Politik

EU fordert Bürger zu verstärkter Spitzel-Tätigkeit auf

Die EU sieht in zahlreichen neuen rechtsradikalen Parteien eine „Gefahr für das europäische Projekt“. Noch nie hätten so viele rechtradikale Parteien Einfluss in den Parlamenten. Um bei der Wahl zum EU-Parlament keine unliebsamen Überraschungen zu erleben, sollten die Bürger verdächtige Personen identifizieren und melden. Dass die katastrophale Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU und die korrupten alten Parteien vielleicht am Entstehen der radikalen Gruppen schuld sein könnten, kommt der EU nicht in den Sinn.
30.01.2013 01:16
Lesezeit: 2 min

Aktuell:

Regierung noch beim Schönfärben: Armutsbericht erneut verschoben

Die schwedische EU-Kommissarin Cecilia Malmström fürchtet, dass rechtsradikale Parteien bei der Wahl zum EU-Parlament im Jahr 2014 starken Zulauf bekommen könnten. Sie sagte am Montag in Brüssel, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so viele „extreme und populistische“ Parteien in den Parlamenten der Staaten der EU gegeben habe. Diese Gruppen ermutigten irre Einzeltäter wie den Norweger Anders Breivik. Die Polizei sei gegen das Aufkommen einzelner, „einsamer Wölfe“ machtlos. Daher sollten die Bürger selbst tätig werden: Sie sollen einsame, potentielle Täter aufspüren, und diese in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden aus dem Verkehr ziehen.

Dazu hatte die EU im Jahr 2011 die Initiative RAN gegründet. Das „Radicalisation Awareness Network“ empfiehlt, dass polizei-ähnliche Aktivitäten der Gemeinschaft am besten geeignet seien, um Verdächtige rechtzeitig aufzuspüren.

Wozu dies führt, haben die Briten erlebt. In einer ebenfalls 2011 gestarteten Kampagne wurden die Briten aufgefordert, die Muslime genau zu beobachten. Lehrer wurden aufgefordert, Jugendliche der Polizei zu melden, wenn sie offen über Gewalt sprechen oder auf Websites gehen, die unter Terrorverdacht stehen. Keines der beiden „Vergehen“ ist strafrechtlich relevant. Und so hat die Initiative nicht zu mehr Aufklärung, sondern zu einem Klima der Verdächtigungen und Denunziationen geführt. Der britische Wissenschaftler Ted Cantle sagte dem EU-Observer, die Initiative habe dazu geführt, dass die unter Generalverdacht stehenden Muslime erst recht an den staatlichen Autoritäten zweifelten – eine sich selbsterfüllende Prophezeiung war geschaffen.

Für die EU gilt unter anderem der Aufstieg der rechtsradikalen „Goldenen Morgenröte“ als warnendes Beispiel für eine mögliche Entwicklung in Europa.

Die EU-Führer übersehen dabei jedoch, dass diese Bewegung erst mit dem verheerenden Sparkurs der Troika im Zuge der europäischen Schuldenkrise groß geworden ist. Außerdem verkennen die Brüsseler Demokratie-Technokraten, dass rechtsradikale Bewegungen den besten Nährboden finden, wenn die Politik in einem Nationalstaat korrupt und selbstgefällig agiert. Die griechische Tragödie rührt, wie einem jeder klar denkende Grieche bestätigen wird, vor allem daher, dass die etablierten Parteien sich den Staat und das Volksvermögen hemmungslos unter einander aufgeteilt hätten. Demokratische Strukturen – vor allem Transparenz und die Möglichkeit, zur Verantwortung gezogen zu werden – wurden bewusst ausgehöhlt oder gar nicht erst entwickelt.

Der Wiederaufstieg von Silvio Berlusconi, der wegen seine jüngsten Lobs für Mussolini ins Visier der EU geraten ist, war nur möglich, weil die alten Parteien zur Bewältigung der Krise keinen Finger gerührt haben. Italien wurde stattdessen von einem ehemaligen Goldman-Banker regiert, den keiner gewählt hat – und der auch nachweislich keinerlei nachhaltige Reformen initiiert hat.

Was die Kommissarin Malmström vor allem verkennt: Extreme Parteien – linke wie rechte – sind vor allem deswegen besonders erfolgreich, weil immer mehr politische Entscheidungen nicht mehr demokratisch in den Nationalstaaten legitimiert sind. Statt mehr Basisdemokratie wie etwa in der Schweiz, hat die EU den wesentlichen Zusammenhang von nationaler Wählerschaft und politischer Entscheidungsfindung zerstört.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diesen unhaltbaren Zustand mit dem Begriff der „Alternativlosigkeit“ zusammengefasst. Und da hat sie – unbeabsichtigt – recht: Wenn es keine demokratischen Wahlalternativen mehr gibt, weil das ganze politische Establishment nur noch ein großer Klüngel ist, der sich von Berlin bis Brüssel, von Belfast bis Belgrad, die Pfründe zuschiebt, dann haben die Extremisten Hochsaison.

Eine pan-europäische Stasi-Bewegung wird diese Entwicklung nicht aufhalten. Sie wird sie verschärfen. Denn ausnahmsweise liegt das fundamentale Problem der EU – eine von niemandem mehr zu beherrschende, ausufernde Staatsverschuldung - nicht auf der Mikro-Ebene von einzelnen Irregeleiteten. Der Teufel schlummert diesmal nicht im Detail, sondern er fühlt sich im „großen Ganzen“ am wohlsten.

Die Radikalen werden erst von der Bildfläche verschwinden, wenn die Bürger Europas in den Nationalstaaten wieder direkten Einfluss auf die politische Gestaltung der Gesellschaft nehmen können.

Erst die Wiederherstellung von Bürgerrechten und demokratischer Unmittelbarkeit wird dem rechts-, links- oder anderswie radikalen Spuk in Europa ein Ende bereiten.

Weitere Themen

Berlusconi verschärft Gangart gegen Brüssel: Olli Rehn soll zurücktreten

Mali: Frankreich sitzt in der Afghanistan-Falle

USA: Fed stottert als Dukaten-Esel

DWN
Politik
Politik Neue US-Zölle: Was die deutsche Wirtschaft fürchten muss
02.04.2025

Die geplanten Zölle von US-Präsident Trump sorgen für Unruhe in Europa. Niemand weiß genau, welche Branchen betroffen sein werden –...

DWN
Politik
Politik Ukraine erhält massive Militärhilfe aus Schweden und den Niederlanden – Russland weitet Einberufungen aus
02.04.2025

Die Ukraine erhält verstärkte militärische und finanzielle Unterstützung von Schweden und den Niederlanden, während Russland...

DWN
Politik
Politik Migration: Nancy Faeser sieht eigene Migrationspolitik als Erfolg
01.04.2025

Während SPD und Union über eine mögliche Koalition verhandeln: Die geschäftsführende Innenministerin Faeser präsentierte heute...

DWN
Politik
Politik Handelskonflikt eskaliert: EU prüft bislang ungenutztes Instrument
01.04.2025

Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA stehen kurz vor einer Eskalation. US-Präsident Trump plant neue Zölle auf eine...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Trumps Zölle - Warum Hyundai jetzt auf Milliarden-Investitionen in den USA setzt
01.04.2025

Geht sein Plan auf? Trumps Zollerhöhungen erzwingen bereits drastische Reaktionen. Hyundai investiert 21 Milliarden US-Dollar in die USA,...

DWN
Politik
Politik AfD holt in Umfrage auf: Union büßt nach Bundestagswahl stark ein
01.04.2025

Nach der Bundestagswahl verliert die Union in den Umfragen, während die AfD kräftig zulegt. Auch SPD und Grüne verzeichnen Rückgänge,...

DWN
Politik
Politik Bamf-Chef Sommer will radikale Asyl-Wende - Rücktritt gefordert
01.04.2025

Bamf-Chef Hans-Eckhard Sommer fordert eine radikale Wende in der deutschen Asylpolitik. Statt individueller Anträge plädiert er für eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Europa-ETF-Vergleich: Wie Sie mit Europa-fokussierten ETFs Geld verdienen - und welche Europa-ETF sinnvoll sind
01.04.2025

Da die Trump-Administration die Unterstützung für die Ukraine zurückfährt, protektionistische Zölle erlässt und sich von der...