Beppe Grillo schäumt: Die Regierung unter Enrico Letta sei nichts anderes als eine „Bunga Bunga Orgie“, schreibt Grillo auf Facebook. Es sei Nacht geworden über Italien, die Regierung werde nach sechs Monaten, spätestens aber nach einem Jahr zerbrechen.
Bis dahin kann die seltsame Koalition aus Sozialisten und Berlusconi-Leuten allerdings noch jede Menge Schaden anrichten.
Die Koalition, die am Sonntag vom greisen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano angelobt werden wird, besteht aus Leuten, die mit Sicherheit alles wollen – nur keine grundlegende Erneuerung, wie sie Grillo vorschwebt. Grillos „Movimento 5 Stelle“ (M5S) wird die größte Oppositionspartei. Die M5S wurde systematisch von allen Ämtern ausgeschlossen. Grillo hatte gehofft, dass seine Partei wenigstens den Vorsitz im parlamentarischen Kontrollausschuss erhalten werde – was natürlich nicht geschah.
In der Regierung haben sich die Berlusconi-Leute das wichtige Innenressort gesichert. Es wird mit dem Parteisekretär Angelino Alfano besetzt. Berlusconi hätte gerne das Justiz-Ressort gehabt, um sich weiter gegen Strafverfolgung in seinen Affären zu schützen. Diesen Wunsch konnte ihm Letta beim besten Willen nicht erfüllen. Neue Justizministerin wird Anna Maria Cancellieri. Sie war schon als Technokratin unter Monti Innenministerin gewesen. Zuvor hatte sie sich als Eiserne Lady von Bologna einen Namen gemacht, weil sie die bankrotte Stadt wieder auf Vordermann zu bringen versuchte.
Nicht mehr im Kabinett ist die ehemalige Arbeitsministerin Elsa Fornero. Sie wurde berühmt, als sie bei der Bekanntgabe der Rentenkürzungen, neben Mario Monti sitzend, in Tränen ausbrach - und galt seither als das soziale Gewissen Italiens (mehr dazu auf DMN, mit Video).
Montis Kleinstpartei wird ebenfalls im Kabinett vertreten sein: Der neue Verteidigungsminister Mario Mauro dürfte ein Auge darauf haben, dass die italienische Rüstungsindustrie weiter mit öffentlichen Aufträgen versorgt wird. Der Rüstungskonzern Finmeccanica war erst kürzlich von einem Korruptions-Skandal in Indien erschüttert worden (hier), in den auch die Vatikan-Bank verwickelt war.
Mit Korruption kennt sich auch die neue Außenministerin Emma Bonino bestens aus. Bonino war EU-Kommissarin in der bisher skandalösesten EU-Kommission unter Jacques Santer (mehr zu den unglaublichen Vorfällen um diese Amigo-Kommission – hier bei DMN). Santer mischt in der EU wieder aktiv mit: Er wurde zum Chef eines Special Purpose Investment Vehicle (Investmentvehikel) berufen, welches Mittel für den Rettungsschirm European Financial Stability Facility (EFSF) beschaffen soll.
Bonino ist eine schillernde Persönlichkeit. Sie war eine radikale Feministin, die sich einmal in New York verhaften ließ, weil sie sterilisierte Spritzen an Drogensüchtige verteilt hatte. Sie hat eine Zeit lang in Ägypten gelebt, um Arabisch zu lernen und die arabische Welt besser zu verstehen.
Beim Rücktritt der Santer-Kommission wurde sie zwar nicht ausdrücklich der Korruption überführt. Ein Bericht von mit der Aufklärung beauftragten Weisen bescheinigte ihr jedoch Unfähigkeit der Amtsführung. Ihre Amtsführung ist so schlecht gewesen, dass sie Romano Prodi nicht mehr in seine Kommission berufen hatte.
Die Leopold von Ranke Gesellschaft beschreibt den Zustand der damaligen Kommission:
„Zwar drohte eine Aufklärung der Missstände immer wieder zu scheitern; da jedoch zu viele Einzelheiten ungeahnter Unkorrektheiten publik geworden waren, konnte im Fall von Vertuschung ein außerordentlich umfassender Ansehensschaden für die EU-Bürokratie nicht ausgeschlossen werden, der die schärfsten Kritiken etwa der britischen Premierministerin Margaret Thatcher bestätigt oder eindrucksvoll übertroffen hätte: Ungefähr zwei Milliarden Euro hat den Ermittlungen zufolge Edith Cresson nach beinahe großmogulischem Vorbild veruntreut. Ihre Kollegin Emma Bonino und ihr Kollege Marius Marin verursachten bisweilen aus schlichter Amtsunfähigkeit, mitunter aus „Generosität“, entsprechende finanzielle Verluste.“
Bonino ist also der ideale Ansprechpartner, um die italienischen Interessen in Brüssel durchzusetzen. Das Hauptanliegen der Italiener wird eine Ende des Sparkurses sein. Letta hatte bereits vor seiner Bestellung angekündigt, er werde bei der EU darauf dringen, dass der Sparkurs in Europa ein Ende finde und Italien ein höheres Defizit erlaubt wird. An und für sich ist die italienische Wirtschaft eine der stärksten in Südeuropa, und wegen seiner international erfolgreichen Produkte sicher besser positioniert als etwa die Frankreichs.
