Frankreichs Aufstieg zu einer der führenden Nationen Europas wurde durch seine Geografie begünstigt. Zu nennen sind vor allem seine fruchtbaren Böden, das milde, ackerbaufreundliche Klima sowie die zahlreichen schiffbare Flüsse wie die Seine, die Loire, die Garonne und die Rhone. Darüber hinaus bilden der Ärmelkanal, der Atlantik, das Mittelmeer und der Rhein sowie die Gebirgsketten der Pyrenäen und der Alpen Barrieren gegen militärische Angriffe – nur über die Tiefebene in seinem Nordosten ist das Land verwundbar.
Dabei ist Frankreichs geografische Lage Vor- und Nachteil in einem: Einerseits ist es ein Mittelmeerland und projiziert Machtansprüche bis in die Levante sowie tief hinein nach Afrika. Andererseits ist es auch ein zentraleuropäisches Land, weswegen es gezwungen ist, Deutschlands Macht und Einfluss – die durch die ständige Erweiterung der EU immer mehr zunehmen – durch eine geschickte Außenpolitik auszubalancieren. Eine Analyse.
Aufstieg
Eine der wichtigsten europäischen Handelsrouten des Mittelalters, die Italien und Flandern verband, verlief entlang des Rhonetals in Südfrankreich bis hoch zur Champagne. Hier, wo sich die Route mit der Via Regia, die dann ostwärts bis nach Russland führte, kreuzte, entwickelten sich Städte wie Troyes zu wichtigen Umschlagplätzen für Tuche sowie für Leder- und Pelzwaren. Die Bevölkerungszahlen dieser Städte wuchsen schnell, große Kathedralen wurden gebaut, wobei die sogenannte „mittelalterliche Warmzeit“ diese Entwicklungen stark begünstigte.
Paris war schon mit der Teilung des Fränkischen Reiches im 9. Jahrhundert zur Hauptstadt Frankreichs geworden und ist es seither geblieben. Aufgrund ihrer günstigen Lage an der Seine und unweit der Marne sowie in der nordfranzösischen Tiefebene ließen sich von der Hauptstadt aus weite Teile des Landes relativ leicht kontrollieren. Der Herausbildung einer französischen Nation, einer höfischen Kultur und zentralistischer politischer Strukturen leistete dies Vorschub. Die kulturelle Strahlkraft des Landes war im 18. Jahrhundert so groß, dass man sich in adeligen Kreisen Preußens und Russlands oft mehr des Französischen als der eigenen Landessprache bediente.
Rivalität
Anfang des 19. Jahrhunderts versuchte dann Napoleon Bonaparte, Europa zu dominieren. Auf seinem Feldzug gegen Russland und auf dem Schlachtfeld von Waterloo verspielte er allerdings seine Macht vollständig und die von Frankreich in großen Teilen, was den Aufstieg Preußens und die Entstehung des Deutschen Reiches beschleunigte. In den drei großen Kriegen zwischen Frankreich und Preußen (beziehungsweise Deutschland) – dem Krieg von 1870/71 sowie den beiden Weltkriegen – erwies sich die nordfranzösische Tiefebene als die militärische Achillesferse des Landes und wurde zum Einfallstor deutscher Truppen, was letztendlich schwere militärische Niederlagen und die Besetzung nach sich zog.
Ein Freund und Konkurrent zugleich
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich jedoch eine Freundschaft zwischen den beiden ehemaligen „Erbfeinden“. Die beiden Staaten agierten oft einvernehmlich – gewissermaßen als „Tandem“ – und wurden so zu treibenden Kräften innerhalb der EU. Die Bundesrepublik war wirtschaftlich potenter, ließ in politischen Fragen aber ihrem gallischen Partner gern den Vortritt. Mit dem Fall der Berliner Mauer und der darauf folgenden deutschen Wiedervereinigung verschoben sich allerdings die Gleichgewichte zwischen den beiden Ländern. Und auch das Epizentrum der EU rutschte mit der Aufnahme der mittelosteuropäischen Staaten gen Osten. Seitdem muss Frankreich nach Wegen suchen, den deutschen Machtzuwachs auszutarieren. Hierzu gehören zum einen die Besetzung wichtiger Institutionen der EU mit geeigneten Kandidaten, allen voran die des Chefsessels der EZB mit Christine Lagarde. Zum anderen die Festigung und Erweiterung der französischen Einflusssphäre im Mittelmeerraum und darüber hinaus.
