Wenn Angela Merkel und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in den kommenden Wochen mit „aller Entschiedenheit“ bei den US-Behörden fragen wollen, warum und in welcher Form die Amerikaner die Internet-Kommunikation von Millionen Europäern ausspioniert haben, werden sie den US-Boys von CIA, FBI und NSA vermutlich eine Standard-Antwort erhalten:
„Einzelheiten im übrigen können in diesem Zusammenhang nicht öffentlich dargestellt werden. Aus ihrem Bekanntwerden könnten sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure wiederum Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und Methoden der Behörde ziehen. Im Ergebnis würde dadurch die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörde und mithin die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.“
Diese Antwort hat die Bundesregierung nämlich bereits am 11. Mai 2012 einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten gegeben, als diese sich nach der Spionage-Tätigkeit des BND erkundigten.
Die Fakten zeigen, dass der BND seit langem aktiv alles liest, was sich im deutschen Internet bewegt. So räumte die Bundesregierung in einer äußerst lesenswerten Kleinen Anfrage ein:
„Der Anteil der mittels Suchbegriffen auf den angeordneten Übertragungswegen zu überwachenden Übertragunskapazität (sic!) (§ 10 Abs. 4 S. 3 G10) liegt als Rohdatenstrom vor, nicht aber in Form einzelner Verkehre. Aus diesem qualifizierten sich im Jahr 2010 ca. 37 Mio. Emails anhand der Suchbegriffe. Diese wurden einer anschließenden SPAM-Filterung zugeführt. Die Größenordnung variiert abhängig von übertragungstechnischen Gegebenheiten und jeweils angeordnetem Suchbegriffsprofil. Bei den erfassten E-Mailverkehren lag der Anteil an SPAM bei etwa 90%.“
Bereits 2012 hatten die Nachrichtendienste BND, der Militärische Abschirmdienst MAD, der Verfassungsschutz und das Zollkriminalamt (ZKA) alle technischen Möglichkeiten, um sich bei den Daten der Bürger zu bedienen. In der Anfrage gibt die Bundesregierung zu, dass die Nachrichtendienste „grundsätzlich in der Lage“ ist, auch vermeintlich sichere Kommunikationswege wie PGP und Secure Shell zu kontrollieren.
Dazu arbeiten die staatlichen Überwachungsstellen eng mit den Providern Utimaco, Ipoque und Trovicor zusammen. Wie die Andrej Hunko und Jan Korte anlässlich dieser kleinen Anfrage feststellten, sind „die vier Provider gegenüber dem Bundesnachrichtendienst zur vollständigen Übergabe aller Daten verpflichtet“.
Eine öffentliche Diskussion über diese Vorfälle ist nicht möglich. Die Provider müssen alle Informationen bei der „Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags“ hinterlegen. Auch Abgeordnete erhalten Einsicht nur nach dem Gutdünken der Regierung. Eine Prüfung der erhobenen Daten durch Anwälte oder Netzaktivisten ist nicht möglich.
Die Argumentation der Bundesregierung macht deutlich, dass die Bürger nicht den Hauch einer Chance haben, an die Daten zu kommen. Die Bundesregierung schreibt, dass die Methoden der Nachrichtendienste keinesfalls öffentlich gemacht werden:
„Einzelheiten zu den technischen Fähigkeiten des BND können in diesem Zusammenhang nicht öffentlich dargestellt werden, da aus ihrem Bekanntwerden sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf den Modus Operandi, die Fähigkeiten und Methoden der Behörde ziehen und so eine Erfassung vermeiden könnten. Bei der Beantwortung findet u.a. entsprechendes operatives Vorgehen Erwähnung. Im Ergebnis könnte dies für die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörde und mithin für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland schädlich sein oder aber die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden.“
Großzügiger Weise will „die Bundesregierung nach gründlicher Abwägung dem Informationsrecht des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen nachkommen.“ Dabei will die Bundesregierung auch nicht eindeutig garantieren, „dass Abgeordnete, Rechtsanwält/innen, Journalist/innen oder Diplomaten von den Spionagemaßnahmen ausgeschlossen werden“. Die Bundesregierung antwortet dazu sehr schwammig:
„Sofern im Rahmen der strategischen Fernmeldeaufklärung nach Abschnitt 3 des G10 Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Angehörige des entsprechend geschützten Personenkreises als Teilnehmer erfasst werden, wird durch zusätzliche Recherchemaßnahmen abgeklärt, ob ein materiell vergleichbarer Fall zu § 3b G10 vorliegt und die Erfassung gegebenenfalls rückstandslos gelöscht.“
Im konkreten Fall der 37 Millionen ausspionierter Emails konnte die Geheimdienste die Parlamentarier mit einer Ausrede abspeisen, die faktisch jener von US-Präsident Barack Obama entsprach, als der Prism-Skandal aufgeflogen war: Obama hatte die Amerikaner beruhigt und gesagt, dass flächendeckend nur die Emails von Ausländern kontrolliert würden: Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) – ein Ausschuss, der dazu installiert wurde, um das Wirken der Geheimdienste zumindest einer gewissen Transparenz zu unterwerfen, sagte, dass es sich bei der massiven Auswertung von Emails nicht um ein „Rasterfahndung“, sondern um eine „strategische Überwachung der gebündelten Funkübertragung etwa über asiatischen oder afrikanischen Ländern“ handle. Deutsche „dürften hiervon kaum betroffen sein“, meinen die ahnungslos gehaltenen Kontrolleure der Geheimdienste.
Fazit: Die Geheimdienst brauchen für ihre Arbeit nur einen Stempel und ein feuchtes Stempelkissen: Sobald auf dem Stempel „Geheim“ steht, tritt der „Auskunftsanspruch“ des Bundestags hinter das „Geheimhaltungsinteresse des BND“ zurück.
Diplomaten, Journalisten, Abgeordnete und Anwälte können sich nicht sicher sein, dass sie nicht von der Bundesregierung kontrolliert werden.
Bürger aus „asiatischen oder afrikanischen Ländern“ sind in Deutschland hinsichtlich des Datenschutzes genauso vogelfrei wie Deutsche und Franzosen in den USA oder wie Deutsche, Afrikaner und Asiaten in Frankreich.
Das Problem beim Ausspionieren sind nämlich nicht die Amerikaner. Das Problem sind die staatlichen Willkür-Strukturen, die es seit eh und je gibt.
Mit den modernen Technologien kann die staatliche Willkür noch viel effizienter agieren als in früheren Zeiten.
Das Kern-Problem ist jedoch die Kombination aus technischen Möglichkeiten und moralischer Verkommenheit: Die Eliten des Westens sind, durch die Schuldenkrise in Bedrängnis und in den immer größer gewordenen Apparate vom Verlust persönlicher Vorteile bedroht, keine vertrauenswürdigen Sachwalter der „res publica“, also der öffentlichen Angelegenheiten.
Wer so hemmungslos in den Zinsmärkten, Geldmärkten, im Rechtswesen, im Datenschutz manipuliert wie die in vielen Bereichen degenerierten politischen Eliten, kann nicht damit rechnen, dass die Bürger den Politikern ausgerechnet in den Grauzonen der Geheimdienste vertrauen.
Massiver politischer Vertrauensverlust kann jedoch der Beginn von revolutionären Zuständen sein.
Es ist daher gut, dass die Bundesliga bald wieder beginnt.