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Marode Infrastruktur: Deutschlands bröckelnde Brücken - Geld allein reicht nicht

500 Milliarden aus dem Schuldenpaket von Union und SPD sollen in die marode Infrastruktur fließen: Brücken, Schienen und Straßen – oft in den 60er und 70er Jahren gebaut – und von der Politik zu lange auf Verschleiß gefahren. Besonders gefährlich ist das Problem maroder Brücken. Doch eine rasche Sanierung wird es nicht geben
03.04.2025 06:09
Aktualisiert: 06.04.2025 14:12
Lesezeit: 3 min
Marode Infrastruktur: Deutschlands bröckelnde Brücken - Geld allein reicht nicht
A100-Brücke in Berlin ist einsturzgefährdet: Deutschlandweit hat die vorige Regierung allein im Bundesbesitz rund 4.000 Brückenbauten identifiziert, die dringend saniert werden müssen. (Foto: dpa) Foto: Sebastian Gollnow

Deutschlands Brücken sind in einem beklagenswerten Zustand – jüngstes Beispiel ist die A100-Brücke in Berlin. Die sogenannte Ringbahnbrücke – eine Lebensader im Westen der Hauptstadt – wurde Mitte März kurzerhand gesperrt, weil sie einzustürzen droht. Deutschlandweit hat die vorige Regierung allein im Bundesbesitz rund 4.000 Brückenbauten identifiziert, die dringend saniert werden müssen. Warum geht es dabei so langsam voran?

Deutschlands bröckelnde Brücken – Reicht Geld allein?

Am Geld soll es zumindest nicht scheitern. Für Investitionen in die Infrastruktur hat der Bund ein kreditfinanziertes Sondervermögen von rund 500 Milliarden Euro aufgelegt. „Aus dem Sondervermögen werden für die Straße zur Auflösung des Sanierungsstaus insbesondere bei Brücken und Tunneln Mittel zur Verfügung gestellt“, heißt es in einem Papier der zuständigen Arbeitsgruppe aus den Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD. Doch wie das Geld aufgeteilt werden soll, ist unklar.

Sonderschulden „beflügelt die Fantasien“ vieler Minister

„Das Sondervermögen Infrastruktur beflügelt natürlich aktuell die Fantasien vieler Kolleginnen und Kollegen“, sagt Bayerns Verkehrsminister, Christian Bernreiter (CSU), zum Auftakt der Verkehrsministerkonferenz in Nürnberg. Schließlich wurden Brücken, Schienen und Straßen – oft in den 60er und 70er Jahren gebaut – zu lange auf Verschleiß gefahren. Der Verkehr hat sich seitdem vervielfacht, die Bauwerke müssen immer mehr Last tragen. Bernreiter ist heute und morgen Gastgeber der Verkehrsministerkonferenz in Nürnberg.

Hinzu kommen verschiedene Zuständigkeiten: Für die marode A100-Brücke ist der Bund verantwortlich. Die in die Elbe gestürzte Carolabrücke wiederum ist Sache der Stadt Dresden. Die Länder sollen aus dem Sondervermögen rund 100 Milliarden Euro erhalten.

Industrie: Wir haben kein Kapazitätsproblem

Geld ist also da. Und auch an den Kapazitäten der Baubranche scheitere die Sanierung nicht, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. „Die Bauindustrie hat kein Kapazitätsproblem, im Gegenteil.“ Die Unternehmen seien eher unausgelastet als dass es Engpässe gebe. „Wir würden gern viel mehr, schneller und effizienter bauen.“

Und hier liegt aus Müllers Sicht ein Problem. „Es fehlt sehr oft an einem schlanken Gesamtprozess“, sagt er und fordert unter anderem ein flexibleres Vergaberecht, „sodass neben der Fach- und Teillosvergabe auch die Möglichkeit der Gesamtvergabe besteht“.

