Wirtschaft

EU kämpft mit Umweltabgaben und Wettbewerbsdruck in der Düngemittelindustrie

Die europäische Düngemittelindustrie steht unter erheblichem Druck. Hohe Produktionskosten, steigende Emissionsabgaben und der wachsende Wettbewerb durch billige Importe erschweren es Herstellern, wirtschaftlich zu arbeiten. Auch führende Unternehmen wie AB „Achema“ kämpfen derzeit mit den Folgen dieser Herausforderungen. Experten betonen, dass politische Vorgaben, globale Marktbedingungen und technologische Anforderungen die Stabilisierung der Produktion erschweren und die Wettbewerbsfähigkeit Europas belasten.
08.10.2025 11:04
Lesezeit: 5 min
EU kämpft mit Umweltabgaben und Wettbewerbsdruck in der Düngemittelindustrie
Die EU muss in der Düngemittelbranche mit neuen Herausforderungen kämpfen (Foto: dpa) Foto: Patrick Pleul

Produktion bei „Achema“ zeigt Probleme der EU-Düngemittelbranche

In der Europäischen Union gibt es derzeit nach Einschätzung der Unternehmensleitung von „Achema“ keine einzige Düngemittelfabrik, die mit voller Kapazität arbeitet. Die Situation sei so, als würde diese Industrie langfristig aus dem Markt verschwinden, sagt Audronė Kuskytė, Generaldirektorin des litauischen Stickstoff- und Chemieproduzenten AB „Achema“, der zum Konzern „Achemos grupė“ gehört. Das Unternehmen steckt in einer schwierigen Phase und hat in den vergangenen zwei Jahren Verluste erwirtschaftet. Dennoch sieht Kuskytė einige Faktoren, die dem Betrieb helfen könnten, wieder an Dynamik zu gewinnen. Im August dieses Jahres nahm „Achema“ nach einer dreimonatigen Pause die Produktion von Ammoniak, dem wichtigsten Produkt des Unternehmens, wieder auf. Der vorübergehende Produktionsstopp verdeutlicht, mit welchen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht nur das Unternehmen selbst, sondern die gesamte europäische Düngemittelindustrie derzeit konfrontiert ist. In einem ausführlichen Gespräch äußert sich Kuskytė offen zu den Ursachen dieser Probleme und zu den Perspektiven der Branche innerhalb der Europäischen Union.

Wettbewerbsdruck und ungleiche Rahmenbedingungen

Einer der größten Herausforderungen für die Düngemittelindustrie in Europa ist die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit. Nach Ansicht von Kuskytė entsteht diese Bedrohung vor allem durch den Import billiger Düngemittel aus Drittländern, insbesondere aus Russland, sowie durch ungleiche Wettbewerbsbedingungen infolge hoher Umweltabgaben in der Europäischen Union. Seit der Einführung des europäischen Grünen Deals sind die Emissionsabgaben stark gestiegen und liegen derzeit bei rund 70 bis 80 Euro pro Emissionseinheit. In China beträgt die entsprechende Abgabe etwa 10 Euro, während Russland überhaupt keine solche Steuer erhebt. Russland verfügt zudem über eigene Rohstoffe und Energiequellen. In Australien ist die Zahlung einer Umweltsteuer freiwillig und erfolgt meist aus Reputationsgründen. Das Vereinigte Königreich hat nach dem Austritt aus der EU begonnen, seine Umweltabgaben zu senken, derzeit liegen sie bei rund 50 Pfund. Der weltweite Durchschnitt beträgt nur etwa zwei Euro pro Einheit. Für die Herstellung einer Tonne Düngemittel in Europa ist eine Emissionseinheit erforderlich, wodurch sich die Produktionskosten pro Tonne im Vergleich zum Weltmarkt um etwa 70 bis 80 Euro erhöhen. Unter diesen Bedingungen, so Kuskytė, könne kaum von globaler Wettbewerbsfähigkeit gesprochen werden.

Der Grüne Deal und seine unbeabsichtigten Folgen

Als der Grüne Deal beschlossen wurde, habe man in Europa auf eine Stärkung und Modernisierung der Industrie gehofft. Man sei davon ausgegangen, dass auch andere Regionen der Welt ähnliche ökologische Standards einführen würden. Diese Erwartung habe sich jedoch nicht erfüllt. Stattdessen seien die Energiepreise gestiegen, ebenso die Kosten für Rohstoffe und Arbeitskräfte. Dadurch sei es für viele europäische Hersteller schwierig oder gar unmöglich geworden, mit Ländern zu konkurrieren, die deutlich geringere Produktionskosten haben. Nach Einschätzung von Kuskytė können europäische Unternehmen die Grundidee des Grünen Deals unterstützen, doch müsse der europäische Markt gleichzeitig besser geschützt werden.

