zu den Wirtschafts­verbänden, aber auch zum Koalitionspartner FDP. Schließlich steckt die Ampelregierung in äußerst schwierigen Verhandlungen über das Haushaltsbudget 2025. ­Finanzminister Christian Lindner hat gerade eine umfangreiche ­Steuerentlastung gefordert, die nicht im Sinne von SPD und Grünen ist. Vielleicht ist Habecks Vorschlag zum Aussetzen des Lieferkettengesetzes so etwas wie ein „fauler“ Kompromiss.

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


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