Mittelmeer-Macht
Im östlichen Mittelmeer hat sich die Türkei zu einem potenten Gegenspieler Frankreichs entwickelt, und es deutet sich an, dass der Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches eine strategische Zusammenarbeit mit Großbritannien eingeht, um dem französischen Einfluss in der Region entgegenzuwirken. Auch in Libyen prallen französische und türkische Interessen aufeinander - beide Seiten unterstützen unterschiedliche Fraktionen. Das ölreiche nordafrikanische Land hatte bis zu Muammar al-Gaddafis Sturz, den Frankreich, Großbritannien und die USA gemeinsam betrieben, allerdings zur Einflusssphäre Italiens gehört und bei dessen Versorgung mit Öl und Gas stets eine entscheidende Rolle gespielt. Insofern stellt Libyen auch einen französisch-italienischen Konfliktherd dar. Das Verhältnis zwischen den beiden einander angrenzenden Ländern ist dadurch in gewisser Weise belastet - und wird durch ihre jeweiligen Beziehungen zu Deutschland noch zusätzlich verkompliziert, wobei die Präsenz von Allemagne beziehungsweise Alemania nicht zu zusätzlichem Antagonismus, sondern eher zu einer Annäherung der beiden Staaten führt. Beide brauchen einander nämlich, um zu verhindern, dass Deutschland die EU dominiert. Diesen Zweck hatte Frankreich ursprünglich auch mit der Gründung der Mittelmeerunion im Jahr 2008 verfolgt. Durch den Beitritt sämtlicher EU-Länder zu der Initiative wurden die französischen Ambitionen jedoch weitgehend ausgebremst.
Francafrique
Will Frankreich allerdings seine Machtstellung in der Welt behaupten, muss es auch – und vor allem – seinen Einfluss in seinen ehemaligen Kolonien in Afrika, den Ländern von „Françafrique“, bewahren. Um dies zu gewährleisten, verfolgt Paris eine an seinen nationalen Interessen ausgerichtete Politik, die es jedoch geschickt unter dem Mantel der Idee eines „geeinten Europas“ verbirgt. Bestes Beispiel: Die von Paris vorangetriebene Idee des Aufbaus einer europäischen Armee, die zu einem Großteil von Deutschland finanziert, aber unter französischem Kommando stehen würde. Mit ihrer Hilfe könnte Frankreich seine Interessen in Afrika wahren - unter anderem die Ausbeutung der Uranminen im Niger – und die Möglichkeit militärischer Interventionen, wie beispielsweise in Mali, aufrechterhalten (allein ist die Grande Nation dazu mittlerweile nur noch bedingt in der Lage).
Während Frankreich die Wahrung seine Interessen in Afrika mit dem Einsatz militärischer Mittel absichern muss (und in der Vergangenheit auch immer wieder offen oder verdeckt militärisch eingegriffen hat), kann sein größter Rivale auf dem Kontinent aufgrund seiner gewaltigen wirtschaftlichen Kraft eine andere Strategie verfolgen: China hat in den letzten Jahren überall in Afrika viel Geld investiert und setzt dabei auch auf die Fertigung industrieller Produkte - während Frankreich massiv an Marktanteilen verloren hat. Um dem Reich der Mitte mehr entgegensetzen zu können, sollte Paris vielleicht umdenken und in dem geopolitischen Konflikt verstärkt auf „Soft Power“ setzen. Dazu gehört unter anderem die französische Sprache. Denn die Bevölkerung in „Françafrique“ dürfte sich in den nächsten Jahrzehnten mehr als verdoppeln und könnte Französisch damit, sollte Paris hier die richtigen Anreize setzen, zu der am schnellsten wachsenden Sprache weltweit machen. Merke: Auch Demographie und Sprache stellen geopolitische Machtfaktoren dar. Insofern könnte Frankreichs strategisches Spielfeld der Zukunft ein Stück weit in Afrika liegen.
In unserer großen geopolitischen Serie sind bisher erschienen:
Russland:
China:
Deutschland:
USA:
Großbritannien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506643/Großbritannien-Wiedergeburt-eines-Empires
Türkei:
Japan:
Saudi-Arabien: