Das Kernland des Königreichs Dänemark, zwischen Nord- und Ostsee gelegen, umfasst eine Fläche von knapp 43.000 Quadratkilometern. Grönland, das ein Bestandteil dieses Königreichs ist, verfügt über eine fast exakt 50-mal so große Fläche. Der Besitz von Grönland, der größten Insel der Erde, macht Dänemark – neben Norwegen, Russland, Kanada und den USA - zu einer arktischen Nation. Doch wenn es um die Frage geht, welches Land den Nordpol für sich beanspruchen könnte, bleiben aus geographischen Gründen nur drei Staaten übrig: Dänemark, Russland und Kanada. Dies macht diese drei Länder zu potentiellen Rivalen – und doch könnten sie alle profitieren, wenn ein Abschmelzen des arktischen Eises neue Handelsrouten eröffnen und sich ein Großteil des Welthandels weiter nach Norden verlagern sollte. Eine Analyse.
Auf dem Land stellen Gebirge in der Regel natürliche Barrieren gegen militärische Angriffe dar. Die riesigen Gesteins-Formationen können sich aber auch als so genannte Unterwasser-Gebirge unter der Oberfläche der Ozeane befinden. An einigen Stellen ragen ihre Spitzen in Form von Inseln aus den Tiefen der See hervor. Wie etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die Inselgruppe der Azoren, deren Fundament der Mittelatlantische Rücken bildet und deren höchster Gipfel, der Vulkan Ponta do Pico, sich noch bis zu einer Höhe von 2.351 Metern in den Himmel türmt.
Entscheidet das Recht?
Unter dem teilweise meterdicken Eis des Arktischen Ozeans liegt eine weitere unterseeische Gebirgskette verborgen: Der Lomonossow-Rücken, der unter anderem genau unterhalb des geografischen Nordpols verläuft. Noch ist mit Hilfe geologischer Untersuchungen endgültig zu klären, ob der Lomonossow-Rücken als ein Teil des sibirischen (also russischen), grönländischen (also dänischen) oder kanadischen Festlandssockels zu betrachten ist. Ist dies geschehen, greift das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Es regelt die Hoheitsbefugnisse von Küstenstaaten, und zwar sowohl über ihre Zwölf-Meilen-Zone, ihre ausschließlichen Wirtschaftszonen, die sich bis zu 370 Kilometer weit ins offene Meer erstrecken können, und über die jeweiligen Kontinentalsockel. Für die Bezeichnung Kontinentalsockel ist dabei nicht entscheidend, wie tief dieser sich unter der Wasseroberfläche befindet, sondern ob die Gesteine, aus denen er besteht, der Kontinentalkruste zuzurechnen sind - und nicht der ozeanischen Erdkruste, die sich unter anderem durch eine höhere Dichte auszeichnet.
Für Dänemark, Russland und Kanada steht im Fall des Lomonossow-Rückens viel auf dem Spiel: Ein positives Veto der Vereinten Nationen würde demjenigen Staat, dem es zugesprochen wird, die Meeresbergbaurechte unterhalb großer Teile des Arktischen Ozeans sichern. Und es wird geschätzt, dass dort allein circa 22 Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven zu finden sind, weiterhin Seltene Erden, Platin, Diamanten, Zink und Kupfer. Da ist es nicht verwunderlich, dass das Wettrennen um die Arktis inzwischen eröffnet worden ist. Bereits im Jahr 2007 erreichte ein dreiköpfiges Team aus Russland mit einem Mini-U-Boot den Meeresboden unterhalb des Nordpols und fixierte dort eine russische Flagge aus Titan in 4.261 Meter Tiefe. Die dänischen Ansprüche gehen allerdings noch über den Nordpol hinaus. Seit dem Jahr 2014 argumentiert das Land, dass sich die kontinentale Kruste Grönlands unterseeisch bis zur - der sibirischen Küste vorgelagerten - russischen exklusiven Wirtschaftszone erstreckt.
Oder die Macht?
Ein dänisch-russischer Antagonismus scheint also vorgezeichnet, zumal der Abbau von Ressourcen in der Arktis aufgrund immer schneller schmelzender Eismassen zunehmend machbar erscheint – wenn er auch auf absehbare Zeit eine technische Herausforderung und ein großes Risiko für die maritime Umwelt darstellen wird. Darüber hinaus eröffnet das Abtauen des Meereises aber auch die Möglichkeit, die maritimen Handelswege zwischen Europa und Asien beträchtlich zu verkürzen. Auf der Grundlage von Berechnungen gehen Experten davon aus, dass die Schifffahrt durch die nördlich des amerikanischen Kontinents gelegene Nordwestpassage wie auch entlang der Nordküste Sibiriens ab der Mitte des 21. Jahrhunderts zumindest über einige Monate im Jahr problemlos möglich sein wird. China, das als Handelsriese von dieser Entwicklung besonders profitieren dürfte, spricht im Zusammenhang mit der nördlich von Sibirien verlaufenden Route bereits von einer „Arktischen Neuen Seidenstraße“ – und bringt sich selbst als ein sogenannter „Near Arctic State“ (Staat nahe der Arktis) ins Spiel, eine Bezeichnung, die beispielsweise die USA entschieden ablehnen. Diese Entwicklung zeigt, wie sehr die Arktis inzwischen zu einem Brennpunkt der internationalen Politik geworden ist. Wobei der „Faktor“ Geografie hier eine entscheidende Rolle spielt. Nur sind es in diesem Fall keine Berge, Flüsse oder Küsten, die weitgehend unveränderliche Konstanten der einzelnen Länder bilden. Es ist das klimabedingte Abschmelzen des Eises, was festen Untergrund in schiffbare Seewege verwandelt.
Gewinner und Verlierer
In den nächsten Jahrzehnten dürfte die Kontrolle über die nördlichen Handelswege von größerer geostrategischer Bedeutung sein als der – technisch enorm anspruchsvolle – Zugriff auf die Ressourcen, die unter dem Arktischen Ozean schlummern (zumindest solange die Weltmarktpreise für Öl und Gas nicht extrem in die Höhe schnellen, erst dann wäre ihre Förderung in dieser unwirtlichen Region finanziell lohnend). Dass sich ein Großteil des Welthandels weiter nach Norden verlagern dürfte, hat weitreichende Folgen. So würde es die Bedeutung sowohl des Suezkanals als auch des Panamakanals verringern, im Gegenzug aber die Bedeutung der nordeuropäischen Hafenstädte als künftige Drehscheiben des asiatisch-europäischen Handels stärken. Und je mehr die Arktis international an Bedeutung gewinnt, desto mehr dürften dies auch die angrenzenden Nationen tun. So dürfte sich die Arktis in den nächsten Jahrzehnten zu einem äußerst wichtigen Schauplatz des Weltgeschehens entwickeln.
In unserer großen geopolitischen Serie sind bisher erschienen:
Russland:
China:
Deutschland:
USA:
Großbritannien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506643/Großbritannien-Wiedergeburt-eines-Empires
Türkei:
Japan:
Saudi-Arabien:
Frankreich:
Zentralasien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/509203/Zentralasien-Das-Zentrum-des-Schachbretts
Italien:
Österreich:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/511103/OEsterreich-Im-Westen-verankert-den-Blick-nach-Osten
Iran:
Indien:
Nord- und Südkorea: