Der Untersuchungsausschuss im Bundestag zum Atomausstieg ist vorbei. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der als vorletzter Zeuge vor Kanzler Olaf Scholz (SPD) auftrat, betonte in Berlin, ein Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland sei vor drei Jahren ohne ideologische Vorfestlegungen und ergebnisoffen geprüft worden. „Es gab keine Denkverbote.“ Die einzige Frage sei gewesen, ob es der Versorgungssicherheit helfe und umsetzbar sei. Scholz wurde als letzter befragt, der Kanzler verteidigte sein Vorgehen auch im Nachhinein als "richtig".
Atomausstieg: Schlagabtausch bei Habeck-Befragung im U-Ausschuss
Dem Ausschussvorsitzenden Stefan Heck (CDU) warf Habeck seinerseits vor, Aussagen nicht mit Akten belegen zu können und Beweismaterial falsch zusammengefasst zu haben. „Wo sehen Sie einen Widerspruch zu meinen Ausführungen, nicht zu Ihren Annahmen?“, fragte er Heck. Habeck warf zudem den unionsgeführten Vorgängerregierungen vor, Deutschland in eine gefährliche Abhängigkeit von russischem Gas geführt zu haben.
Habeck erklärte, noch im Frühjahr 2022 hätten die Chefs der drei Betreiber der damals noch laufenden Atomkraftwerke gesagt, mit den vorhandenen Brennelementen sei ein Weiterbetrieb über das Jahresende hinaus und damit im Winter nur möglich, wenn diese im Sommer heruntergefahren würden. Die Folge wären aber keine zusätzlichen Strommengen gewesen. Die Folge wäre gewesen, im Sommer mehr Gas zur Stromproduktion einzusetzen. Das wäre wegen ausbleibender russischer Gaslieferungen aber riskant gewesen.
Atomausstieg: Wochenlanger Streit und Machtwort des Kanzlers
Vor dem Hintergrund der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine liefen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland ein paar Monate länger als ursprünglich geplant – der Atomausstieg verschob sich vom 31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023.
Davor lag nach einem Streit innerhalb der damaligen Ampel-Koalition ein Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Herbst 2022. Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte in seiner Befragung im U-Ausschuss am Mittwoch, der Entscheidung von Scholz seien intensive Beratungen mit ihm und Habeck vorausgegangen.
Umweltministerin Lemke betont Bedeutung von nuklearer Sicherheit
Neben Lindner waren am Mittwoch auch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sowie Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) im Untersuchungsausschuss befragt worden. Lemke betonte während der mehrstündigen Befragung, dass für ihr Ministerium stets die Frage der nuklearen Sicherheit im Vordergrund gestanden habe. Diese sei 2022, als die Entscheidungen zu möglichen Laufzeitverlängerungen geprüft worden seien, die Maßgabe für jedes „verantwortliche Regierungshandeln“ gewesen.
Atomausstieg aus ideologischen Gründen? Vorwürfe an Grünen-Minister
Im März 2022 hatte eine gemeinsame Prüfung von Wirtschafts- und Umweltministerium ergeben, dass eine Verlängerung der Laufzeiten der noch verbliebenen Atomkraftwerke nur einen „sehr begrenzten Beitrag zur Lösung des Problems leisten könnte, und dies zu sehr hohen wirtschaftlichen Kosten, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken“.
Vor allem die Union wirft Lemke und Habeck vor, den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken nicht „ergebnisoffen“ und „unvoreingenommen“ geprüft, sondern aus ideologischen Gründen entschieden zu haben. Lemke wies den Vorwurf entschieden zurück.
Lindner kritisiert früheren Ampel-Partner: „Identitätspolitisch“ auf die Frage der Kernenergie geschaut
Lindner kritisierte den Kurs der Grünen-Ministerien. Der FDP-Chef sagte, bei den Grünen sei die Bereitschaft zu undogmatischen Entscheidungen bei der Frage der Kernenergie an Grenzen gestoßen. Aus heutiger Sicht hätten parteipolitische und taktische Erwägungen eine größere Rolle gespielt, als er damals glaubte zu beobachten. Die Grünen-Fraktion habe „identitätspolitisch“ auf die Frage der Kernenergie geschaut.
Mit Blick auf den Herbst 2022 und die Grünen-Ministerien sagte Lindner, im Finanzministerium seien die Zweifel gewachsen, dass es sich um eine vollumfängliche ergebnisoffene Prüfung handle.
Aus seiner Sicht wäre maximaler Pragmatismus notwendig gewesen, um angesichts der stark steigenden Preise für zusätzliches Stromangebot zu sorgen. Seine Haltung sei gewesen, dass alle drei Kernkraftwerke mindestens bis und über den Winter 2023/24 weiterlaufen sollten, so Lindner. Außerdem habe er auch als Option gesehen, 2021 abgeschaltete Kernkraftwerke zurück ans Netz zu holen, falls möglich. Diese Positionen Lindners waren bekannt.
Kanzleramtschef Schmidt sagte im Ausschuss, die Entscheidung zur Laufzeitverlängerung sei richtig gewesen. Die Bundesregierung habe unter allen Umständen die Energieversorgung sicherstellen müssen. Deutschland sei auch dank dieser Maßnahme gut durch den Winter gekommen.
40 Zeugen beim Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg
In den vergangenen Wochen und Monaten wurden bereits zahlreiche Zeugen im Ausschuss befragt. Nach Angaben des Ausschussvorsitzenden Stefan Heck (CDU) werden es mit Scholz und Habeck seit dem Beginn der Befragungen im Oktober 2024 am Ende 40 Zeugen gewesen sein. Dass dies trotz verkürzter Legislaturperiode möglich gewesen sei, sei eine „beachtliche Leistung“, sagte Heck. „Wir sind froh, dass wir überhaupt fertig geworden sind.“
Auch ein Abschlussbericht sei in den kommenden Wochen geplant – wenn auch abweichend vom regulären Verfahren. Der Bericht, der dann Stellungnahmen aus allen Fraktionen enthalten soll, soll noch im Februar vor der Bundestagswahl der Bundestagspräsidentin vorgelegt werden. Heck kritisierte mit Blick auf die bisherigen Befragungen im Ausschuss: „Alle, die an entscheidender Stelle tätig waren, sind einen klaren Antiatomkurs gefahren.“
Scholz verteidigt Atomausstieg und verweist auf Konsens
Zuletzt wurde Kanzler Olaf Scholz befragt. Der Kanzler verteidigte dabei die Entscheidungen aus dem Jahr 2022 und bezeichnete den Atomausstieg als „richtig“. Eine mehrjährige Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wäre laut Scholz „gegen den Konsens“ aus den Vorjahren und den vorherigen Bundesregierungen gewesen.
Im Oktober 2022 sei er nach Gesprächen mit den Betreibern von Atomkraftwerken sowie den Ministern für Finanzen und Wirtschaft zu dem Schluss gekommen, dass es die „sinnvollste Lösung“ sei, die Atomkraftwerke im Streckbetrieb bis Mitte April 2023 weiterlaufen zu lassen. „Mein Ziel war es, die Sicherheit der Energieversorgung unter allen Umständen zu gewährleisten“, erklärte Scholz. Deshalb sei es sowohl im Umwelt- als auch im Wirtschaftsministerium darum gegangen, die Weiternutzung der Atomkraftwerke „ergebnisoffen“ zu prüfen.