Politik

Wohnungsnot: Bauministerin Geywitz will Energie-Vorschriften aufweichen

Die Bundesregierung ist von ihrer Zielvorgabe von 400.000 Neubauten meilenweit entfernt. Jetzt sollen die Energiesparstandards einkassiert werden. Trotzdem droht der Wohnungsbaubranche der Kollaps.
23.09.2023 18:39
Aktualisiert: 23.09.2023 18:39
Lesezeit: 3 min
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Bauministerin Klara Geywitz fordert eine Kehrtwende bei den geplanten Energiesparvorschriften für neue Wohnhäuser und für unsanierte ältere Gebäude. Statt bei Privathäusern solle zuerst mit der Sanierung öffentlicher Gebäude Kohlendioxid für den Klimaschutz eingespart werden, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur vor dem für Montag angesetzten Treffen von Bundesregierung und Wohnungswirtschaft im Kanzleramt.

„Ich bin dagegen, mit verpflichtenden Mindest-Effizienzstandards bei Gebäuden Eigentümern von unsanierten Häusern Angst zu machen, dass sie Zehntausende von Euro investieren müssen“, sagte Geywitz auch mit Blick auf EU-Pläne. In Brüssel wird eine Gebäudeeffizienzrichtlinie beraten, die vor allem für Häuser mit den schlechtesten Energiewerten Verbesserungen fordern würde.

Auch das Bundeswirtschaftsministerium will dabei bestimmte Vorgaben verhindern. „Verpflichtende Sanierungen für einzelne Wohngebäude schließen wir aus“, zitierte der Spiegel aus einer Stellungnahme.

Distanz zum Koalitionsvertrag

„Wir sollten erstmal bei den öffentlichen Gebäuden mit gutem Beispiel vorangehen, bei den Schulen unserer Kinder, bei Sporthallen, bei den Rathäusern, den Feuerwachen und Pflegeeinrichtungen“, sagte Geywitz. „Damit haben wir schon ziemlich viel CO2 gespart. Und wenn wir später feststellen, dass es noch zu viele unsanierte Einfamilienhäuser gibt, haben wir dann sicherlich auch eine Antwort darauf.“

Mit Blick auf Neubauten ging Geywitz klar auf Distanz zu dem Energiesparstandard EH40, den die Ampel im Koalitionsvertrag für 2025 vereinbart hat. „Die jetzigen Kategorien, der Effizienzstandard EH40 zum Beispiel, konzentrieren sich zu sehr auf die Dämmung und die benötigte Heizwärme“, sagte Geywitz. „Wir sollten ein einfaches System entwickeln, das energieeffizientes Bauen, die Nutzung umweltgerechter und recycelter Baumaterialien und flächensparendes Bauen fördert. Das wäre eine Alternative zu EH40.“

Die Festlegung im Koalitionsvertrag stamme aus einer Zeit mit niedrigeren Finanzierungs- und Baukosten, argumentierte Geywitz. „Wir müssen dringend die Baukosten senken. Der Baukostenunterschied zwischen dem jetzt gültigen Standard EH55 und EH40 kann mehrere Hundert Euro pro Quadratmeter betragen.“

Nötig sei ein flexibles System. „Das gilt für ältere Gebäude, aber auch für den Neubau“, sagte Geywitz. „Holz und andere natürliche Baustoffe speichern Kohlendioxid für lange Zeit. Da brauchen wir die technische Freiheit zu sagen: Wenn du beim Bau des Hauses viel CO2 speicherst oder sparst, indem du Recycling-Material verwendest, dann kannst du später in der Betriebsphase im Hinblick auf den Energieverbrauch flexibler sein.“

Der Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt soll am Montag beraten, wie schnell und preiswert mehr Wohnungen gebaut werden können. Die Zahlen gehen momentan wegen hoher Zinsen und Baukosten zurück.

Scholz sieht Mitverantwortung bei Ländern

Vor dem Treffen mit der Baubranche für bezahlbares Bauen hat Kanzler Olaf Scholz die Bundesländer in Mithaftung genommen. Es sei gut, dass die Bundesländer auf die Vorschläge des Bundes für Planungsbeschleunigung auch im Baubereich positiv reagiert hätten, sagte Scholz auf einer SPD-Wahlveranstaltung in Nürnberg am Samstag. Bei den Bauvorschriften sträubten sie sich aber noch immer, bundeseinheitlichen Standards zuzustimmen, die serielles und damit billigeres Bauen leichter machten. Es brauche überall eine Beschleunigung.

Mit Hinweis auf das Treffen im Kanzleramt am Montag fügte Scholz hinzu, dass die Zinsen eigentlich das Bauen nicht bremsen dürften. Früher seien bei höheren Zinsen mehr Wohnungen gebaut worden.

Am Montag will die Regierung ein Hilfspaket für die krisengeplagte Baubranche vorstellen. Dabei geht es auch darum, weniger strenge Vorgaben für Neubauten zu machen. So soll der sogenannte EH-40-Standard zur Dämmung von Häusern einem Insider zufolge zeitlich befristet ausgesetzt werden, vermutlich bis zum Ende der Amtszeit der Ampel-Koalition Ende 2025. Überschattet wurden die Vorbereitungen auf das Treffen – das sogenannte Bündnis bezahlbarer Wohnraum – von der Absage von zwei Verbänden und schweren Vorwürfen gegen die Regierung. CDU-Chef Friedrich Merz sprach von einem „Offenbarungseid“ für die Politik der Ampel-Regierung.

Gewerkschaft fordert Milliardenhilfen

Gleichzeitig warnt die Gewerkschaft IG Bau hat vor einem Kollaps der Wohnungsbaubranche ohne zusätzliche Milliardenhilfen durch den Bund. „Was wir jetzt brauchen, ist ein echter Schub, damit der Wohnungsbau nicht kollabiert“, sagte IG-Bau-Gewerkschaftschef Robert Feiger der Augsburger Allgemeinen Zeitung. „Wir brauchen beispielsweise ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro, um genügend Sozialwohnungen bis zum Jahr 2025 zu bauen“, forderte der Gewerkschafter. Weitere 22 Milliarden Euro seien noch in dieser Legislaturperiode notwendig, um auch Wohnungen zu erstellen, die für Menschen mit mittleren Einkommen bezahlbar seien. „Von dem Ziel der Ampel, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu erstellen, sind wir meilenweit weg“, betonte er. Der Staat müsse jetzt Mittel zur Verfügung stellen. „Alles, was jetzt nicht finanziell auf den Weg gebracht wird, wird später doppelt so teuer“, warnte Feiger.

Die Bauwirtschaft befinde sich gerade in einer zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Lage. „Durch die hohen Baupreise und die hohen Zinsen können sich viele Menschen keine eigene Wohnung respektive ein eigenes Haus mehr leisten und auch Wohnungsunternehmen stellen ihre Neubauprojekte vermehrt zurück“, sagte der IG-Bau-Chef. Zudem müsse die Koalition endlich die im Koalitionsvertrag angekündigte Wiederbelebung der Wohngemeinnützigkeit auf den Weg bringen. (mit dpa, reuters)

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