Doch die italienische Verwaltung ist überdimensioniert. Die Schulden der öffentlichen Haushalte belaufen sich auf 2 Billionen Euro. Die Verschuldung dürfte in diesem Jahr auf 130 Prozent des BIP ansteigen.
Vor allem gelten in Italien Arbeitsgesetze, die Arbeitnehmer faktisch unkündbar machen. Junge Leute haben kaum Chancen, einen Job zu bekommen. Daher ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch und steigt unaufhaltsam weiter. Die Unzufriedenheit der jungen Italiener war einer der Hauptgründe für den Aufstieg von Beppe Grillo (mehr zum Hintergrund von Grillos Bewegung - hier).
Silvio Berlusconi hatte vor der Wahl versprochen, die vom Technokraten-Premier und Goldman-Banker Mario Monti eingeführte Immobilien-Steuer wieder abzuschaffen und den Italienern die bereits gezahlten Steuern rückwirkend zu erstatten.
Das wird nur zu finanzieren sein, wenn die Zinsen für Italo-Bonds sinken. Es trifft sich daher gut, dass der neue Finanzminister ein guter Freund von EZB-Chef Mario Draghi ist: Der Posten geht an Fabrizio Saccomanni, den Chef der Italienischen Notenbank.
Die neue Konstellation wird die Südkoalition in der EZB deutlich stärken. Das ehemalige EZB-Mitglied Lorenzo Bini Smaghi hat daher zum Antritt der Regierung Letta gefordert, dass die EZB die Zinsen senken müsse, um Italien das Leben in der Euro-Zone zu erleichtern. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dagegen gesagt, dass die EZB für Deutschland die Zins-Sätze eigentlich anheben müsste. Resignierend hatte Merkel jedoch hinzugefügt, dass sie wisse, dass dies wegen der Südeuropäer nicht möglich sein werde.
Die Konflikte in der Euro-Zone werden sich wegen der neuen italienischen Regierung also verschärfen. Denn diese Regierung hat keine Reformpläne. Sie will das alte, verfilzte Parteien-System und seine Netzwerke so lange als möglich am Leben erhalten.
Mit Emma Bonino hat die Regierung eine außenpolitische Sprecherin, die weiß, wie die EU funktioniert. Gemeinsam mit Draghi dürfte Bonino in Brüssel darauf hinwirken, dass keine Entscheidungen getroffen werden, die für Italien von Nachteil sind.
Die neue Regierung dürfte jedoch vor allem bald zerstritten sein: Zwar ist mit drei Leuten aus Montis Industriellen-Partei und den Berlusconi-Leuten ein starker Industrie-Block in der Regierung vertreten. Diese eher der Globalisierung und den Aktivitäten der Investment-Banken verpflichteten Politiker werden kaum darauf dringen, dass die Firmen wieder mehr Leute in Brot und Arbeit bringen.
Das aber verlangt die sozialistische Basis von Enrico Letta.
Die Koalitions-Parteien haben jedoch sicher einen gemeinsamen Nenner: Sie wollen sich gegen das deutsche Spar-Diktat wehren und werden die Franzosen unterstützen, wenn es um eine gemeinsame Haftung aller Euro-Staaten für den gigantischen Schuldenberg geht – etwa durch Euro-Bonds.
Angela Merkel und Wolfgang Schäuble werden daher weiter in die Defensive geraten (mehr zum Schuldenberg – hier).
Wie sehr die Euro-Krise eskaliert, wird vom Zeithorizont abhängen. Wenn die neue Regierung in Rom bis zur Bundestagswahl durchhält, könnte Merkel mit ihrer Taktik des Entscheidungs-Aufschubs durchkommen.
Nach der Bundestags-Wahl werden aber sicher alle unangenehmen Themen mit Sicherheit wieder auf den Tisch kommen.
Dann wird es in Europa Entscheidungen geben müssen.
So oder so.