Politik

Zollfreigrenze in der EU: Billigwaren künftig ab dem ersten Euro zollpflichtig

Billige Online-Waren aus Asien könnten bald teurer werden. Die EU plant, die 150-Euro-Freigrenze für Sendungen aus Drittländern abzuschaffen und alle Pakete zollpflichtig zu machen. Damit sollen Wettbewerbsverzerrungen gestoppt, Betrug reduziert und die stetig wachsende Paketflut eingedämmt werden. Händler wie Shein, Temu oder Amazon stehen vor neuen Pflichten, während Verbraucher mit möglichen Preisanpassungen rechnen müssen. Experten sehen darin einen ersten Schritt für fairere Wettbewerbsbedingungen in Europa.
13.11.2025 16:34
Lesezeit: 4 min
Zollfreigrenze in der EU: Billigwaren künftig ab dem ersten Euro zollpflichtig
Die EU plant digitale Kontrollen ab 2028, um faire Wettbewerbsbedingungen zu sichern und kleine wie mittlere Unternehmen vor unfairem Handel durch Online-Giganten wie Temu und Shein zu schützen. (Foto: dpa) Foto: Oliver Berg

Künftig auch Billigwaren bei Import in EU zollpflichtig

Auf Temu, Shein und auch Amazon und Co lassen sich oftmals sehr günstige Produkte bestellen, die bislang häufig zollfrei in die EU gelangen. Damit soll schneller als gedacht Schluss sein.

Höhere Zollabgaben für Online-Händler

Online-Händler wie Shein, Temu, AliExpress und Co sollen künftig höhere Zollabgaben auf ihre Sendungen in die EU leisten. Bei einem Treffen in Brüssel stimmten Bundesfinanzminister Lars Klingbeil und seine Amtskollegen der EU-Länder mehrheitlich dafür, die derzeit geltende 150-Euro-Freigrenze abzuschaffen. Das erklärte die dänische Ministerin Stephanie Lose nach dem Treffen. Dänemark hat aktuell den rotierenden Vorsitz der EU-Länder inne.

Künftig sollen Zölle somit ab dem ersten Euro auf alle Waren erhoben werden, die in die EU eingeführt werden. Ob günstige Produkte dadurch teurer werden, bleibt abzuwarten.

Mit dem von der Bundesregierung unterstützten Vorstoß soll etwa gegen Wettbewerbsverzerrung und Betrug vorgegangen werden. Die Abschaffung sei ein klares Signal der EU, dass die Überschwemmung der europäischen Märkte mit großen Mengen billiger Importwaren aus Drittländern – insbesondere aus Asien – nicht akzeptabel ist, hieß es.

Bundeskanzler Friedrich Merz sagte beim Handelskongress in Berlin, er bemühe sich, innerhalb der Europäischen Union unfaire Handelspraktiken zu vermeiden. Man sehe aktuell einen systematischen Missbrauch der Zollfreiheit von 150 Euro pro Päckchen in Deutschland durch massenhafte Sendungen vor allem aus China. Der massenhafte Missbrauch der Freigrenzen müsse gestoppt werden.

EU-Kommission schlägt Reform für faireren Wettbewerb vor

Die Entscheidung geht auf einen Vorschlag der EU-Kommission zurück. Die neue Regelung soll ab 2028 gelten, wenn auch eine digitale Plattform zur Abwicklung und Kontrolle an den Start gehen soll. Die Mitgliedsstaaten wollen allerdings schon im kommenden Jahr eine Übergangslösung einführen.

Mit der Abschaffung der 150-Euro-Freigrenze soll sichergestellt werden, dass alle Händler – unabhängig von ihrem Standort – die gleichen Wettbewerbsbedingungen haben. Bislang muss kein Zoll gezahlt werden, wenn der Warenwert unter 150 Euro liegt.

Zudem sollen mit den neuen Vorgaben Betrugsfälle bekämpft werden: Laut EU-Kommission wird Schätzungen zufolge bei 65 Prozent der in die EU verschickten Pakete bewusst ein zu niedriger Wert in der Zollanmeldung angegeben, um die Befreiung in Anspruch zu nehmen. Das benachteiligt der Behörde zufolge EU-Unternehmen, die nicht mit den entsprechend niedrigeren Verkaufspreisen konkurrieren können – insbesondere kleine und mittlere Unternehmen.

