Politik

Deutschland hat ägyptischen Geheimdienst im Kampf gegen Regime-Kritiker geschult

Die Diskussion um die NSA in Deutschland ist pure Heuchelei: Deutsche Dienste haben den gefürchteten ägyptischen Staatssicherheitsdienst geschult, wie er Dissidenten überwachen und ausforschen kann. Damit können die Militärs in Ägypten in ihrem brutalen Kampf gegen die Muslim-Brüder auf deutsches Know-How zurückgreifen. Auch die türkischen und tunesischen Sicherheits-Dienste wurden von den Deutschen ausgebildet. Eine politische Kontrolle hat nicht stattgefunden. Das Versagen der Bundesregierung ist evident.
16.08.2013 03:06
Lesezeit: 4 min

In ihrem Sommerinterview mit dem DLF sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie keinen Anlass zu der Annahme habe, dass sich die deutschen Geheimdienste nicht penibel an Recht und Gesetz halten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle beklagte die Welle der Gewalt in Ägypten und rief die Parteien auf, den Konflikt im friedlichen Dialog zu lösen.

Diese Sprüche kann man alle vergessen.

Das ist pure Heuchelei.

Denn Deutschland ist, was die Aktivitäten von Geheimdiensten und staatlichen Behörden zum Zwecke des Ausspionierens auf fremden Boden, mitnichten ein Musterknabe, der sich nur um die Dinge kümmert, die ihn selbst betreffen.

Merkel sagte, dass „Geheimdienste in jedem unserer Länder eine wichtige Funktion haben“.

In Deutschland haben die Dienste scheinbar auch die Funktion, dem Land als „Exportnation Nummer 1“ alle Ehre zu machen.

Tatsächlich haben der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei in den vergangenen Jahren aktive Entwicklungshilfe in Ägypten und Tunesien geleistet: Nach Recherchen von Statewatch haben die deutschen Dienste dem gefürchteten ägyptischen Staatssicherheitsdienst das Rüstzeug geliefert, wie er über das Internet unliebsame Regime-Kritiker ausspionieren kann. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, wurde „zugunsten des ägyptischen Staatssicherheitsdienstes wurde im Zeitraum 24. Oktober bis 28. Oktober 2010 ein Lehrgang zum Thema ,Open Source Internetauswertung im Bereich des internationalen Terrorismus‘ durchgeführt“.

Ähnliche „Lehrgänge“ erhielten die Behörden von Algerien, Jordanien, Marokko, Saudi-Arabien und Tunesien.

In Ägypten fanden Demonstranten, die das Gebäude des Staatssicherheitsdienstes gestürmt hatten, ein Verkaufsangebot von Elaman, dem deutschen Ableger des Herstellers von Spionage-Geräten Gamma International. Gegen Gamma und die deutsche Sicherheitsfirma Trovicor GmbH (Slogan: „Making The World a Safer Place“) sind Beschwerden bei der OECD anhängig. Mehrere NGOs werfen den Firmen Menschenrechtsverletzungen vor, weil sie eine Spionage-Software nach Bahrain und andere Staaten geliefert hätten, mit denen die Regime Computer, Telefone, Emails und Skype-Anschlüsse von Regime-Kritikern gehackt haben sollen. Trovicor ist früher einmal Teil von Siemens gewesen.

Auf der Website Netzpolitik.org berichtet der wissenschaftliche Mitarbeiter der Links-Fraktion Matthias Monroy darüber, dass die deutsche Ausbildungstätigkeit auch nach den Revolutionen fortgesetzt wurde.

Monroy schreibt:

„Der hierzulande wegen der NSU-Affäre erneut in Verruf geratene Bundesnachrichtendienst unterrichtet Schnüffler in Tunis seit letztem Frühjahr zum Thema „Nachrichtendienste in einer Demokratie“. Handfestere Beiträge steuert das Bundesamt für Verfassungsschutz bei. Der Inlandsgeheimdienst knüpft nahtlos an die Zusammenarbeit an, die das BKA unter Ben Ali eingefädelt hatte und bildet tunesische Behörden in der „Terrorismusabwehr” aus.“

Die Arbeit des BKA hat offenbar zu entsprechenden Fahndungserfolgen geführt:

Monroy:

„Zur gleichen Zeit als das BKA seine Ausbildungshilfe zur Internetüberwachung leistete, wurden BloggerInnen in Tunesien und Ägypten verhaftet und gefoltert. Die Praxis hält offensichtlich weiter an: Jetzt wurde in Tunesien ein Aktivist in letzter Instanz zu über sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil er im Internet den Islam beleidigt habe. Die Situation ist derart prekär, dass mehrere tunesische Bürger- und Menschenrechtsgruppen letzte Woche einen Aufruf gestartet haben, um auf die Verletzung der Meinungsfreiheit aufmerksam zu machen.“

Statewatch schreibt, dass „das Training und die Unterstützung durch das BKA geholfen haben könnte, dass Blogger und Internet-Aktivisten ausfindig gemacht werden konnten“.

