Der Name „Balkan“ leitet sich vom Balkangebirge ab, das sich von West nach Ost quer durch Bulgarien schiebt, bis es am Kap Emine fast senkrecht ins Schwarze Meer abstürzt. Der Balkan selbst ist eine Region, die sich geografisch nicht hundertprozentig genau definieren lässt.
Für uns markiert die Donau zwischen Belgrad und ihrem Delta, das zum größten Teil in Rumänien liegt, die nördliche Grenze des Balkans. Mit Griechenland und seinen zahlreichen Inseln ragt er in Richtung Süden bis weit in das sonnengetränkte Mittelmeer hinein. Der Westbalkan, zu dem die meisten Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens sowie Albanien gehören, ist gebirgig und bietet daher nur kleinteilige Siedlungsräume. Im Osten grenzt der Balkan ans Schwarze Meer; neben Bulgarien und Teilen Rumäniens umfasst er Ost-Thrakien (auch „Europäische Türkei“ genannt)
Immer wieder wurde der Balkan als das „Pulverfass Europas“ bezeichnet. Dies erklärt sich aus seiner Geografie und seiner Historie, aber auch aus dem Umstand, dass der Balkan stets im Spannungsfeld der Interessen unterschiedlicher Mächte gelegen hat – und bis heute liegt. Eine Analyse.
Eine Schlacht und abgeschlagene Köpfe
Lange bestimmten zum einen das Osmanische Reich, zum anderen die Monarchie der Habsburger die Geschicke des Balkans. Metternich, nach den Niederlagen Napoleon Bonapartes einer der einflussreichsten Staatsmänner Europas, soll gesagt haben, der Balkan habe seinen Ausgangspunkt am Rennweg im Südosten von Wien. Doch historisch wie geografisch gesehen beginnt er mit der serbischen Hauptstadt Belgrad, der „weißen Stadt“, die an der Grenze zum Balkan liegt. Auf einem 50 Meter hohen Kalkstock im Mündungswinkel der beiden Ströme Save und Donau thront hier die Belgrader Festung. Sie sicherte das Osmanische Reich für lange Zeit gegen Angriffe aus dem Norden, war über Jahrhunderte hinweg ein blutig umkämpfter Grenzposten sowie ein Scheidepunkt zwischen christlichem und islamischem Kulturkreis.
Nördlich der Donau findet sich hügeliges, teilweise flaches Terrain, südlich des Stroms wird die Topografie zunehmend von Bergen bestimmt. Die Schlacht auf dem Amselfeld – ein im heutigen Kosovo gelegenes, vom Dinarischen Gebirge umgebenes Hochbecken -, wurde zwischen serbischen Fürsten und den Osmanen im Jahr 1389 ausgetragen und von letzteren gewonnen. Sie ist für das geschichtliche Verständnis der Serben von fundamentaler Bedeutung. Der Herrschaft der Osmanen widersetzten sie sich immer wieder, über Jahrhunderte hinweg – jedoch ohne Erfolg. Ein großer Aufstand erfolgte in den Jahren nach 1805, als große Teile der osmanischen Truppen durch Kämpfe mit Russland gebunden waren, dennoch konnten die Besatzer den Aufstand niederschlagen. In der Nähe der südserbischen Stadt Nis lässt sich noch heute der mehrere Meter hohe „Schädelturm“ besichtigen, errichtet - auf Geheiß des türkischen Sultans und als ein mahnendes Beispiel - mit den abgeschlagenen und gehäuteten Köpfen aufständischer Serben. Erst 1878 wurde die Region um Nis auf dem Berliner Kongress Serbien zugeschlagen.
Zersplitterung der Macht
Südlich von Nis bestimmen unwegsame Berge das Landschaftsbild. Das trifft auch auf Griechenland zu, das südlichste Land der Balkanhalbinsel. Es ist kein Zufall, dass sich im antiken Griechenland zahlreiche Stadtstaaten etablieren konnten, nicht aber ein Flächenstaat. Das gebirgige Land und seine zahlreichen Inseln lassen sich militärisch kaum unter Kontrolle bringen und einigen. Weder gelang dies den persischen Großkönigen der Antike noch später den Osmanen, die zwar die Städte beherrschten, nicht aber deren jeweiliges Hinterland. Die gebirgige Geografie Griechenlands wie auch die eines Großteils des übrigen Balkans führt zu einer Zersplitterung der Macht. So ist auch das ehemalige Jugoslawien seit den frühen 90ger Jahren in etliche Teilstaaten zerfallen. In dem Begriff der „Balkanisierung“ schwingt neben einer zerbröselnden zentralen Staatsgewalt immer auch die Vorstellung chaotischer und gewalttätiger Zustände mit, nicht zuletzt auch aufgrund der vielen Massaker während der Jugoslawienkriege. Eine Stereotype ist dies nicht: Die Region wird von kriegerischen Völkern bewohnt.