Außerdem sei die Befreiung für Verkäufer ein Anreiz, größere Bestellungen beim Versand in die EU auf kleinere Pakete aufzuteilen, so die Kommission. Das trage weiterhin zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen bei und verursache darüber hinaus unter anderem Verpackungsmüll.

Erster Baustein gegen Paketflut

Der Online-Handel hat in den vergangenen Jahren zu einem exponentiellen Anstieg bei Lieferungen kleiner Warenpakete mit geringem Wert in die EU geführt. Laut EU-Kommission trafen 2024 täglich rund zwölf Millionen Pakete in der EU ein – deutlich mehr als in den beiden Vorjahren. Von der Abgabe dürften Online-Shoppingportale wie Amazon oder Etsy sowie E-Commerce-Giganten wie Temu, AliExpress und Shein betroffen sein.

Nach Angaben des Handelsverbandes Deutschland werden täglich etwa 400.000 Pakete von Shein und Temu an deutsche Kunden verschickt. Der Umsatz der beiden Portale in Deutschland lag 2024 demnach zwischen 2,7 und 3,3 Milliarden Euro. Laut HDE kauften im vergangenen Jahr mehr als 14 Millionen Menschen hierzulande bei Temu und Shein ein.

Die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Ramona Pop, bezeichnet die Abschaffung der Zollfreigrenze als ersten Baustein, um die Paketflut einzudämmen. «Außerdem müssen Online-Marktplätze grundsätzlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie unsichere oder gefährliche Produkte vertreiben», forderte sie weiter. Eine Untersuchung der Stiftung Warentest habe kürzlich erneut gezeigt, dass besonders Produkte im Preissegment unter 150 Euro häufig nicht den EU-Regelungen entsprächen, mahnte Pop.

Vom Online-Riesen Amazon heißt es, man unterstütze das Ziel, die Zollkontrollen zu stärken, um Betrug und Nichteinhaltung zu bekämpfen und so für fairere Wettbewerbsbedingungen im internationalen Handel zu sorgen.

Neben der nun beschlossenen Zollpflicht auch für günstige Produkte erwägt die EU-Kommission Berichten zufolge angesichts der rasant steigenden Zahl von Paketen aus Drittstaaten eine Pauschalabgabe von bis zu zwei Euro auf entsprechende Bestellungen.

Konzerne bei Verbrauchern beliebt

Temu ist ein Online-Marktplatz, auf dem zahlreiche Unternehmen verschiedene Waren verkaufen. Das chinesische Unternehmen ist seit Frühjahr 2023 in Deutschland aktiv und sorgt immer wieder mit Minipreisen und hohen Rabatten für Aufsehen. Produkte werden häufig direkt vom Hersteller zum Kunden geliefert. Der in China gegründete und heute in Singapur ansässige Modekonzern Shein ist sowohl Hersteller, Händler als auch Marktplatz.

Die beiden Shoppingportale erfreuen sich bei Verbrauchern großer Beliebtheit. Laut einem aktuellen Ranking des Handelsforschungsinstituts EHI war Shein 2024 bereits der siebtgrößte Onlineshop in Deutschland. Temu belegte bei den Marktplätzen den vierten Rang.

Beide Anbieter sind umstritten. Politiker, Handelsvertreter und Verbraucherschützer kritisieren unter anderem Produktqualität, mangelnde Kontrollen und unfaire Wettbewerbsbedingungen. Sie fordern eine strengere Regulierung und besseren Schutz beim Online-Einkauf.

Der Handelsverband wirft der Bundesregierung Untätigkeit bei den umstrittenen Shoppingportalen Shein und Temu vor und spricht von "Sabotage am Binnenmarkt". Dies sei "unterlassene Hilfeleistung" an Mittelstand, Handel und Herstellern, sagte der Präsident des Handelsverbandes, Alexander von Preen, beim Handelskongress in Berlin. Shein sowie Temu unterlaufen täglich systematisch europäische Verbraucherschutz-, Steuer- und Umweltstandards.

In Frankreich geriet Shein zuletzt verstärkt ins Visier der Öffentlichkeit. Nachdem bekannt geworden war, dass bei dem Onlinehändler Sexpuppen mit kindlichem Aussehen angeboten wurden und Waffen vertrieben werden sollen, leitete die französische Regierung vergangene Woche ein Verfahren gegen die Plattform ein. Im Zuge dessen kündigte die Regierung an, am Pariser Flughafen 200.000 Shein-Pakete zu kontrollieren. Shein kündigte an, mit den Behörden zusammenzuarbeiten.

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