Auch die Bundesländer Hessen und Hamburg haben einen Beitrag geleistet, um in den von Revolutionen erfassten Staaten die Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Bundesregierung verweist in einer weiteren Anfrage der Linken auf die Tatsache, dass „in allen Schulungen, Seminaren und Hospitationen“ den „Teilnehmern die Wahrung der Menschenrechte, rechtsstaatliches Handeln und die volle gerichtliche Überprüfbarkeit jedes polizeilichen Agierens vermittelt“ worden sei.

Am 28 und 29. November 2012 hatte das Bundesland Hessen das BKA „im Rahmen der Transformationspartnerschaft“ zu einem Seminar nach Tunis entsandt. Finanziert wurde die „Maßnahme aus den Haushaltsmitteln des Auswärtigen Amts“. Unter dem Titel „Deeskalation bei Demonstrationen“ wurde den Tunesiern die „taktische Kommunikation mit Demonstranten sowie polizeiliche Maßnahmen im Rahmen eines Fußballspiels“ beigebracht.

In Hamburg waren bei einem Seminar vom 25. Bis zum 30. November 2012 die türkischen Sicherheitskräfte aufmerksame Zuhörer bei Vorträgen zu den Themen:

– Führungs- und Lagedienst (insbesondere zum Thema Landesinformationsstelle Fußball (LIS), Funkzentrale und Digitalfunk),

– Einsatzvorbereitung auf das Fußballspiel HSV – Schalke 04 (Stadionbesichtigung und Besichtigung anderer einsatzrelevanten Örtlichkeiten),

– Einsatzbeobachtung des Fußballspiels (mit Vor- und Nachbereitung),

– Vorstellung des neuen Polizeitrainingszentrums in Alsterdorf,

– Vorstellung und Einsatzmöglichkeiten des Wasserwerfers 9 und 10,

– Vorstellung der Einsatztaktiken der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten

– Vorstellung des Sicherheitskonzeptes des Polizeikommissariats 15 (St. Pauli).

Die türkischen Sicherheitskräfte hatten im Frühjahr 2013 mit äußerster Brutalität die Proteste im Gezi-Park von Istanbul niedergeschlagen.

Die Deutschen waren jedoch nicht die einzigen, die den fragwürdigen Regimen Nachhilfeunterricht in Schnüffel-Themen erteilt haben.

Auch die EU, deren Außenbeauftragte Lady Ashton noch vor einigen Tagen mit Krokodilstränen den gestürzten ägyptischen Präsidenten Mursi aufgesucht hatte, hat den Staaten Nordafrikas mit europäischen Steuergeldern geholfen, die Staatssicherheit gegen die Privatsphäre der Bürger zu verteidigen. Im Rahmen des 5 Millionen Euro schweren Projekts „Euromed Police“ wurden die Regime unterwiesen, wie man „neue Technologien und Methoden der Ausforschung im Feld der elektronischen Kommunikation“ einsetzt. Die Methoden enthalten, so Statewatch, „Fingerabdrücke, DNA-Analyse, Ballistik, Geräusch- und Stimmenanalyse, Analyse von Computern, Mobiltelefonen und USB –Sticks“. Der Trainingskurs für Vertreter von 28 Mittelmeer-Anrainerstaaten wurde von der französischen Polizei und Gendarmerie durchgeführt. Auch hier wurde die „Terrorismus-Abwehr“ als Grund für die weitreichenden Schulungen im Bereich der Daten-Spionage (Youtube, Abfangen von Emails, Skype) angegeben.

Der Irrwitz dieser Aktionen besteht darin, dass hier die Politik ihrer Verantwortung einer sachkundigen politischen Lagebeurteilung nicht nachgekommen ist.

Merkel und Westerwelle sowie die EU-Verantwortlichen stellen sich nun hin und geben sich betroffen über die zahlreichen Toten, die unzähligen Verletzungen der Menschenrechte und die vollständige Missachtung der Privatsphäre durch die ständig wechselnden und im Hinblick auf ihre Gegner gnadenlosen Machthaber.

Es mag schon sein, dass im Vergleich zur fortgesetzten Militärhilfe der Amerikaner für die ägyptische Militär-Diktatur die deutschen und europäischen Beiträge zur Zerstörung der Bürger- und Menschenrechte Petitessen waren. Merkel beklagte in dem Interview, dass die „Fähigkeiten in Europa im Bereich des Internets nicht besonders hoch“ seien.

Für Nordafrika scheint es jedoch zu reichen.

Das politische Versagen ist evident. Die moralische Verwerflichkeit ist unübersehbar. Offenbar gibt es auch in Europa einen „tiefen Staat“, also die Herrschaft von im Dunklen operierenden Diensten, die mit Steuergeldern in den Krisenherden der Welt mitmischen.

Man kann sich ausrechnen, wie es um die Qualität der Achtung der Bürgerrechte bei all diesen „Eliten“ bestellt ist.

Merkel sagte in ihrer aalglatten Verteidigung der Geheimdienste, dass die „Geheimdienste auch einer demokratischen Kontrolle unterliegen“. Geheimdienste operieren, so Merkel auf der „Basis von Recht und Gesetz“.

Mit Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat hat das alles nichts mehr zu tun.

Das ist höchste Dekadenz.

Sie kennt nur eine Richtung: nach unten.

Und es geht offenbar immer noch tiefer.

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