Politik

Die Hitzewellen töten. Jetzt. Nicht erst am Ende des Jahrhunderts

Lesezeit: 7 min
29.04.2023 09:06  Aktualisiert: 29.04.2023 09:06
Die Parolen der Politik zum CO2 Ausstoß sind unerträglich. Was soll eine Diskussion über das Klima im Jahr 2100, wenn die Menschen hier und heute unter der Hitze leiden?

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In Europa sind im vergangenen Sommer mindestens 15.000 Menschen an den Folgen der Hitze gestorben. Zahllose Personen litten unter Krankheiten und schweren Belastungen. Die Meteorologen prophezeien auch für heuer Spitzenwerte. In Spanien tobt bereits seit Tagen eine Hitzewelle, die leicht auf Mitteleuropa übergreifen könnte. Gemessen werden Temperaturen bis an die 40-Grad-Marke. Und es ist noch lange nicht Sommer. Die Konsequenz: Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung sind dringend erforderlich. Jetzt und hier.

Und was tut die Politik? Ständig wird eine bereits unerträgliche Parole wiederholt: Es muss der CO2 Ausstoß reduziert werden, damit am Ende des Jahrhunderts, also in 77 Jahren, die durchschnittliche Jahrestemperatur nicht um mehr als 1,5 Grad höher ist als vor hundertfünfzig Jahren. Was soll eine Diskussion über 1,5 Grad in Jahrzehnten, wenn die Menschen jetzt unter 40 Grad und mehr stöhnen, wenn innerhalb weniger Stunden die Temperaturen um 10 und mehr Grad steigen oder fallen, wenn die Zahl der Hitzetoten vier Mal höher ist als im langjährigen Schnitt?

Die eifrigen Klima-Politiker und Klima-Aktivisten übersehen entscheidende Faktoren

Es sei den eifrigen Klimarettern in der Politik und auf der Straße unbenommen, das CO2 zu bekämpfen. Sie übersehen nur einiges, was ihnen zu denken geben müsste. Die Rede ist immer von CO2, Methan und Lachgas werden nur am Rande erwähnt, Sonnenstürme ausgeblendet. Diskutiert wird ausschließlich, wie man die aktuellen Lebensbedingungen erhalten könnte, indem man eine Klimaänderung verhindert. Ausgeblendet wird der Umstand, dass dies voraussichtlich nicht gelingen wird.

Es wäre viel wichtiger zu klären, wie der Übergang am besten zu bewältigen und wie das Leben unter neuen Umständen zu gestalten ist. Dass ein wärmeres Klima letztlich nicht unbedingt negative Auswirkungen haben muss, zeigt die Geschichte. Als Ägypten unter den Pharaonen blühte, die griechische Kultur dominierte und das alte Rom die Welt beherrschte, war es um etwa 2 Grad wärmer als die Klimapolitik derzeit anstrebt.

Jetzt ist allerdings der Blick auf die Historie nicht hilfreich, aktuell befindet sich die Welt in einer kritischen Phase. Es ist nebensächlich, ob die gewohnte Welt wiederhergestellt werden kann, wie lange die Krise dauern wird und ob nach einer Übergangsphase angenehme oder unerträgliche Lebensbedingungen auf der Erde herrschen werden. Das Gebot der Stunde besagt, dass man die aktuellen Bedrohungen zur Kenntnis nimmt und entsprechend reagiert.

Eine entscheidende Maßnahme wird gerade durch die Klimapolitik verhindert

Eine wesentliche Entlastung würde der großflächige Einsatz von Klimaanlagen bringen. Ebenfalls positiv auswirken könnte sich der Einbau von Filteranlagen in den Häusern, um die Schadstoffe in der Luft abzufangen. Beide Techniken hätten allerdings einen beachtlichen, zusätzlichen Stromverbrauch zur Folge. Diese Perspektive ist nicht umsetzbar, wenn man als Maßnahme gegen den Klimawandel Kohle-, Öl-, Gas- und Atomkraftwerke schließt, wie dies etwa in Deutschland geschieht. Die Annahme, dass die Energiegewinnung aus alternativen Energieträgern wie Sonne und Wind den Ausfall der abgeschalteten Anlagen ausgleichen werde, ist illusorisch. Somit ergibt sich ein gefährliches Paradoxon: Zur Bekämpfung des Klimawandels wird eine Energiepolitik betrieben, die die Versorgung sogar des bisherigen Bedarfs in Frage stellt und in die Rationierung führen muss. Die Bewältigung der durch den Klimawandel ausgelösten Hitze mit Hilfe von Kühl-und Filteranlagen wird durch die Klimapolitik verhindert.

