Unternehmen

Abwanderung Arbeitsmarkt: Junge, gutgebildete Deutsche verlassen das Land

Auswanderungsland Deutschland: 2023 wanderten 1,3 Millionen Menschen aus, davon etwa 210.000 Fachkräfte im Alter von 20 bis 40 Jahren – drei Viertel von Ihnen haben einen Hochschulabschluss. Andere Länder scheinen attraktiver. Hochqualifizierter Nachwuchs wandert aus. Ein Trend, der sich fortsetzt?
04.09.2024 06:01
Lesezeit: 3 min
Abwanderung Arbeitsmarkt: Junge, gutgebildete Deutsche verlassen das Land
Immer weniger Studenten wollen in Deutschland bleiben: Jeder sechste Student will das Land nach dem Hochschulabschluss verlassen. (Foto: dpa) Foto: Xavier Lorenzo

Fachkräftemangel – dieser Begriff hat Konjunktur. Dass qualifizierte Leute gesucht werden, ist das Schlagwort der Politik und der Wirtschaft und wird als Hauptursache für die konjunkturellen Probleme im Land genannt. Während sich Politiker, Wirtschaftsexperten und Arbeitsmarktforscher noch Gedanken um den besten Weg machen, gut ausgebildete Bewerber ins Land zu holen und möglichst zu halten, findet in Deutschland eine schleichende Abwanderung von jungen Menschen statt. Und das oft direkt nach Abschluss des Studiums, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamts und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) belegen. Jährlich verlassen rund 210.000 Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft im Alter von 20 bis 40 Jahren das Land – drei Viertel haben einen mit Hochschulabschluss – Tendenz steigend.

Zehn Prozent suchen aktiv im Ausland

Die Zahl der Rückkehrer nimmt dagegen immer weiter ab. Zehn Prozent der unter 30-Jährigen sind außerdem aktiv auf der Suche nach einem Job im Ausland. Laut der BiB-Erhebung nannten die Befragten den Faktor Unzufriedenheit als Haupt-Auswanderungsgrund: 2023 waren nur 22 Prozent mit ihrem Leben in Deutschland zufrieden - im Jahr 2019 waren es noch 33 Prozent.

Thomas Liebig, der für die OECD zum Thema Migration forscht, sieht Handlungsbedarf. Denn hochqualifizierte Menschen werden in Deutschland dringend gesucht. Entscheidungsträger deutscher Unternehmen und die Politik sollten sich deshalb fragen, warum gut ausgebildete Deutsche auswandern – und wie man Anreize für eine Rückkehr schaffen könnte.

Erster Auslandsaufenthalt oft entscheidend

Viele junge Deutsche planen zunächst einen vorübergehenden Aufenthalt im Ausland. Häufig bleibt der Aufenthalt jedoch länger als ursprünglich geplant, vor allem wenn sich ein soziales Umfeld entwickelt hat.

Jährlich studieren rund 130.000 Deutsche im Ausland, darunter etwa 30.000 während eines Auslandssemesters. Laut Migrationsexperte Liebig erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, nach dem Studium im Ausland zu bleiben, wenn es einfach ist, dort eine Arbeitsstelle zu finden.

Warum verlassen Menschen Ihre Heimat?

Für viele junge Menschen sind Karrierechancen und Arbeitskultur entscheidend. Rund 60 Prozent der Berufseinsteiger wählen ihren Arbeitgeber nach Gehalt und Arbeitsinhalten aus, wobei der Standort oft eine untergeordnete Rolle spielt. Ein bedeutender Grund für die Auswanderung ist der Wunsch nach einem höheren Lebensstandard.

Laut der BiB-Studie streben etwa 57,5 Prozent der Auswanderer eine Karriere im Ausland an. Beliebte Ziele sind die Schweiz, Österreich, Großbritannien und die USA. Diese Länder locken mit besseren Jobangeboten, besseren Gehältern und weniger Bürokratie. Jeweils mehr als die Hälfte der Befragten vor dem Studienabschluss geben diese Gründe fürs Auswandern an!

Für Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei der Jobplattform Stepstone, sind die Ergebnisse für heutige Auswanderer relevant. Im Ausland verdienen hoch qualifizierte Fachkräfte durchschnittlich etwa 1.300 Euro netto mehr als in Deutschland. Dies liegt oft an niedrigeren Steuern und Abgaben.

Thomas Liebig, Migrationsexperte von der OECD, bestätigt ebenfalls, dass trotz höherer Lebenshaltungskosten in Ländern wie der Schweiz mehr vom Gehalt übrigbleibt. Auch in den Niederlanden profitieren Fachkräfte von Steuererleichterungen, bei denen bis zu 30 Prozent des Gehalts steuerfrei bleiben können. Dies macht einen deutlichen Unterschied zu Deutschland, wo hohe Abgaben auch bei vergleichbarem Bruttogehalt anfallen.

