Politik

Saudi-Arabien leitet spektakuläre Kehrtwende in der Außenpolitik ein

Lesezeit: 3 min
22.03.2023 18:44  Aktualisiert: 22.03.2023 18:44
Im Nahen Osten findet eine tektonische Verschiebung des geopolitischen Settings statt – mit möglicherweise weitreichenden Folgen.
Saudi-Arabien leitet spektakuläre Kehrtwende in der Außenpolitik ein
Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman. (Foto: dpa)
Foto: Kay Nietfeld

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Saudi-Arabien hat eine grundlegende und wahrscheinlich folgenschwere Kehrtwende in der Außenpolitik eingeleitet. Nach vielen konfliktgeladenen Jahren hat das Königreich damit begonnen, seine beschädigten Beziehungen zum Iran und zu Syrien zu reparieren.

Raisi in Riad

Die Annäherung an Teheran und Damaskus wurde in den vergangenen Monaten vorbereitet und nimmt derzeit spürbar an Fahrt auf. Wie der englischsprachige Dienst der Deutschen Welle berichtet, hat der saudische König Salman den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zu einem Besuch in Riad eingeladen. Der Besuch wurde von Irans Präsident „willkommen geheißen“, wie ein Sprecher sagte.

Der anstehende Besuch Raisis stellt die erste Reise eines iranischen Staatsoberhaupts nach Saudi-Arabien seit dem Jahr 1998 und eine fundamentale Kehrtwende in der Außenpolitik Riads (und auch Teherans) dar.

In den vergangenen Jahren hatten sich die sunnitische Vormacht Saudi-Arabien und der schiitische Iran mithilfe ihrer Verbündeten einen gewalttätigen Machtkampf in der Region geliefert. Zu den besonders schwerwiegenden Konflikten mit iranisch-saudischer Beteiligung gehören der Stellvertreterkrieg in Syrien und im Jemen. Auch im Libanon prallen politische Interessen der beiden Länder in Form unterschiedlicher Lager direkt aufeinander.

Initiiert wurde der Annäherungsprozess zwischen den Erzfeinden von der chinesischen Regierung. Präsident Xi Jinping lud Saudis und Iraner im vergangenen Dezember zu Geheimgesprächen nach China ein, wo am 10. März eine bahnbrechende Absichtserklärung von hochrangigen Beamten beider Seiten in Peking unterzeichnet wurde. Die Chinesen versuchen, auch andere arabische Golfmonarchien zu einer Normalisierung ihrer Beziehungen zum Iran zu bewegen. So sind Gespräche des Golf-Kooperationsrates mit iranischen Repräsentanten geplant.

Wichtige diplomatische Vorarbeiten für das Zustandekommen der Annäherung hatten der Irak und der Oman in den Jahren 2020 und 2021 geleistet.

Saudis eröffnen Konsulat in Damaskus

Saudi-Arabien wird darüber hinaus eine diplomatische Vertretung in Syrien eröffnen, nachdem die formellen Beziehungen im Jahr 2012 abgebrochen wurden. Wie der Middle East Monitor berichtet, soll ein Konsulat in der Hauptstadt Damaskus nach dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan eröffnet werden.

Vorarbeiten hierfür sollen während eines anstehenden Besuchs des saudischen Außenministers Faisal bin Farhan bei Präsident Baschar al Assad in Damaskus getroffen werden.

Bin Farhan hatte Mitte Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz davon gesprochen, dass in der arabischen Welt „eine Übereinstimmung darüber wachse“, Syrien wieder in das regionale Staatensystem zu integrieren. Der „Status Quo“, also der Ausschluss Syriens aus wichtigen pan-arabischen Organisationen und die Konfrontationspolitik im Allgemeinen, sei „nicht mehr darstellbar“, zitiert The Cradle Bin Farhan. Ein „neuer Ansatz“ sei notwendig, um die drängenden Fragen der Zeit konstruktiv zu klären.

Saudi-Arabien gilt zusammen mit der US-Regierung von Barack Obama als Hauptantreiber des im Jahr 2011 im Rahmen von Bürgerprotesten gestarteten Umsturzversuchs gegen Syriens Präsidenten Assad. Beide Seiten sollen zudem direkt Milizen in Syrien finanziert und gesteuert haben, allen voran Gruppen, die gegen die syrische Armee kämpften.

Tektonische Machtverschiebungen

Die Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien ebenso wie die Entspannungspolitik Riads zu Damaskus bergen enorme geopolitische Potenziale – und sind direkt gegen die Interessen der USA, Großbritanniens und Israels gerichtet.

Washington, London und Tel Aviv haben in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um Syrien und den Iran politisch, wirtschaftlich und militärisch zu schwächen. Die Maßnahmen, die beide Länder ergriffen, um dieses Ziel zu erreichen, umfassten diplomatische Kampagnen, Wirtschaftssanktionen, militärische Schläge, Geheimdienstoperationen und die Cyber-Kriegsführung.

Besonders signifikant ist deshalb der Umstand, dass die neue Entspannungspolitik im Nahen Osten maßgeblich auf das Betreiben Chinas und Russlands zurückgeht – also die bedeutendsten Rivalen des unter Vorherrschaft Amerikas stehenden Westens. Wie bereits erwähnt forcieren die Chinesen die Annäherung zwischen Teheran und Saudi-Arabien, während Russland entscheidend zur Normalisierung der Beziehungen der arabischen Welt zu Syrien beigetragen hat. In diesem Kontext haben sich auch die Vereinigten Arabischen Emirate als Vermittler hervorgetan.

Bemerkenswert erscheint, dass auch das NATO-Land Türkei am Friedensprozess für Syrien mitarbeitet. Aktuellen Planungen zufolge werden die Außenminister Russlands, des Iran, der Türkei und Syriens demnächst zu Gesprächen zusammenkommen, um weitere Schritte hin zu einer De-Eskalation zu besprechen.

Die US-Regierung hatte die Länder der Region in der Vergangenheit mehrfach davor gewarnt, eine Normalisierung in den Beziehungen zu Damaskus einzuleiten. Sollte den unter Vermittlung Chinas und Russlands vorangetriebenen Initiativen Erfolg beschieden sein, ginge deshalb parallel dazu auch ein Einflussverlust der USA und eine gewisse außenpolitische Isolation Großbritanniens und Israels im Vorderen Orient einher.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...