Hier wird eine Mentalität erkennbar, die Grünpolitiker oft vertreten. Der Klimawandel sei durch die Menschen verursacht, also sei es nur angemessen, wenn die Menschen unter den Folgen leiden. Auf diese Art werden religiöse Schemata strapaziert, man konstruiert eine Schuld, die zu sühnen ist. Dieser Zugang ist aus zwei Gründen strikte abzulehnen: Kein einziger Mensch hat in böser Absicht den Klimawandel verursacht, es ist also niemand anzuklagen oder zu bestrafen. Indem man den Klimawandel zu einer kollektiven Sünde der Menschen stilisiert, geht die Bereitschaft verloren, konkrete Lösungen der konkreten Probleme anzugehen. In diesem fatalen Zusammenhang ist auch der Grund zu sehen, warum seit bereits über dreißig Jahren nur geredet und geredet und geredet wird, wenn es um Klimawandel und Umweltschutz geht. Da man keine problembezogenen Antworten sucht, werden in einem plötzlich ausbrechenden Aktionismus unsinnige Maßnahmen wie das reihenweise Schließen von Kraftwerken beschlossen, obwohl schon die vermeintlich so umweltfreundlichen E-Autos und die gefeierte Digitalisierung den Stromverbrauch in die Höhe treiben.

Die Hitzewellen belasten nicht nur die Alten. Jede und jeder sind betroffen.

Die meisten Hitzetoten des vergangenen Jahres waren über 85 Jahre alt. Ist die Gesellschaft so zynisch, dass sie das Schicksal dieser Altersgruppe achselzuckend zur Kenntnis nimmt? Dabei kann auch im hohen Alter die Widerstandskraft gestärkt werden. Da sind die Mediziner gefordert, aber auch die Gesundheitspolitik könnte durch entsprechende Aktionen helfen.

Einen verstärkten Einsatz gebietet nicht nur die Solidarität mit den Alten. Auch die Jüngeren belastet die Hitze, sodass alle an einer umfassenden, gesundheitspolitischen Initiative interessiert sein müssten. Zur Illustration einige Hinweise:

  • Höhere Temperaturen führen zu einer Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Bereits ab 25 °C ist man physisch weniger belastbar, ab 29 °C lässt die intellektuelle Kapazität nach, also bei Temperaturen, die weit unter den Werten in einer Hitzewelle liegen.

  • Die hohen Belastungen spüren insbesondere kranke Personen und Kinder, bei Älteren besteht sogar ein Überlebensrisiko, wie die Todesbilanz des Jahres 2022 zeigt.

  • Die Risiken sind für Personen, die im Freien arbeiten oder Sport betreiben, besonders groß.

  • Durch die Abnahme des stratosphärischen Ozons steigt das Hautkrebsrisiko.

  • Durch den Klimawandel kommt es zu schnellerem Wechsel von warmen zu kalten Temperaturen. In der Folge ist die Anpassungsleistung des Organismus stärker gefordert. Personen mit Herz- und Gefäßerkrankungen, Atemwegserkrankungen und rheumatischen Beschwerden sind besonders betroffen.

  • Medikamente können in ihrer Wirkung durch zu warme Lagerung verändert werden.

Insekten verbreiten Viren, Bakterien und Keime bis in den Operationssaal

Durch den Klimawandel wird eine Ausbreitung wärmeliebender, bislang nicht heimischer Krankheitsüberträger sowie allergener und giftiger Pflanzen- und Tierarten begünstigt. Damit steigt die Zahl der Insekten, Fliegen und anderen fliegenden Kleinsttieren, die Viren, Bakterien und Keime verbreiten. Das fördert das Auftreten von Infektionen wie etwa der Borreliose. Neueste Erkenntnisse verweisen auf die verstärkte Präsenz von Schädlingen in den Krankenhäusern und sogar bei Operationen im Gefolge von fehlenden Luftfiltern.

Längere Dürreperioden lösen eine Hungersnot aus

Katastrophale Folgen haben die Hitzewellen für die Landwirtschaft. Ohne Zweifel muss alles unternommen werden, um die Dürreperioden zu verhindern. Allerdings bieten sich derzeit keine plausiblen und umsetzbaren Sanierungsmethoden an. Auch die CO2-Reduktion erfolgt nur schleppend und dürfte zudem allein nicht reichen, um das Klimaproblem zu lösen. Auf eine langanhaltende, mehrere Ernten schädigende Dürre folgt unweigerlich eine Krise der Nahrungsmittel-Versorgung, die eine Hungersnot auslösen könnte. Da sind die Politik und die Technik gefordert, die drohenden Engpässe abzuwenden. Somit muss offenkundig weltweit ein Ausbau der Nahrungsmittel-Bevorratung im Rahmen der Zivilschutzeinrichtungen erfolgen. Derzeit reichen die Reserven in Deutschland nur für einige Wochen, wie auch in den meisten anderen Ländern. Selbst in der vorbildlichen Schweiz ist die öffentliche Lagerhaltung nur auf eine viermonatige Überbrückung abgestellt.

Der globale Wasserhaushalt gerät aus dem Gleichgewicht

Der Klimawandel sorgt nicht nur für Hitzewellen und Dürren, sondern bringt auch den Wasserhaushalt aus dem Gleichgewicht. Lange anhaltende Perioden ohne Regen haben dramatische Folgen. Plötzlich auftretende Starkregen lösen in kürzester Zeit den Niederschlag von großen Wassermengen aus, die der Boden nicht aufnehmen kann und daher nicht das für die Brunnen entscheidende Grundwasser alimentieren. Das schmelzende Polareis lässt den Meeresspiegel stärker ansteigen und verändert die Qualität des Wassers. Ohne ausreichendes Wasser in guter Qualität ist die Gesundheit der Menschen gefährdet. Die Landwirtschaft und die gewerbliche Produktion können ohne Wasser nicht arbeiten. 2023 dürfte zudem ein „Super-El-Niño-Jahr“ werden, die Veränderungen der Meeresströmungen im Pazifik sorgen stets für weltweite Wetterkapriolen.