Es dürfe nicht bei strengen Auflagen bleiben, sondern es brauche auch geeignete Instrumente, um unfaire Wettbewerbsbedingungen auszugleichen. Dieser Teil sei bislang verloren gegangen. Die Industrie befinde sich in einem geschlossenen Kreislauf: Um Emissionen zu reduzieren, müsse sie ihre Prozesse modernisieren und effizienter gestalten, doch das erfordere erhebliche Investitionen. Diese wiederum seien kaum finanzierbar, da die Unternehmen in der aktuellen Wettbewerbssituation zu wenig verdienen. Eine vollständige Umstellung auf grüne Energie sei theoretisch möglich, würde aber enorme Kosten verursachen und letztlich auch andere gesellschaftliche Bereiche wie Bildung, Gesundheit oder Verteidigung belasten.

Neue EU-Maßnahmen geben Anlass zur Hoffnung

Trotz der schwierigen Lage erkennt Kuskytė erste politische Schritte, die europäischen Herstellern helfen könnten, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Ein wichtiger Schritt sei die Einführung von Importquoten und Zöllen auf russische Produkte seit dem 1. Juli. Der Grund für den zeitweisen Produktionsstopp von Ammoniak sei vor allem der hohe Import russischer Düngemittel gewesen. Vor der Einführung der Zölle sei es wirtschaftlich nicht mehr möglich gewesen, Ammoniak zu produzieren, da jeder produzierte Tonnenverlust das Unternehmen zusätzlich belastet hätte. Die Folgen der neuen Regelungen seien bereits sichtbar. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sei der Import russischer Düngemittel in die EU noch um rund 40 bis 50 Prozent gestiegen, doch seit Juli gehe das Volumen zurück.

Besorgt sei man jedoch über mögliche Umgehungen der Sanktionen, etwa durch Exporte über andere Länder der östlichen Regionen. Ein weiterer wichtiger Schritt sei der geplante CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM), der Importeure verpflichtet, einen Teil der europäischen Emissionskosten zu übernehmen. Für Düngemittel wie Harnstoff soll der Preis bei etwa 40 Euro pro Tonne liegen. Das wäre zwar weniger, als europäische Hersteller zahlen, aber dennoch ein positives Signal. Kuskytė warnt jedoch, dass dieser Mechanismus für weiterverarbeitende Unternehmen, die auf importierte Rohstoffe angewiesen sind, eine zusätzliche Belastung darstellen könnte. Wichtig sei daher, dass der Mechanismus weder ausgesetzt noch verzögert werde.

Eigenverantwortung der Industrie und gesellschaftliche Wahrnehmung

Nach Ansicht von Kuskytė hängen das Überleben und die Zukunft der Industrie nicht allein von politischen Entscheidungen ab. Zwar seien Beschlüsse auf höchster Ebene entscheidend, doch müssten die Unternehmen selbst ihren Beitrag leisten, indem sie effizienter arbeiten und ihre Ressourcen optimal nutzen. Es sei eine Zeit, in der selbst kleinste Fortschritte größte Anstrengungen erforderten. Erfolg entstehe nicht zufällig, sondern ausschließlich durch Arbeit. Kritik an der Branche hält die Unternehmenschefin nur teilweise für gerechtfertigt. Die chemische Industrie sei zweifellos emissionsintensiv, doch ohne sie wäre Europa vollständig auf Importe angewiesen. Düngemittel seien ein zentraler Bestandteil der Lebensmittelkette, auch wenn dies nicht immer offensichtlich sei.

Ohne ausreichende Düngung sinken Erträge, die Getreidepreise steigen und in der Folge auch die Kosten für Grundnahrungsmittel. Eine regionale Düngemittelproduktion in den baltischen Staaten ermögliche es, die Landwirte schnell und zuverlässig zu beliefern. Langfristig drohe jedoch das Verschwinden der gesamten Branche, wenn keine politischen Instrumente zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit eingeführt würden. Zugleich weist Kuskytė darauf hin, dass auch grüne Technologien ihre ökologischen Schattenseiten haben, etwa bei der Entsorgung von Batterien oder Windradkomponenten. Diese Fragen müssten künftig stärker wissenschaftlich untersucht werden.