Immer wieder werden auch die langen Planungszeiten und hohen bürokratischen Hürden bei Bauvorhaben kritisiert. Der Bund hat hier bereits vor einiger Zeit ein Gesetz zur Planungsbeschleunigung beschlossen. Es sieht unter anderem den Abbau von Bau- und Umweltauflagen bei bestimmten Projekten vor sowie die Digitalisierung von Planfeststellungsverfahren.

Müller fordert in diesem Zusammenhang unter anderem eine verbindliche Stichtagsregelung. „Das heißt, die Rechts- und Sachlage im Planungsprozess ist zu einem bestimmten Zeitpunkt verbindlich.“ Auch die Aufhebung des Planfeststellungsverfahrens bei Ersatzneubauten schaffe Luft.

Verkehrsforscher: „Eine rasche Sanierung wird es nicht geben“

Ein weiteres Problem für die Branche ist die fehlende langfristige Finanzierungssicherheit. Experten fordern etwa einen überjährigen Finanzrahmen für Investitionen in die Infrastruktur.

Sinnvoll wäre etwa, die für den Erhalt der Bundesstraßen zuständige Autobahn GmbH finanziell selbstständig aufzustellen, sodass die bundeseigene Gesellschaft langfristig planen könne, wie Verkehrsforscher Gernot Sieg von der Uni Münster sagt. „Eine rasche Sanierung wird es aber nicht geben, da man die Fehler der letzten 30 Jahre nicht rasch beheben kann“, ist er sich sicher.

Jüngstes Beispiel: die A100-Brücke in Berlin

Was das für das Land bedeutet, merken derzeit Berlinerinnen und Berliner, seitdem eine der Verkehrs-Lebensadern im Westen der Stadt vor zwei Wochen kurzfristig gekappt wurde. Ein bereits bekannter Riss im Tragwerk der A100-Brücke hat sich überraschend ausgebreitet. Der dreispurige Abschnitt, über den täglich rund 95.000 Fahrzeuge fuhren, wurde von einem Tag auf den anderen voll gesperrt.

Vergangene Woche dann der zweite Schlag: Auch die S-Bahn darf nicht mehr unter der Brücke hindurchfahren. 50.000 Menschen sind hier eigentlich Tag um Tag unterwegs.

Wie es weitergeht? Völlig unklar. Aber es soll schnell gehen. Erst hieß es, die 1963 gebaute Brücke solle gestützt werden, damit die Bahnen möglichst schnell wieder fahren können. Nun steht im Raum, das Bauwerk abzureißen.

Pendler wurden von den Sperrungen überrascht. Lkw bretterten durch die angrenzenden Kieze. Eltern protestieren, weil ihre Kinder auf dem Weg zur Schule gefährliche Umwege nehmen müssen.

„Das Straßennetz ist ziemlich eng geknüpft, sodass einzelne Ausfälle meist ersetzt werden können, ohne dass es groß auffällt“, sagt Verkehrsforscher Sieg. „Dennoch steigen die Transportzeiten und damit die Transportkosten an, und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sinkt.“ Einzelne, wichtige Bauwerke genießen Sieg zufolge besondere Aufmerksamkeit, weil ihr Ausfall sehr problematisch ist.

Lüdenscheid: Region leidet seit Jahren

Das wohl bekannteste Beispiel ist die Rahmede-Talbrücke an der A45 bei Lüdenscheid. Seitdem die Brücke im Dezember 2021 wegen Einsturzgefahr gesperrt wurde, leiden die Menschen in Lüdenscheid und der gesamten Region unter Stau-Chaos, Lärm- und Abgasbelastung, stockendem Lieferverkehr, Fachkräfte-Abwanderung und Umsatzeinbußen.

Mittlerweile ist die Brücke gesprengt, der Neubau läuft. Über einen ersten Teil des Bauwerks soll der Verkehr laut dem geschäftsführenden Bundesverkehrsminister Volker Wissing (parteilos) ab Frühjahr 2026 wieder rollen können.

Die wohl künftige Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD hat angekündigt, an vielen Stellschrauben zu drehen. Klare Ziele, bis wann etwa die 4.000 Brücken modernisiert werden sollen, hat sie bisher nicht genannt. Doch die Koalitionsgespräche laufen noch.

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