Deutschland

Süddeutsche Länder wollen ihre Interessen stärker gegenüber Berlin vertreten

Lesezeit: 5 min
30.08.2022 10:40  Aktualisiert: 30.08.2022 10:40
Die Süd-Länder Baden-Württemberg und Bayern kritisieren die Politik der Ampel-Regierung teilweise scharf. Die Zusammenarbeit zwischen München und Stuttgart soll ausgebaut werden.

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Baden-Württemberg und Bayern wollen die Interessen Süddeutschlands stärken und gemeinsam gegen mögliche Benachteiligungen durch die Ampel-Regierung im Bund vorgehen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Montag bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Markus Söder (CSU) in Neu-Ulm, es dürfe im Bund und den anderen Ländern nicht der Eindruck entstehen: "Wir sind reich und uns kann man einfach nur schröpfen. Die Mentalität ist weit verbreitet." Bei den geplanten Entlastungen wegen der sprunghaft gestiegenen Energiepreise warnten Kretschmann und Söder die Ampel aus SPD, Grünen und FDP vor Entscheidungen auf Kosten der Länder. "Wir werden nur Dingen zustimmen, die nachhaltig durchgerechnet und finanziert sind", sagte der Grünen-Politiker.

Wasserstoff-Allianz im Süden: "Stellen uns auf die Hinterbeine"

Kretschmann und Söder hoben eine Wasserstoff-Allianz aus der Taufe. Auch hier wollen sie gemeinsam auf ihre Interessen beim Bund pochen. Söder beklagte, dass die Ampel kaum mit den Ländern spreche und deren Interessen zu wenig berücksichtige. So würden bei den Vorplanungen des Bundes für Wasserstoff-Leitungen die Länder im Norden begünstigt. "Das ist eine Sackgassenplanung", sagte der CSU-Vorsitzende und warnte: "Wenn der süddeutsche Motor nicht läuft, hat Deutschland ein Problem." Kretschmann ergänzte, es gehe nicht, dass Süddeutschland erst nach 2030 an das europäische Wasserstoff-Netz angebunden werde. "Das ist viel zu spät." Das werde man nicht akzeptieren. "Deswegen stellen wir uns auf die Hinterbeine."

Wasserstoff gilt als klimafreundliche Energiealternative für Kohle, Öl und Erdgas in Industrie und Verkehr. Als "grün" gilt Wasserstoff aber nur, wenn Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt, um Wassermoleküle mittels Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Grüner Wasserstoff ist im Vergleich zu fossilen Energieträgern nicht nur teurer, er kann auch bislang nicht in ausreichenden Mengen produziert werden - und bundesweite Verteilnetze müssen erst noch entstehen. Es gelte aber jetzt die Weichen zu stellen, so die beiden Politiker. "Die Zeit drängt sehr, damit wir nicht aus einer Gasmangel-Lage in einen Wasserstoffmangel geraten", warnte Kretschmann.

CSU-Chef sieht "klassisches Ritual von Parteiengezänk" bei Ampel

Söder forderte die Ampel auf, wegen der Energiekrise sinnvolle Entlastungen zu beschließen und den Streit um die Gasumlage hinter sich zu lassen. Die Lage sei zu ernst, "um ein klassisches Ritual von Parteiengezänk zu zeigen". Kretschmann sagte dazu: "Der Umgang in der Koalition verwundert mich etwas. Jedenfalls habe ich noch keinen Tag bereut, dass ich keine Ampel gemacht habe."

Söder erklärte, Handwerksbetriebe, Kleinunternehmen und auch Normalverdiener seien in existenzieller Gefahr. "Wir müssen sehr aufpassen, dass wir die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten in unserem Land", sagte er. "Und dass wir verhindern, dass es Abstiegsszenarien gibt." Zugleich dürfe die Ampel die finanzielle Machbarkeit nicht aus dem Auge verlieren. Die bisherigen Vorschläge der SPD-Fraktion seien teuer. "Der Bund muss überlegen, ob er damit die Schuldenbremse aussetzt."

Ende Gelände": Kretschmann kritisiert Bundes-Vorgaben

Kretschmann warnte den Bund, Baden-Württemberg werde im Bundesrat keinem Vorschlag zustimmen, der nicht sauber und nachhaltig durchfinanziert sei. Es sei immer das gleiche Muster: Der Bund tätige Investitionen zum Anschieben eines Projektes und die Länder müssten das dann weiterfinanzieren. Als Beispiel nannte er die Kinderbetreuung. "Ende Gelände. Ich mache das nicht mehr."

Die Südschiene - schon oft beschworen

In den vergangenen Jahrzehnten haben Bayern und Baden-Württemberg immer wieder ihre Verbundenheit als erfolgreiches Bundesländer-Duo auf der "Südschiene" beschworen. Schon in den 1980er Jahren lobten die Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU) die starke Verbindung der Auto-Länder. Vor allem in der Debatte um den Länderfinanzausgleich fühlen sich die "Geberländer" verbunden. Nachdem Kretschmann 2011 an die Macht gekommen war, fand die CSU zunächst, die Südscheine sei zum Abstellgleis geworden. Doch der wertkonservative Grüne gewann das Vertrauen der Bayern zurück. Am Montag trugen sich Kretschmann und Söder im Trauungszimmer des Rathauses von Neu-Ulm in Goldene Buch der Stadt ein.

Süden besonders von Gasmangel betroffen

Im reichen Süden Deutschlands werden bei einem Gasnotstand besonders harte Folgen für die Wirtschaft befürchtet. Die Industrie wolle wissen, ob der Süden bei einer Notfallverteilung von Gas gegenüber dem Norden benachteiligt werde, es seien "große Ängste" im Spiel, warnte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann Ende Juli in Stuttgart bei einem Krisengipfel zur Gasversorgung. Der Grünen-Politiker will für den Fall vorbeugen, dass Russland seine Gaslieferungen an Deutschland weiter drosselt.

Kretschmanns bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) forderte die Bundesregierung auf, die Gasversorgung Bayerns und anderer Bundesländer aus dem österreichischen Speicher Haidach zu klären. Er reagierte damit auf die Ankündigung Österreichs, den auch für Bayern wichtigen Gasspeicher bei Salzburg möglichst bald - neben dem deutschen - auch mit dem österreichischen Netz zu verbinden. "Wir beobachten die Entwicklungen beim Gasspeicher in Haidach mit großer Sorge", sagte Söder.

Bayern und Baden-Württemberg liegen fernab der geplanten Terminals für Flüssigerdgas (LNG) und der großen Speicher im Nordwesten. Die Terminals sollen dazu beitragen, die Bundesrepublik unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu machen. Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hatte den Tageszeitungen "Südwest Presse" und "Badische Zeitung" mit Blick auf das Nord-Süd-Gefälle bei der Gas-Notversorgung gesagt: "Bei den Pipelines sind Bayern und Baden-Württemberg die letzten Glieder in der Kette. Wenn im Norden zu viel Gas entnommen wird, schaut der Süden in die Röhre. Das darf nicht passieren, das wäre fatal."

Söder sagte mit Blick auf den Speicher Haidach, es gehe um die Versorgung ganz Deutschlands. "Sollte Bayern als wirtschaftsstärkstes Bundesland nicht ausreichend versorgt werden, betrifft das die Gesamtwirtschaft. Wer den Süden abkoppelt, legt das ganze Land lahm", sagte Söder in München.

Haidach ist einer der größten Untertage-Erdgasspeicher Europas - er versorgt Süddeutschland. Aktuell ist der größte Teil des Speichers aber leer, weil er noch unter russischer Kontrolle ist. Inzwischen sind Schritte eingeleitet, an deren Ende Gazprom keine Kontrolle mehr über den Speicher hat und er durch andere genutzt werden kann.

Kretschmann sagte nach dem Krisengipfel, falls Wirtschaft und Verbraucher ein Fünftel ihres Gasverbrauchs senken würden, könne der Südwesten im besten Fall eine Mangellage im Winter vermeiden. "Wir haben es alle selbst in der Hand." Im Gespräch mit dem Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, habe man deutlich gemacht, dass die starken Unternehmen im Südwesten nicht die "Gekniffenen" sein dürften. Auch hier sei das Energiesparen eine wichtige Voraussetzung.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte ein Energiesparpaket vorgestellt, das die Haushalte stärker in die Pflicht nimmt und verbindliche "Heizungschecks" vorschreibt. Zudem soll der Verbrauch in öffentlichen Gebäuden und Firmen sinken.

Der Chef der Netzagentur versicherte, man wolle dafür sorgen, eine Gasmangellage in Deutschland zu verhindern. Auch habe er im Blick, dass der Süden nicht benachteiligt werde. Man arbeite daran, Gas aus Frankreich über das Saarland in den Süden zu transportieren. Grundsätzlich haben demnach Privathaushalte bei Ausfällen der Gasversorgung Vorrang vor Unternehmen.

Die Flächenländer Baden-Württemberg und Bayern sind nach Angaben von Statistikern im Bundesvergleich besonders wirtschaftsstark. Beim Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner lagen die Stadtstaaten Hamburg und Bremen im vergangenen Jahr zwar an der Spitze, es folgten dann aber Bayern und Baden-Württemberg.


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