Ausblick: 330.000 Studierende vor dem Absprung

Immer weniger Jungstudenten wollen nach ihrem Hochschulabschluss in Deutschland bleiben: Fast jeder sechste Student hat bereits konkrete Pläne, das Land nach dem Abschluss zu verlassen. Laut Angaben der „Welt" führten der Personaldienstleister Jobvalley und das Department of Labour Economics der Universität Maastricht eine Studie im Herbst 2023 mit 12.343 Studenten in Deutschland durch. Clemens Weitz, der Geschäftsführer von Jobvalley, bezeichnet die Ergebnisse und die sich daraus ergebenden Konsequenzen als eine „Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland“.

Mehr als ein Sechstel (18 Prozent) der Umfrageteilnehmer beurteilen Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland positiver. Personen mit Migrationshintergrund schätzen ihre beruflichen Perspektiven im Ausland sogar zu 24 Prozent besser ein, was knapp 6 Prozentpunkte über dem Durchschnitt aller Studenten liegt. Weintz warnt: „Es ist besonders alarmierend, dass wir Gefahr laufen, jeden fünften bis sechsten Studierenden zu verlieren.“

Zusätzlich zeigte die Untersuchung, dass sowohl die Zustimmung zu besseren Berufsaussichten im Ausland (24 Prozent) als auch die Absicht zur Auswanderung (17,5 Prozent) unter Studenten mit Migrationshintergrund noch höher ist.

Drohender Talentabwanderung in Deutschland

Das Land steht vor der Gefahr eines wachsenden „Brain-Drains“. Es droht die Abwanderung junger Menschen mit überdurchschnittlich guter Bildung. Einerseits kehren gerade ausländische Studierende vermehrt in ihre Heimatländer oder andere Länder zurück. Andererseits erwägen oder planen auch viele deutsche Studierende einen Umzug. Deutschland scheint immer mehr gut Qualifizierte nach ihrer Ausbildung an andere Länder zu verlieren. Die Schweiz zeigt, wie gering die Hemmschwelle zur Auswanderung sein kann, und dass gute Fachkräfte dort sehr willkommen sind.

Auf der Gegenseite wird Deutschland immer unattraktiver für Zuwanderung: Derzeit steht Deutschland auf Platz fünf der Länder, in die Menschen am liebsten auswandern – die niedrigste Platzierung bisher für Deutschland.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Funkmast auf Futterwiese: Das verdienen Landwirte mit Mobilfunkmasten
26.04.2025

Wer als Landwirt ungenutzte Flächen oder Scheunendächer für Mobilfunkanbieter öffnet, kann mit Funkmasten stabile Zusatzeinnahmen...

DWN
Panorama
Panorama Generation Z lehnt Führungspositionen ab – Unternehmen müssen umdenken
25.04.2025

Die Generation Z zeigt sich zunehmend unbeeindruckt von traditionellen Karrierewegen und Führungspositionen im mittleren Management. Eine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Reichster Ostdeutscher: Wie ein Unternehmer einen kleinen DDR-Betrieb zum globalen Player macht
25.04.2025

Rekord-Umsatz trotz Krisen: Der Umsatz von ORAFOL betrug im Jahr 2024 betrug 883 Millionen Euro – ein Rekordjahr trotz Wirtschaftskrise....

DWN
Politik
Politik Rentenbeiträge und Krankenkasse: Sozialabgaben werden weiter steigen
25.04.2025

Gerade bei der Rente hat die kommende Merz-Regierung ambitionierte Pläne. Doch gemeinsam mit den Krankenkassenbeiträgen droht...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gold im Höhenrausch: Wenn Trump das Gold sieht, wird es gefährlich
25.04.2025

Der Goldpreis steht kurz davor, einen historischen Rekord nicht nur zu brechen, sondern ihn regelrecht zu pulverisieren. Die Feinunze Gold...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Autoindustrie unter Druck: Zollkrieg sorgt für höhere Preise und verschärften Wettbewerb
25.04.2025

Der Zollkrieg zwischen den USA und Europa könnte die Auto-Preise in den USA steigen lassen und den Wettbewerb in Europa verschärfen....

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen der Deutschen auf Rekordhoch – aber die Ungleichheit wächst mit
25.04.2025

Private Haushalte in Deutschland verfügen so viel Geld wie nie zuvor – doch profitieren längst nicht alle gleichermaßen vom...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland am Wendepunkt: Wirtschaftsmodell zerbricht, Polen rückt vor
25.04.2025

Deutschlands Wirtschaftsmaschinerie galt jahrzehntelang als unaufhaltsam. Doch wie Dr. Krzysztof Mazur im Gespräch mit Polityka...