Politik

Mario Draghi: In Europa entscheiden künftig die Ökonomen, nicht die Juristen

Lesezeit: 2 min
28.01.2013 00:27
Die europäischen Politiker spüren den Fluch der Schuldenfalle. EZB-Chef Mario Draghi sagt, dass die Ökonomen und nicht die Juristen darüber entscheiden werden, wer in Europa „systemrelevant“ ist. In Davos hat ein Minister beobachtet, wie hilflos seine Kollegen sind: Sie stehen in Schockstarre, wie das Wild, das von den Scheinwerfen eines Autos geblendet wird.
Mario Draghi: In Europa entscheiden künftig die Ökonomen, nicht die Juristen

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Aktuell:

Das Erbe Montis: Italiens Konsumenten-Vertrauen im Keller

Die europäischen Politiker fühlen sich im Moment gar nicht wohl in ihrer Haut. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos gaben sich die Staatslenker zwar alle Mühe, ein gewisses Maß an Optimismus zur Schau zu tragen. Tatsächlich aber herrscht tiefe Verunsicherung, Ratlosigkeit. Der südafrikanische Planungsminister Trevor Manuel sagte der FT, er habe die anwesenden Finanzminister beobachtet und festgestellt, sie sehen aus „wie das Wild, das von den Scheinwerfern eines Autos geblendet wird“.

Die Finanzminister haben die Kontrolle über die Schuldenkrise verloren. Und sie bekommen vor Augen geführt, dass sie nicht mehr diejenigen sind, die entscheiden, wie es weitergeht. EZB-Chef Mario Draghi soll nach Informationen des Spiegel einen bemerkenswerten Spruch vom Stapel gelassen haben. In der Frage, ob Zypern „systemrelevant“ sei und daher eine Rettung durch die Euro-Staaten erhalten solle, sagte Draghi: Die Frage, ob Zypern systemrelevant sei oder nicht, sei keine, die Juristen beantworten könnten. Dies sei Sache von Ökonomen.

Was auf den ersten Blick wie eine Retourkutsche gegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erscheint – Schäuble ist Jurist und hatte gesagt, dass eine Pleite von Zypern kein Problem sei -, ist in Wahrheit eine grundsätzliche Botschaft: Nicht mehr in einem politischen System, ja nicht einmal mehr in einem rechtlichen System wird entschieden, wie die die globale Schuldenkrise gelöst wird. Das ökonomische System übernimmt das Kommando, obowhl eine Demokratie nur funktionieren kann, wenn sie ein Rechtssystem verteidigt, in dem die Bürger auch dann geschützt sind, wenn sie von den Machenschaften der Politiker und der Finanzwirtschaft übervorteilt werden.

Aus Draghis Sicht sind diese Zeiten vorbei. Die Lenkung der Gesellschaft wird von den Zentralbanken und all jenen Institutionen übernommen, die, wie der ESM oder der IWF, niemandem Rechenschaft schuldig sind. Die Zentralbanker sind ebenso wie die ESM-Manager immun, es gibt keine Transparenz und keinen Rechtsweg gegen ihre Entscheidungen. Wenig verwunderlich, dass auch EZB-Mann Jörg Asmussen und ESM-Chef Klaus Regling Draghi zustimmten. Beide wiesen darauf hin, dass die internationalen Verflechtungen sogar eines so kleinen Landes wie Zypern zum globalen Crash führen könnten.

Die Lähmung der Politik ist selbstverschuldet: Jahrzehntelang haben praktisch alle Staaten der entwickelten Welt hemmungslos auf Pump gelebt. Und nun werden ihnen von jenen, die ihnen willfährig die Kredite gewährt haben, die Grenzen aufgezeigt.

IWF-Chefin Christine Lagarde machte den politischen Eliten in Davos klar, dass man ihnen ihre Wachstums-Märchen nicht mehr abkaufe. Sie forderte weitere rigide Sparmaßnahmen, sonst werden sogar die ohnehin schon mageren IWF-Prognosen nicht erreicht.

Die Machtübernahme durch die Ökonomen ist deswegen besonders bemerkenswert, weil ebendiese Ökonomen – Finanzoligarchen und Zentralbanker – natürlich keine Möglichkeit ausgelassen haben, die Staaten und ihre unersättlichen Politiker weiter in die Schuldenkrise zu treiben.

Das beste aktuelle Beispiel: EZB-Chef Mario Draghi hat beim Milliarden-Desaster um die italienische Banca Monte die Paschi di Siena (MPS) eine zentrale Rolle gespielt. Der ehemalige Goldman-Manager hat, als Chef der italienischen Zentralbank, keine Warnung ausgesprochen, als die Bank ziemlich augenfällig ins Verderben getrieben wurde (mehr zu diesem unglaublichen Krimi – hier). Nun sitzt er in Frankfurt und wird mit der EZB ab 2014 die europäische Bankenaufsicht übernehmen. Immun und unangreifbar. Eines kann man ihm allerdings nicht absprechen: Er hat die intimste Kenntnis über die Mechanismen der Banken, wenn es darum geht, bei säumigen Schuldnern das Geld einzutreiben, wenn sie nicht mehr zahlen können.

Die europäischen Schuldenstaaten werden schon bald die Knute spüren, die die Banken gegen Hochstapler einzusetzen pflegen.

Weitere Themen

Arbeitslosigkeit in Europa so hoch wie noch nie, keine Trendwende

Innenminister Friedrich: Sicherheitslage in Deutschland ist angespannt

EU zahlt Gehalt von Montis Pressesprecherin


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...