Die deutschen Lebensversicherer müssen per Gesetz feste Prozentsätze ihrer Gewinne an ihre Kunden weiterreichen. Bei Kapitalanlagen sind das zum Beispiel 90 Prozent. Wenn die Versicherer diesen Prozentsatz unterschreiten wollen, müssen sie einen Antrag an die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin stellen. Dies haben nun circa ein Dutzend der gut 90 in Deutschland aktiven Lebensversicherer getan.
Anträge der Lebensversicherer auf eine geringere Gewinnbeteiligung habe es seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 mehrmals gegeben, zitiert die Frankfurter Rundschau die Bafin. Doch einen solchen Ansturm der Versicherer auf die Bafin wie jetzt hat es noch nicht gegeben.
Nach dem Ausbruch der Finanzkrise setzte eine Phase niedriger Zinsen ein, wodurch der Gewinn der Versicherer schrumpfte. Einzelne Versicherer beantragten daher, dass sie ihre Kunden in geringerem Maße an ihren Gewinnen beteiligen müssen. Doch wenn jetzt gleich ein Dutzend Konzerne auf einmal vorstellig würden, sei das bemerkenswert, so ein Experte. Es zeige, dass sich ein branchenweites Problem aufbaue.
In den 90er Jahren wurden Lebenspolicen mit einem gesetzlichen Garantiezins von bis zu 4 Prozent verkauft. Damals war das kein Problem, weil das Zinsniveau höher lag. Doch heute liegen die Leitzinsen unter 1 Prozent, und das wohl noch auf Jahre, so hat es EZB-Chef Draghi angekündigt.
Wer heute eine neue Lebens-Police abschließt, erhält deshalb nur noch 1,75 Prozent Garantiezins. Einige Lebensversicherer haben sich sogar ganz aus dem Neugeschäft verabschiedet. Doch auch sie müssen, wie die ganze Branche, ihre Versprechen aus den Altverträgen mit bis zu 4 Prozent Garantiezins erfüllen. Das wird umso schwieriger, je länger die Niedrigzinsphase andauert.
Noch erwirtschaften Lebensversicherer mit ihren Kapitalanlagen im Schnitt gut 4 Prozent Rendite. Denn sie halten in ihren Anlagebeständen noch hochverzinsliche Wertpapiere aus früheren Zeiten. Doch diese werden nach und nach fällig. Und mit neuen Anlagen können die Versicherer heute kaum mehr als 3 Prozent Rendite schaffen. Ihre Altverträge können sie damit nicht bedienen.
Die Lage wird sich also offenbar noch massiv verschlimmern. Aus einer vorübergehenden Absenkung der Gewinnbeteiligung könnte eine Dauereinrichtung werden. Den Kunden der Lebensversicherer drohen enorme Verluste. Der Bund der Versicherten (BdV) ist durch die Pläne der Lebensversicherer alarmiert. „Wir werden da nicht mitspielen“, sagt BdV-Expertin Bianca Boss. Doch wie das Problem gelöst werden könnte, kann auch der BdV nicht sagen.
Die Grünen haben eine Sondersitzung des Finanzausschusses beantragt, um von der Bundesregierung zu erfahren, was sie zu tun gedenkt. Der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick macht zudem die Versicherer mitverantwortlich für ihre aktuellen Probleme. Den Deutschen Wirtschafts Nachrichten sagte er:
„Die Lebensversicherer sind nicht nur wegen der Niedrigzinsphase in der Krise, sondern auch weil manche von ihnen werbewirksam zu viel versprochen haben. Jetzt trifft offenbar die BaFin klammheimlich Entscheidungen darüber, wer die Lasten tragen soll. Allem Anschein nach sind das weder Management noch Aktionäre, sondern zuvorderst die Versicherten, deren Verträge jetzt auslaufen. Wir meinen: Entscheidungen, bei der es um Lastenverteilung mit großen finanziellen Wirkungen für die Kunden geht, müssen öffentlich diskutiert werden. Davor scheut die Bundesregierung aber zurück, weil sie den Lebensversicherern zu nahe steht.“
Die Bafin bemüht sich, die Versicherten zu beruhigen. Zumindest kurz- und mittelfristig könnten die Versicherer alle Garantien erfüllen, so eine Bafin-Sprecherin. Doch langfristig handelt es sich um ein unlösbares mathematisches Problem. Wenn die Niedrigzinsphase anhält, dann können die Lebensversicherer ihre Versprechen nicht einhalten.
Doch die historisch niedrigen Zinsen in der Eurozone haben nicht nur die Lebensversicherer und ihre Kunden in massive Probleme gebracht. Auch die deutschen Sparer verlieren jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag (hier).