Geografisch betrachtet ist der südliche Teil des Balkans eine Brücke in den Nahen Osten und bis nach Asien, wie auch der – von den Chinesen in die Wege geleitete - Ausbau des Hafens von Piräus zum umschlagstärksten Containerhafen des Mittelmeeres und seine Anbindung an die „Neue Seidenstraße“ zeigt. Doch die zerklüftete Geografie des Balkans wie auch die kulturelle und religiöse Vielfalt seiner Bewohner - meist orthodoxe Christen und Muslime - haben die Herausbildung einer dominierenden Macht in der Region verhindert. Stattdessen hat sie sich immer wieder im Spannungsfeld externer Machtzentren wiedergefunden, die alle zur Absicherung ihrer geopolitischen Interessen Einfluss zu nehmen suchten. Zu nennen wäre zunächst das Osmanische Reich und sein Nachfolgerstaat, die Türkei. Der Ostteil Thrakiens, der sich bis zum europäischen Teil Istanbuls erstreckt und an Griechenland und Bulgarien grenzt, macht noch immer den europäischen Teil dieses Landes aus. Der Besitz dieses Landstrichs garantiert den türkischen Zugriff sowohl auf den Bosporus als auch auf das Marmarameer, was den Türken die Kontrolle der Passage zwischen dem Schwarzen und dem Mittelmeer ermöglicht. Aus diesem Grund haben auch die russischen Zaren bei ihrem imperialen Drang nach Süden Istanbul und den Bosporus immer im Blick behalten. Noch heute hängt die Möglichkeit Russlands, als Ordnungsmacht im Nahen und Mittleren Osten aufzutreten und dort seine geostrategischen Interessen zu wahren, zu einem guten Teil von dem freien Schiffsverkehr durch die türkischen Gewässer ab. Dieser wird zurzeit durch den Vertrag von Montreux garantiert.
Geopolitischer Spielball
Vom Nordwesten her strahlt die geoökonomische Macht der EU in die Region hinein und hat damit gewissermaßen das Erbe der österreichisch–ungarischen k. und k.-Monarchie angetreten. Der Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens und die Errichtung der amerikanischen Militärbasis „Camp Bondsteel“ im Kosovo sowie die Aufnahme von Ländern wie Rumänien und Bulgarien in die Nato haben die geostrategische Position Russlands in Südosteuropa entscheidend geschwächt. Russland muss nun eine weitere Schwächung Serbiens verhindern und seine traditionell guten Beziehungen zu diesem Land bewahren, will es in der Region nicht endgültig ins Hintertreffen geraten.
Im Süden der Balkanhalbinsel spielte Griechenland – zusammen mit der Türkei – lange eine wichtige Rolle bei der Absicherung der Südostflanke der Nato. Der Druck auf diesen Teil der Welt hatte nach der Auflösung des Warschauer Paktes zwischenzeitlich nachgelassen, doch schon allein die Geografie des hellenischen Staates mit seinen zahllosen Inseln und der dadurch insgesamt schier endlosen Küstenlinie erfordert ein relativ hohes Militärbudget, zumal Gas-Funde im südöstlichen Mittelmeer zu einer weiter zunehmenden Rivalität mit der Türkei geführt haben. Der Verbleib des hoch verschuldeten Landes in der europäischen Währungsunion dürfte indes auch den geostrategischen Interessen Amerikas entgegenkommen, das Griechenland fest an die EU binden und damit den transatlantischen Einfluss in der Region bewahren will.
Die ungelösten Konflikte gerade auch im westlichen Balkan trüben die Aussichten auf eine günstige Entwicklung der Region. Wenn dann externe Akteure beginnen sollten, den Balkan noch mehr in ihrem Sinne zu instrumentalisieren, als sie es derzeit ohnehin schon tun, könnte er erneut zum Pulverfass Europas werden.
In unserer großen geopolitischen Serie sind bisher erschienen:
Russland:
China:
Deutschland:
USA:
Großbritannien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506643/Großbritannien-Wiedergeburt-eines-Empires
Türkei:
Japan:
Saudi-Arabien:
Frankreich:
Zentralasien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/509203/Zentralasien-Das-Zentrum-des-Schachbretts
Italien:
Österreich:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/511103/OEsterreich-Im-Westen-verankert-den-Blick-nach-Osten
Iran:
Indien:
Nord- und Südkorea:
Arktis:
Schweiz: