Deutschland

Fluch der Zukunft: Wirtschafts-Weise haben Krise nicht erkannt

Die von der Regierung beauftragten Wirtschafts-Weisen sagen ein gutes Wachstum für 2014 vorher. Vergleicht man die Prognosen der Vergangenheit mit der Realität, muss man sagen: Diese Prognosen können eine echte Krise nicht im Ansatz erkennen.
14.11.2013 02:01
Lesezeit: 2 min

Alle Jahre wieder hängen Politiker und die Öffentlichkeit an den Lippen der Wirtschafts-Weisen. Sie sollen die Experten sein, an deren Vorhersagen man sich orientieren möchte.

Dieses Jahr sind die Weisen wieder sehr optimistisch.

Die fünf klugen Männer, die von der Regierung bestellt werden, sagen Deutschland eine positive wirtschaftliche Entwicklung voraus. Allerdings warnen sie Union und SPD vor der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und einer Mietpreisbremse.

„In ihrer Gesamtheit drohen die derzeit diskutierten wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Reformfortschritte, die Deutschland in den vergangenen Jahren erzielen konnte, zunichte zu machen“, schreibt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten.

Mit der Mietpreisbremse werde versucht, ein gewünschtes Marktergebnis gesetzlich zu erzwingen. „Gleiches gilt für neue wachstums- und beschäftigungsfeindliche Maßnahmen, wie den Mindestlohn“, warnen die Wissenschaftler. Künftige Herausforderungen dürften viel schwerer zu bewältigen sein, wenn vergangene Reformen verwässert oder in Teilbereichen sogar ganz zurückgenommen würden.

In dem Gutachten sagen die Experten der deutschen Wirtschaft ein robustes Wachstum voraus. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll 2014 um 1,6 Prozent zulegen - viermal so stark wie in diesem Jahr. Zum Vergleich: Die Bundesregierung rechnet mit 0,5 Prozent für dieses und 1,7 Prozent für nächstes Jahr.

Diese Prognosen der Weisen zum BIP sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Wie die Erfahrungen des Jahres 2009 zeigen, eignen sie sich nicht zur Krisen-Vorhersage: Die Krise von 2009 haben die Weisen schlicht nicht erkannt. Der Einbruch kam aus heiterem Himmel - zumindest was diejenige betrifft, die offiziell für Vorhersagen zuständig sind. Auch die Erholung danach setzten die Weisen viel zu optimistisch an (siehe Grafik).

Laut den Weisen soll die Beschäftigung 2014 um rund 200.000 auf den Rekordwert von 42,1 Millionen Erwerbstätige klettern. Die Zahl der Arbeitslosen wird sich demnach in beiden Jahren bei 2,95 Millionen einpendeln. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von knapp unter 7 Prozent.

In dem über 530 Seiten starken Papier mit dem Titel „Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“ warnen die Experten nicht nur vor einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, sondern auch vor Steuererhöhungen, Mütterrente und Mietpreisbremse.

Die vergleichsweise gute Lage sei das Ergebnis früherer Reformen wie der Agenda 2010, die zu Rekordbeschäftigung und sinkender Arbeitslosigkeit geführt habe.

Den von der SPD geforderten Mindestlohn verglich Schmidt mit einem Medikament, dessen Nebenwirkungen nicht bekannt seien und das trotzdem zugelassen und verteilt werde. Ein Mindestlohn drohe vor allem die Chancen von Geringqualifizierten, Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen auf einen Job zu verringern.

Mit der Einführung des Mindestlohns wird eine halbe Million Geringverdiener die Arbeit verlieren. Zudem werden aufgrund der höheren Lohnkosten die Preise für die Konsumenten steigen (mehr hier).

Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt Union und SPD wegen der massiven Kritik der fünf Wirtschaftsweisen an teuren Koalitionsvorhaben vor falschen Weichenstellungen. „Wir werden die Hinweise ernst nehmen“, sagte die CDU-Vorsitzende am Mittwoch in Berlin bei der Übergabe des Jahresgutachtens durch die fünf Regierungsberater. Falsche Entscheidungen könnten die Entwicklung über Jahre beeinflussen. „Insofern kommt dieses Gutachten zu einem richtigen Zeitpunkt.“

Die SPD sieht in dem Gutachten dagegen ein „Trauerspiel“. „Dass zunehmende gesellschaftliche Spannungen und Unterschiede mit der Zeit auch zu ökonomischen Beeinträchtigungen führen, wird von der Mehrheit des Sachverständigenrates ignoriert“, sagte Fraktionsvize Joachim Poß.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach von einem Armutszeugnis für die Zunft der Ökonomen. „Mindestlöhne werden als ‚beschäftigungsfeindlich‘ verunglimpft“, sagte DGB-Vorstand Claus Matecki. „Dabei ist lange klar, dass sie keine Arbeitsplätze vernichten, sondern das Einkommensniveau stabilisieren und damit die Binnennachfrage stärken.“

Unterstützt wird diese Gewerkschaftssicht auch vom Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, der mit dieser Haltung allerdings in dem Gremium isoliert ist. „Ich bin der Meinung, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro vertretbar ist“, sagte Bofinger. Gemessen am Durchschnittslohn nehme Deutschland damit lediglich „einen Platz im internationalen Mittelfeld“ ein. Auch in den USA und Großbritannien gebe es einen Mindestlohn, ohne dass dieser Jobs vernichtet habe.

Prognose und Reaktionen zeigen: Beim Jahres-Gutachten der Weisen geht es mehr um ein politisches Schaulaufen als um eine echte Vorhersage, auf die sich Unternehmen verlassen könnten.

Die Wirtschafts-Weisen geben eher eine Stimmung wieder, wie sie gerade herrscht. Im Hinblick auf die Zahlen der vergangenen Jahre kann man sagen: Die Prognose unserer Weisen ist nur dann verlässlich, wenn sie für die Vergangenheit gemacht wird. 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Historischer Entscheid: Ungarn verlässt als erstes EU-Land den Internationen Strafgerichtshof
21.05.2025

Das ungarische Parlament hat den Austritt des EU-Landes aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gebilligt. Ungarn ist damit das...

DWN
Finanzen
Finanzen Cum-Ex-Steuerskandal: Wieso hinken die Behörden bei den Ermittlungen hinterher?
21.05.2025

Die Bürgerbewegung Finanzwende kritisiert, dass die Behörden bei der Aufklärung der Cum-Cum-Deals untätig bleiben. Der Steuerbetrug...

DWN
Finanzen
Finanzen WHO verabschiedet Pandemie-Abkommen inmitten der Finanzkrise: Deutschland sagt weitere Millionen zu
21.05.2025

Der Weltgesundheitsorganisation fehlen in den kommenden zwei Jahren 1,7 Milliarden Dollar (rund 1,5 Mrd Euro), unter anderem, weil die USA...

DWN
Panorama
Panorama Jugendstudie: Junge Generation optimistischer, dennoch wird Deutschland "auf dem absteigenden Ast" wahrgenommen
21.05.2025

Deutschland werde von jungen Menschen derzeit eher als Gesellschaft „auf dem absteigenden Ast“ wahrgenommen, schreiben die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bayer-Aktie: Soll Monsanto pleitegehen?
21.05.2025

Seit vielen Jahren schon kämpft die Bayer AG mit Milliardenklagen gegen die Tochterfirma Monsanto und deren Unkraut-Vernichter Glyphosat....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ostdeutsche Wirtschaft holt auf: Thüringen und Sachsen mit Spitzenplätzen
20.05.2025

Einer neuen ifo-Studie zufolge hat Ostdeutschland wirtschaftlich gegenüber dem Westen deutlich aufgeholt. Der Thüringer Industrieanteil...

DWN
Politik
Politik Wenn Europa falsch reagiert, wird Trump zur echten Gefahr für die NATO
20.05.2025

Donald Trump ist zurück – und mit ihm die Zweifel an der Zukunft der NATO. Ex-Sicherheitsberater John Bolton warnt: Nicht Trump allein...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Amazons Geheimwaffe aus Israel: Wie ein unbekanntes Start-up den KI-Krieg entscheidet
20.05.2025

Ein unbekanntes Start-up aus Israel liefert den Treibstoff für Amazons KI-Vormarsch. Mit Annapurna Labs sichert sich der Tech-Gigant die...