Finanzen

Zentralbanken geben Startschuss zum Zünden der Derivate-Bombe

Lesezeit: 4 min
21.07.2013 00:34
Die EZB und die chinesische Zentralbank haben entschieden, auch minderwertige Wertpapiere als Sicherheiten für Kredite zu akzeptieren. Damit beflügeln sie den Trend der Banken, sich immer stärker am Derivate-Markt zu engagieren. Schon jetzt ist der Derivate-Markt über 700 Billionen Dollar schwer – ein Impuls kann die Bombe zünden. Das Problem: Was für ein Impuls dies sein könnte, ist nicht vorhersehbar.
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Im Zuge der weltweiten wirtschaftlichen Abschwächung und den großen Problemen, denen sich Europa, die USA und auch China gegenüber sehen, ist die Macht der Zentralbanken immer größer geworden. Eine Äußerung eines Zentralbankers wie Draghi oder Bernanke kann Aktienkurse in die Höhe schießen oder immens nach unten fallen lassen. Umso gefährlicher ist die neuerlicher Entwicklung der Geldpolitik. Sie betrifft nämlich indirekt auch den riesigen Derivate-Markt. Ein Markt, wie er undurchsichtiger kaum sein kann. Und wenn hier die Bombe platzt, droht der finanzielle Kollaps.

Vergangene Woche entschied die EZB, nun auch minderwertige Papiere, Asset Backed Securities (ABS) als Sicherheiten für neue Kredite zuzulassen (hier): Papiere mit schlechterem Rating als die bisher geforderten Wertpapiere mit Triple A. Schuldtitel also, hinter denen theoretisch irgendwann in der Kette einmal Unternehmensanteile, Autos oder auch Immobilien stehen. In China entschied man sich sogar, die Beschränkung für gefährliche Papiere gänzlich aufzuheben. So dass große Banken hier nun noch mehr giftige Papiere ins System pumpen können.

Diese Lockerung bei den für neue Kredite verlangten Sicherheiten spielt direkt den großen Banken zu. Es beflügelt sie, noch stärker am Derivate-Markt teilzunehmen. Ein Markt mit immensen, systemischen Risiken. Risiken, die ganz hinten in den Bilanzen der Banken stecken, die jedoch schon jetzt ein Ausmaß von über 700 Billionen Dollar haben.

Auch die Banken in der EU zocken heftig mit. Ihr Anteil an den globalen Derivateprodukten beträgt rund 219 Billionen Dollar. Platzt die Blase, ist ein Systemkollaps vorprogrammiert.

Derivate sind ein gigantisches Wettsystem, ähnlich einem Casino. Es wird auf alles gesetzt, was in der Zukunft als werthaltig erscheint bzw. als werthaltig verkauft werden kann. Seien es Staatsanleihen, Kredite an Banken oder Privatkunden und Hypotheken. Es wird auf fallende oder steigende Kurse bei Aktien gewettet, auf steigende oder fallende Zinsen für Staatsanleihen, auf Wechselkurse und auf Wertpapiere jedweder Art. Selbst Derivate von bereits bestehenden Derivaten sind im Umlauf. Was nichts anderes bedeutet, als dass sie aufs Neue gebündelt und weiter gehandelt werden.

Kein Ökonom der Welt kann detailliert Auskunft darüber geben, wie genau Gelder in das Derivategeschäft fließen, welche Gewinne (oder Verluste) daraus gezogen werden oder wie das ganze System generell funktioniert.

Allein die neun größten Banken der Welt handeln mit etwa 229 Billionen US Dollar Derivateprodukte. 90 Prozent dieser wurden allein von den vier größten US-Banken gehalten, berichtet Forbes. Das ist mehr als das Dreifache der gesamten Weltwirtschaft. Sollte nur ein Bruchteil davon ausfallen, wäre keine Regierung der Welt imstande, einen „Rettungsschirm“ aufzuspannen oder ein „Rettungspaket“ zur Verfügung zu stellen.

Hier kleine Übersicht, wie stark allein die US-amerikanischen Banken an Derivategeschäften beteiligt sind:

Die „Bank of New York Mellon“ ist mit 1,375 Billionen US Dollar in Derivategeschäften aktiv und damit „TBTF“ – „Too big to fail“. Das Bankhaus wird derzeit mit Klagen wegen Betrugs und Vertragsbruch überzogen.

Morgan Stanley, ebenfalls eine „TBTF“-Bank, handelt mit Derivaten im Umfang von 1,7 Billionen US-Dollar, so zerohedge (Stand Dez. 2011). Deren Vize-Vorsitzender fährt einen Porsche Cayenne Turbo mit dem Nummernschild „2BG2FAIL“. Während der Finanzkrise erhielt Morgan Stanley von der amerikanischen Notenbank Fed in einer „Rettungsaktion“ zwei Billionen US-Dollar als geheime Darlehen. Hier:

„TBTF“-Bank Wells Fargo agiert im Derivategeschäft mit 3,3 Billionen US-Dollar. Die Bank wurde wegen illegalen Zwangsvollstreckungen und betrügerischen Kreditleistungen angeklagt. Zu Zeiten der Finanzkrise erhielten Morgan Stanley von der amerikanischen Notenbank Fed 159 Milliarden US-Dollar als „geheime Darlehen“.

