Der Leiter der kalifornischen Pacific Southwest-Niederlassung des Wirtschaftsprüfers KPMG in Los Angeles hat über mehrere Jahre einem Freund Insider-Informationen über Firmen geliefert, deren Bücher er gerade als KPMG-Mann überprüfte. Scott London wurde von der KPMG gefeuert, die Wirtschaftsprüfer legten zwei Mandate nieder, mit denen London beauftragt war.
Einer davon ist der Fall von Herbalife, einen US-Wellness-Konzern, der von kritischen Aktionären seit längerem bezichtigt wird, ein reines Schneeball-System zu betreiben. Den Wirtschaftsprüfern war nichts Verdächtiges an Herbalife aufgefallen.
KPMG teilte in einer Pressemitteilung mit, dass der Rückzug bei Herbalife nichts mit irgendwelchen Unregelmäßigkeiten bei der Prüfung des Unternehmens zu tun habe, sondern ausschließlich wegen der schlimmen ungesetzlichen Handlungen ihres ehemaligen Mitarbeiters Jérôme Kerviel Scott London erfolge. Selbstverständlich habe KPMG nichts von den Hanldungen des Mitarbeiters gewusst.
Das dürfte in diesem Fall sogar gestimmt haben. Die Tatsache, dass ein Top-Berater der KPMG eine wertvolle Uhr und massenweise Bargeld dafür erhält, dass er vertrauliche Informationen von Klienten verrät, ist im Einzelfall schwer zu überprüfen.
Für den KPMG-Mann war sein Insider-Wissen jedenfalls bares Geld wert. Wie sich nun in der vom Staatsanwalt von Los Angeles erhobenen Anklage herausstellt, hat London seinem Golf-Partner, einem in Schwierigkeiten geratenen Juwelier, Details über Unternehmen verraten, die aktuelle Kunden der KPMG sind. Neben Herbalife sind es die Unternehmen Skechers und Deckers Outdoor sowie die ehemaligen KPMG-Kunden RSC Holdings und Pacific Capital.
Obwohl die Gehälter für Top-Leute bei der KPMG durchaus einen anständigen Lebensstil ermöglichen, hatte London für seine Tipps wertvolle Geschenke erhalten: Unter anderem eine Rolex Daytona Cosmograph im Wert von 12.000 Dollar und Konzertkarten im Wert von 25.000 Dollar, außerdem jede Menge Bargeld – manchmal in Plastiksäcken, manchmal in Kuverts, aber stets in kleinen Scheinen.
Der Juwelier, Bryan Shaw, verdiente dank der Insider-Informationen mit Börsengeschäften über eine Million Dollar.
Londons Pech: Shaw kooperierte mit dem FBI, und nahm die Gespräche mit London heimlich auf. Er hofft auf eine Kronzeugen-Regelung, dürfte aber ebenfalls angeklagt werden.
Shaw hatte Angst, dass man ihm auf die Schliche gekommen sein könnte, und fragte London um Rat. Der KPMG-Mann erklärte ihm, Insider-Handel sei so, wie wenn man in Las Vegas beim Schummeln erwischt werde: Man werde aufgefordert, den Tisch zu verlassen, und das war’s – weil niemand Insider-Trading nachweisen könne.
Der KPMG-Mann verriet dem Juwelier nicht nur vertrauliche Details über die Kunden, sondern beriet in auch, wie er den Handeln abwickeln müsse, damit es kein Aufsehen erregt.
Der Fall wirft ein grelles Licht auf die offenkundige Skrupellosigkeit des KPMG-Mannes, der keine Hemmungen hatte, die Interna seiner Kunden für Geld preiszugeben.
Für die großen Wirtschaftsprüfer-Gesellschaften ist der Fall ausgesprochen unangenehm: Die sogenannten „Big Four“ – Deloitte, Ernst&Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers (PwC) stehen seit der Finanzkrise in der Kritik bei den Regulatoren: In so gut wie allen Skandalen haben die Unternehmen fast ausnahmslos versagt und haben Unternehmen, die später wegen unsauberer oder krimineller Praktiken aufflogen, stets Testate für ihre Bilanzen erteilt.
Die EU versuchte vor einem Jahr, das Oligopol der Big Four zu brechen, wurde aber von der gewaltigen Lobby-Maschine der Unternehmen zurückgedrängt. EU-Kommissar Michel Barnier wollte mit dem sogenannten „Grünbuch“ zu den Wirtschaftsprüfern dem Treiben ein Ende bereiten. Doch die nun diskutierten „Richtlinien“ gehen im Grund über Kosmetik nicht hinaus. In Deutschland haben sich vor allem CDU und FDP dafür stark gemacht, dass die Big Four ungeschoren bleiben. Die kleinen und mittelständischen Wirtschaftsprüfer sind in Deutschland so zerstritten, dass sie unfähig waren, gegen die Big Four gemeinsam zu agieren (mehr dazu hier bei DMN).
Die Zeit berichtete 2008 über die unrühmliche Rolle der KPMG bei den Siemens Korruptions-Skandalen:
Die nach PwC größte Prüfungsfirma in Deutschland ist KPMG. Spötter übersetzen das Kürzel immer mal wieder mit »Keiner prüft mehr genau«. Im Fall Siemens scheint das so gewesen zu sein. Dort verschwanden über die Jahre 1,3 Milliarden Euro in dunklen Kanälen, und die Wirtschaftsprüfer bemerkten den gewaltigen Geldabfluss nicht. Zwar monierten sie im Jahr 2003 beleglose Barzahlungen von vier Millionen Euro nach Nigeria und stießen 2006 in den Büchern auch auf merkwürdige Provisionen, die über die Schweiz abgewickelt wurden – das Ausmaß der Korruptionsdelikte blieb ihnen aber verborgen.
Hätte man nicht etwas mehr Wachsamkeit erwarten dürfen von Prüfern, die Siemens für ihre Dienste im Jahr rund 90 Millionen Euro in Rechnung stellten? Der Chefprüfer musste jüngst vor dem Landgericht München als Zeuge aussagen. Von einem Schuldbewusstsein war bei ihm nichts zu spüren. Die KPMG sieht sich sogar als Opfer in der Affäre. »Wir sind getäuscht worden«, klagte der Prüfer vor Gericht. Im Siemens-Geschäft mit Festnetzen fürs Telefon hätten sich mehrere Manager zusammengetan, um die Kontrollen zu umgehen. Dagegen sei kein Kraut gewachsen. »Wir haben unsere Pflichten vollumfänglich erfüllt.« Das Aufspüren von Straftaten gehöre nicht zu den Aufgaben eines Wirtschaftsprüfers.
Der neue Skandal um die KPMG erweckt den Eindruck, als habe manch einer der Prüfer seit neuestem eher eine extensive Interpretation des Mandats: Das Anstiften zu Straftaten gehört demnach geradezu zu den Aufgaben eines Wirtschaftsprüfers.