Grüner Wasserstoff zwischen Anspruch und Realität

Die Europäische Union betrachtet die Produktion von grünem Wasserstoff als einen ihrer wichtigsten industriepolitischen Schwerpunkte. „Achema“ hat diese Option eingehend geprüft, sieht derzeit aber keine wirtschaftlich tragfähige Perspektive. Nach Berechnungen des Unternehmens würde die Nutzung von grünem Wasserstoff die Produktionskosten um das Drei- bis Vierfache erhöhen, ohne dass das Endprodukt dadurch einen höheren Nutzen für den Verbraucher hätte. Es fehle an Mechanismen, die den Absatz solcher Produkte fördern. Verbraucher seien aktuell nicht bereit, ein Vielfaches des Preises zu zahlen, nur weil ein Produkt mithilfe grüner Energie hergestellt wurde. Hinzu komme, dass die technischen Anforderungen der EU-Regulierung schwer zu erfüllen seien. Grüner Wasserstoff müsse zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen, fossile Energie dürfe nicht eingesetzt werden. Unter klimatischen Bedingungen wie in Litauen sei es jedoch kaum möglich, dauerhaft genügend grüne Energie zu erzeugen. Um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wären große Speicherkapazitäten notwendig, was wiederum hohe Investitionen erfordere. Auch hier entstehe erneut ein geschlossener Kreislauf aus steigenden Anforderungen und wirtschaftlicher Unmöglichkeit.

Fördermittel ausgeschlagen und Fokus auf Stabilität setzen

Für ein entsprechendes Wasserstoffprojekt hätte „Achema“ Fördermittel der Europäischen Union in Höhe von 120 Millionen Euro erhalten können. Da die Gesamtkosten jedoch über einer Milliarde Euro gelegen hätten, entschied sich das Unternehmen gegen die Umsetzung. Ohne überzeugende wirtschaftliche Rentabilität sei ein solches Projekt weder für Investoren noch für Banken realisierbar gewesen. Der Fokus liege daher auf der Stabilisierung des laufenden Betriebs und auf einer schrittweisen Rückkehr zu nachhaltigem Wachstum. Kuskytė betont, dass sie im Austausch mit den mehr als 1000 Beschäftigten des Unternehmens offen über die Situation spricht. Viele Mitarbeiter reagierten verständnisvoll und unterstützten den eingeschlagenen Kurs. Sie halte nichts davon, Versprechungen zu machen, die nicht eingehalten werden könnten, sondern setze auf Transparenz und realistische Ziele. Für das laufende Jahr rechnet „Achema“ mit einem ausgeglichenen Ergebnis. Zwar werde kein Gewinn erzielt, doch auch kein Verlust erwartet. In Anbetracht der schwierigen Marktbedingungen wertet Kuskytė dies als Erfolg und als Zeichen, dass das Unternehmen trotz der widrigen Umstände widerstandsfähig bleibt. Das neutrale Jahresergebnis gebe Anlass zu vorsichtigem Optimismus hinsichtlich der kommenden Jahre, in denen sich die Marktlage stabilisieren und die politischen Rahmenbedingungen verbessern könnten.

Europäische Industrie zwischen Klimazielen und Wettbewerbsdruck

Die Einschätzungen von Audronė Kuskytė verdeutlichen ein strukturelles Problem, das nicht nur Litauen betrifft. Die Spannungen zwischen Umweltpolitik, Energiepreisen und globalem Wettbewerb sind in der gesamten Europäischen Union spürbar. Auch in Deutschland kämpfen Chemie- und Düngemittelhersteller mit ähnlichen Herausforderungen. Unternehmen wie BASF oder SKW Stickstoffwerke Piesteritz sehen sich denselben hohen Energie- und Emissionskosten gegenüber, während billige Importe den Preisdruck verstärken. Die Debatte um den richtigen Kurs zwischen Klimaschutz und industrieller Wettbewerbsfähigkeit wird damit auch für die deutsche Wirtschaft zunehmend zur Schlüsselfrage. Nur wenn es gelingt, ökonomische Stabilität und ökologische Verantwortung miteinander zu verbinden, kann Europa seine industrielle Basis langfristig sichern.

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