Die Holding HSBC, das größte Bankinstitut der Welt, mischt bei Derivaten im Volumen von 4,3 Billionen US-Dollar mit. Die Bank kaufte sich kürzlich mit 1,92 Milliarden US-Dollar Strafe vom Vorwurf der Geldwäsche, Unterstützung des Terrorismus und Drogengeschäfte frei. HSBC wird der Geldwäsche in Höhe von einige Milliarden US-Dollar beschuldigt (hier).

Goldman Sachs beteiligt sich am weltweiten Derivatemarkt mit 41,2 Billionen US-Dollar. Gegenüber anderen Banken hat GS den Vorteil, über Kontakte in höchste US-Regierungskreise zu verfügen. Viele ehemalige GS-Mitarbeiter arbeiten in der US-Regierung. In Europa sind ehemalige Mitarbeiter von GS als Leiter der EZB bekannt (Mario Draghi) sowie als ehemaliger italienischer Regierungschef (Mario Monti).  Italien erfreut sich derzeit nämlich auch an den schwerwiegenden Folgen eines Derivatehandels unter Draghis Aufsicht (hier). Goldman Sachs beteiligte sich an der Manipulation des Haushaltsdefizits Griechenlands, um dem Land den Einstieg in die Eurozone zu ermöglichen (mehr hier). Während der Finanzkrise erhielt GS von der Fed im Übrigen ein geheimes Darlehen von 814 Milliarden US-Dollar.

Die Bank of America handelt Derivate im Volumen von etwa 42,4 Billionen US-Dollar. Die Bank ist ebenfalls in einige Klagewellen involviert. Darunter befindet sich ein Streitwert von 31 Milliarden US-Dollar wegen ausgefallener Immobilienkredite gegenüber Barclays und Merrill Lynch. Die BoA erhielt während der Finanzkrise von der Fed 1,3 Billionen US-Dollar als „geheimes Darlehen“.

Die Citigroup ist mit 52,1 Billionen US-Dollar im Derivategeschäft aktiv. Die Bank musste 285 Millionen US-Dollar Geldstrafe wegen Weiterverkaufs unbesicherter Immobilienwertpapiere zahlen. Diese Summe nimmt sich gegenüber 2,5 Billionen US Dollar bescheiden aus, die die Citigroup beim Ausbruch der Finanzkrise von der Fed als „geheimes Darlehen“ erhielt.

JP Morgan Chase (JPM) handelt mit einem Derivatevolumen von etwa 69 Billionen US-Dollar. Die Bank ließ unlängst dementieren, sie habe den Kupfermarkt manipuliert, halte Anteile an diesem Markt von mehr als 80 Prozent und habe sich der Manipulation am Silber- und Aluminiummarkt schuldig gemacht. Im April 2009 machte die Bank (neben anderen) Schlagzeilen im Zusammenhang mit einem Betrugsverfahren im Zusammenhang mit Derivaten, wie Bloomberg berichtete.

Auch JPM erhielt von der Fed während der Finanzkrise als „Rettungspaket“ geheime Darlehen in Höhe von 391 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2012 musste JP Morgan (JPM) einen Verlust von zwei Milliarden US-Dollar wegen „schlecht ausgeführter“ Derivatewetten verzeichnen.

Warren Buffet, der US-amerikanische Großinvestor, bezeichnete Derivate einmal als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“. Der frühere französische Präsident Jacques Chirac hielt Derivate für „finanzielles AIDS“. Dennoch geht das Gewinnspiel mit Derivaten unvermindert weiter. In Deutschland steigt die Helaba (Landesbank Hessen-Thüringen) zu den „Zertifikate-Größen“ auf. Auch die Deutsche Bank ist dick im Geschäft (hier). Auf Platz drei und vier stehen die Commerzbank und die DZ-Bank, so das erst kürzlich. Und selbst die deutschen Sparkassen mischen als Player im großen Derivate-Casino mit, wie hier ersichtlich wird. Bei der WestLB schlummert eine Derivate-Bombe in Höhe von 1,5 Billionen Euro (hier). Zudem wird der Deutschen Bank massive Manipulation am Derivate-Markt vorgeworfen (mehr hier).

Beim Lehman Crash im September 2008 spielten auch Derivate eine große Rolle. Sowohl werthaltige Hypothekenpapiere und nicht werthaltigen Papiere als auch Derivate (CDO’s, Hypothekenausfallversicherungen) wurden in immer neue Pakete vermischt und verpackt. Auf bereits bestehende CDO’s wurden neue CDO’s gepackt. Solide Versicherungspapiere und solche mit hohem Ausfallrisiko kamen in Kombination auf den Markt. Und wurden auch deutschen Banken angeboten. Landesbanken sowie die Hypo Real Estate und die Commerzbank griffen zu. Im Ergebnis mussten die Banken vom deutschen Steuerzahler mit rund 74 Milliarden Euro „gerettet“ werden.

Im Dezember 2012 beschloss der Bundestag strengere Regeln im Handel mit Derivaten mit dem Ansinnen, dass damit das Zocken transparenter würde. Auflagen oder Beschränkungen gibt es jedoch nicht. Zertifikate jedweder Art sind nach wie vor frei handelbar und bergen für die Banken bzw. Steuerzahler immer noch ein enormes Risiko. Die Einführung neuer Regeln im Derivatehandel in der EU lässt noch auf sich warten.

Da die Derivate – außerbörslich – von Computern in Mikrosekunden gehandelt werden, weiß niemand, was einen Crash auslösen kann oder wann es passiert. Doch angesichts der globalen Finanzkrise kann sich das völlig aus den Fugen geratene Derivategeschäft für das gesamte Finanzsystem katastrophal auswirken.


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