Auch hier bieten sich praktische Antworten an: Die Verschmutzung der Meere und der Flüsse müsste in einer globalen Anstrengung gestoppt werden. Zu korrigieren ist die Versiegelung der Flächen durch Bauten und Straßen, damit das Regenwasser vom Boden leichter aufgenommen werden kann.

Die Erkrankungen der Atemwege nehmen zu. Der Klimawandel ist ein wichtiger Faktor

Im Zusammenhang mit dem Klimawandel werden auch die Erkrankungen der Atemwege in den Vordergrund gerückt. Eine globale Bedeutung haben Asthma und COPD erlangt. Die Zunahme von Luftschadstoffen und bodennahem Ozon trägt zu dieser alarmierenden Entwicklung bei. Luftreiniger, Filter und Pflanzen können den Feinstaub aus der Luft abfangen, die gründliche Reinigung der Objekte entfernt die Schadstoffe von den Gegenständen.

Weltweit sterben jährlich etwa 250.000 Menschen an Asthma, wobei nahezu alle Todesfälle vermeidbar wären. Asthma hat zwei Erscheinungsformen, allergisches und nicht allergisches Asthma. Die allergische Variante wird nicht unmittelbar durch Luftschadstoffe ausgelöst, sondern durch die Allergien, diese nehmen allerdings durch die längere Pollenflugsaison im Gefolge des Klimawandels zu. Für die Patienten sind Pollen, Hausstaubmilben, Schimmelpilze, bestimmte Nahrungsmittel wie etwa Nüsse oder einige Brotsorten, Tierhaare, Medikamente gefährlich.

Nicht-allergisches Asthma hat zahlreiche Ursachen neben dem Klimawandel

Die Ursachen für nicht-allergisches Asthma sind vielfältig. Bakterien und Viren können diese Form der Krankheit auslösen, ebenso Überarbeitung und Stress, Kälte, aktiver und passiver Tabakrauch, Parfums, Medikamente, die die Atemwege verengen. Viele Faktoren, die nicht vom Klimawandel dominiert werden, sind zu beachten. Ohne Zweifel tragen auch Luftschadstoffe zur Erkrankung an Asthma bei.

An COPD sterben jährlich an die drei Millionen Menschen

Schwierig ist auch die Abgrenzung zwischen dem Klimawandel und anderen Auslösern bei der stark zunehmenden COPD, der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung. Diese Krankheit wird primär durch Tabakrauch verursacht und weniger durch vom Klimawandel bestimmte Umweltschäden. COPD tritt zwar seltener auf als Asthma, ist aber bisher nicht heilbar. Der Verlauf kann mit Medikamenten nur verzögert werden. Jährlich sterben fast 3 Millionen Menschen an COPD, zehn Mal so viele wie an Asthma. Und das nach Jahrzehnten mit zahllosen Anti-Rauch-Kampagnen auf nationaler und internationaler Ebene.

Das „Weißbuch Lunge 2023“

In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf das vor kurzem erschienene „Weißbuch Lunge 2023“ der deutschen Lungenfachärzte angebracht. Analysiert wird das Jahrzehnt bis 2019, um bewusst die im Gefolge der Covid-Pandemie entstandene, atypische Situation ab 2020 auszuklammern. Alle vier Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an den Folgen einer Lungen- oder Atemwegserkrankung. Das Auftreten von Asthma hat in den vergangenen Jahren um 17 Prozent zugenommen, das von COPD um acht Prozent, von Lungenkrebs um 33 Prozent und von Lungenembolien um 71 Prozent. Das sogenannte Schlafapnoe-Syndrom - verminderte Atmung oder Atemstillstände während des Schlafs - verzeichnete sogar einen Anstieg um 92 Prozent. Alle diese Entwicklungen könnten bei besserer Luftqualität gemildert werden.

Bruder Baum kommt nicht zum Einsatz. Bruder Baum wird vernichtet.

Als in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Notwendigkeit einer Klima- und Umweltpolitik erkannt wurde, hatte die Bewegung anfangs noch keinen religiösen Charakter. Das ist an dem mittlerweile verschwundenen Motto „Bruder Baum“ abzulesen. Damals war klar, dass Bäume CO2 binden, zur Funktion des Wasserhaushalts entscheidend beitragen und generell das Klima regulieren. Heute werden Hinweise auf die enormen Vorteile einer umfassenden Aufforstung von Grünen klein geredet. Zwar wird die Abholzung in Brasilien lautstark kritisiert, der Raubbau in Europa aber ignoriert. Man will offenbar keine praktischen Lösungen, man zieht es vor, die Umweltsünden der Menschen zu geißeln.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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