Joseph Ratzinger ist ein kühler Rechner. Aber er ist auch ein Realist: Mit seiner kleinen Truppe, allen voran seinem treuen Sekretär Georg Gänswein, konnte der Papst in Rom in der sich zuspitzenden wirtschaftlichen Lage nichts ausrichten. Sein Rücktritt wird daher immer mehr dahingehend interpretiert, dass der Papst nicht zu müde oder zu alt gewesen sei, um weiterzumachen. Der wahre Grund dürfte tatsächlich darin liegen, dass Joseph Ratzinger das Handtuch angesichts der scheinbar unglaublichen Grabenkämpfe in der Kurie geworfen hat - und der offenbar existentiellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kirchenstaats.
Der Corriere della Sera berichtet am Tag nach dem Rücktritt davon, dass der Papst mehrfach angedeutet haben soll, dass er sich durch die Machenschaften im Vatikan überfordert fühle. Vor allem die wirtschaftliche Lage des Kirchenstaats soll ihm große Sorgen bereitet haben.
Denn der Vatikan ist – möglicherweise mehr denn je – ein Hort der Korruption und der Geldwäscherei geworden (mehr zu den Hintergründen – hier). Alarmierend: Die Vatikan Bank hat seit über acht Monaten keinen Chef mehr. Im Mai 2012 musste Ettore Gotti Tedeschi gehen, nachdem er ins Visier von Korruptions-Ermittlern geraten ist. Nun ist die Bank des Papstes in den aktuellen MPS-Skandal verstrickt, es soll um Schmiergeldzahlungen gehen, bei denen die Kirchen-Banker an vorderster Front mitgemischt haben (hier).
Außerdem sind offenbar neue Finanz-Löcher aufgetaucht. Der Corriere schreibt, dass viele karitative und spirituelle Einrichtungen des Vatikan ums Überleben kämpfen. Die Vatikanbank ist offenbar völlig außer Kontrolle geraten. Im Istituto per le Opere di Religione (IOR), wie die Bank offiziell heißt, herrschen Zustände, die jeder Beschreibung spotten. Vor allem weigert sich die Bank, ihre Zahlungsströme offen zu legen. Sie gilt traditionell als Hort der Geldwäsche für die Mafia und andere zwielichtige Vereinigungen. Papst Benedikt XVI. hatte in den vergangenen Jahren versucht, die Bank auf Vordermann zu bringen. Sehr glücklich hat er dabei nicht agiert.
In dieser Phase haben die Kardinäle erkannt, dass der Papst aus Deutschland auch nur mit Wasser kocht. In einem solchen Führungsvakuum blühen die Intrigen: Es muss exzessive Grabenkämpfe, Intrigen und Eifersüchteleien gegeben haben – gepaart mit handfesten Skandalen und kriminellen Machenschaften (mehr dazu in Kürze auf den Deutschen Wirtschafts Nachrichten).
Der deutsche Papst hat mit seinem Rücktritt einerseits sein Scheitern eingestanden. In der klassischen Konstruktion des Vatikan war er nicht in der Lage, die rivalisierenden Gruppen im Vatikan zu befrieden. Der Mafia vom IOR war Joseph Ratzinger denn auch hoffnungslos unterlegen. Der Blog Linkiesta analysiert: „Der Papst hat den Kampf gegen die die Mysterien des IOR verloren.“
Beobachter halten es jedoch auch für denkbar, dass Papst Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt einen radikalen Kulturwandel in Rom auslösen möchte: Es ist gut denkbar, dass er nun das Konklave auch über die aus seiner Sicht grauenvollen Missstände im Vatikan unterrichten wird. Er könnte, wie ein katholischer Gorbatschow, dem Kardinals-Kollegium klarmachen, dass nur ein radikaler Neuanfang die katholische Kirche vor dem Untergang bewahren kann.
Dazu zählt vor allem, dass die Korruption und Vetternwirtschaft im Vatikan beendet werden.
Ob allerdings der Kirchenstaat angesichts der gravierenden Finanz- und Justiz-Probleme noch die Innovationskraft hat, sich wirtschaftlich zu sanieren, wird von manch einem in Rom mit Skepsis gesehen. Der Corriere jedenfalls schreibt: „Dieses Mal wird das Konklave ein ganz anderes Konklave sei als bisher. Das Opfer von Papst Benedikt XVI. stellt jedem einzelnen Teilnehmer seine unentrinnbare Verantwortlichkeit vor Augen.“
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