Am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird derzeit der Solidaritätszuschlag auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft. Der Zweite Senat befasst sich mit verschiedenen verfassungsrechtlichen Fragen zu dieser Ergänzungsabgabe, sagte die Vorsitzende Richterin, Doris König, zu Beginn der mündlichen Verhandlung. Dabei geht es auch darum, ob die Deutsche Einheit nach wie vor zusätzliche Finanzierung erfordert. Seit 2021 müssen 90 Prozent der Steuerzahler keinen Solidaritätszuschlag mehr zahlen, derzeit betrifft die Diskussion jedoch noch die verbliebenen Zahler wie Gutverdiener und Unternehmen.
Das höchste deutsche Gericht verhandelt konkret über eine Verfassungsbeschwerde von sechs FDP-Politikerinnen und -Politikern. Sie argumentieren, dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags, der ursprünglich zur Finanzierung der Wiedervereinigung eingeführt wurde, nach dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 verfassungswidrig sei. "Eine stillschweigende Umwidmung der Ergänzungsabgabe ist unzulässig", erklärte ihr Bevollmächtigter Henning Berger. Es sei eine "Normallage" eingetreten, die einer Fortführung des Solis entgegenstehe. Darüber hinaus kritisieren die Kläger, dass Bezieher unterschiedlicher Einkommen ungleich behandelt würden.
Richterin Rhona Fetzer, die als Berichterstatterin für den Fall zuständig ist, meinte, die Beschwerdeführer setzten ihr politisch gescheitertes Ziel nun juristisch fort. Die Verfassungsbeschwerde wurde als Pilotverfahren aus fünf anhängigen Verfahren ausgewählt. Ein Urteil wird in der Regel erst in einigen Monaten erwartet (Az. 2 BvR 1505/20).
Regierung verteidigt den Solidaritätszuschlag
Die Bundesregierung verteidigt den Solidaritätszuschlag und führt an, dass durch die Folgen der Wiedervereinigung weiterhin ein erhöhter Finanzbedarf bestehe. Kyrill-Alexander Schwarz, der Bevollmächtigte der Bundesregierung, sagte: "Politische Prozesse sind nicht zwingend vorhersehbar." Das Gericht habe stets die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Finanzierungsfragen betont. Zudem verwies Schwarz darauf, dass der Bundesfinanzhof in einem Urteil von 2023 keine Verfassungswidrigkeit des zugrundeliegenden Gesetzes gesehen habe.
Darüber hinaus stellten die Bundestagsabgeordneten Michael Schrodi (SPD) und Andreas Audretsch (Grüne) infrage, ob der Solidaritätszuschlag ausschließlich zur Deckung einer bestimmten, ursprünglich definierten Finanzlast dienen dürfe. Audretsch betonte, dass die Aufgaben des Staates in den letzten Jahren nicht weniger geworden seien – und nannte Beispiele wie den Infrastruktur-Ausbau, den russischen Angriffskrieg und die Bewältigung der Klimakrise. Es gebe keinen Normalzustand.
Aus seiner Sicht sei es auch mit dem Sozialstaatsgebot vereinbar, dass nur Gutverdiener den Solidaritätszuschlag zahlen. Zumal die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werde.
Historische Perspektive auf den Solidaritätszuschlag
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bereits 1972 mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ergänzungsabgabe befasst. Damals entschied der Senat, dass eine Ergänzungsabgabe nicht zwingend befristet sein müsse, erklärte König. Der Gesetzgeber dürfe dabei auch soziale Erwägungen berücksichtigen. Ob eine Ergänzungsabgabe abgeschafft werden müsse, wenn die Voraussetzungen für ihre Erhebung entfielen, ließ das Gericht damals jedoch offen.
Der Solidaritätszuschlag für die Spitzenverdiener bleibt
Der Solidaritätszuschlag wird als Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftsteuer sowie Kapitalerträge erhoben und beträgt 5,5 Prozent der jeweiligen Steuer. Seit 2021 müssen nur noch Gutverdiener, Unternehmen und Kapitalanleger den Soli zahlen. Für 90 Prozent der Steuerzahler wurde der Solidaritätszuschlag im Rahmen des "Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995" abgeschafft, für weitere 6,5 Prozent zumindest teilweise. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft zahlen derzeit noch rund sechs Millionen Menschen den Soli sowie etwa 600.000 Kapitalgesellschaften.
Sollte der Karlsruher Senat der Ansicht der FDP-Beschwerdeführer folgen und den Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig erklären, könnte dies für die kommende Bundesregierung zu einer großen Herausforderung werden. Denn für das kommende Jahr sind Soli-Einnahmen in Höhe von 12,75 Milliarden Euro im Haushalt verplant, die dann wahrscheinlich wegfallen würden. Es könnte jedoch noch problematischer werden: Der Senat könnte auch entscheiden, dass der Staat die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag der letzten Jahre zurückzahlen muss. Dies würde etwa 65 Milliarden Euro seit 2020 umfassen.
Mögliche Folgen einer Rückabwicklung des Solidaritätszuschlags
Falls der Solidaritätszuschlag als verfassungswidrig eingestuft und rückabgewickelt werden müsste, erklärte der FDP-Bevollmächtigte Berger, müsse der zusätzliche Finanzbedarf auf andere Weise gedeckt werden. Dies liege dann in der Verantwortung des Gesetzgebers. Je länger man mit einer Entscheidung warte, desto größer könnten die Folgen im Falle einer Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags werden, betonte Berger.