Im vergangenen Jahr wurden etwa 673.500 Kinder in Deutschland geboren – fast ein Viertel weniger als vor 20 Jahren (1990: 905.700). Zwar ist die derzeitige Geburtenrate mit 1,4 Kindern je Frau seit 1997 stabil. Aber hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert und ein Blick auf das Alter der Frauen, wenn sie Mutter werden, zeigt eine beunruhigende Entwicklung. In den 1970er Jahren waren Frauen in der früheren Bundesrepublik durchschnittlich etwa 24 Jahre alt, als sie ihr erstes Kind bekamen. In der ehemaligen DDR waren sie beim ersten Kind in der Regel sogar noch jünger.
Immer ältere Mütter
Doch seit einigen Jahren kriegen die Frauen in Deutschland immer später ihr erstes Kind. Mittlerweile liegt das Durchschnittsalter bei 31,6 Jahren. Angesichts der Tatsache, dass es sich dann erst um das erste Kind handelt und eine Schwangerschaft nach dem 35. Lebensjahr schon als Risikoschwangerschaft eingestuft wird, eine beunruhigende Entwicklung. Dies hat auch zur Folge, dass sich die Zahl der potentiellen Frauen, die mehrere Kinder kriegen, verringert. Schließlich zeigen die Daten des Statistischen Bundesamtes auch: Je mehr Kinder eine Frau zur Welt gebracht hat, desto jünger war sie bei der Geburt ihres ersten Kindes.
Derzeit ist fast jede vierte Frau in Deutschland im Alter zwischen 40 und 44 Jahren ohne Kinder. Eine Entwicklung, die sich vor allem in den Städten manifestiert. 2012 war der Anteil der Frauen ohne Kind in Hamburg mit 32 Prozent am höchsten, so das Statistische Bundesamt.
Selbstverwirklichung geht vor
Ein Grund für diese Entwicklung ist die zunehmende Individualisierung. Mehr und mehr Menschen entscheiden sich dafür, sich nicht auf einen Lebenspartner festzulegen. Sie stellen ihre berufliche Laufbahn und die Sucht nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund ihrer Handlungen. Andererseits ist es immer schwieriger geworden, einen festen, über mehrere Jahre anhaltenden Job zu finden – die finanzielle Unsicherheit ist für viele größer.
Die Medien und Industrie kreieren ein Bild schlanker, erfolgreicher, stetig junger Menschen – ein Idealbild, das aus unserer Gesellschaft gar nicht mehr wegzudenken ist. Eine von der Wirtschaft vorgeschriebene Rolle soll eingenommen werden. Eine Rolle, in der oft kein Platz für Kinder ist. Und wenn man doch schwanger wird, muss man darauf achten, dass man nach Möglichkeit während der Schwangerschaft so gut wie gar nicht zunimmt. Und spätestens nach einem Monat nach der Geburt müssen die Pfunde wieder unten sein. Nicht zu vergessen von dem No-Go des Stillens – die perfekte Brust könnte deformiert werden. Die steigende Zahl der Wunschkaiserschnitte ist in einem ähnlichen Zusammenhang zu sehen. Schließlich soll dadurch der Intimbereich der Frau vor dem Baby geschützt werden. Die Furcht vor Problemen mit dem Schließmuskel oder einer angeblichen Vergrößerung der Vagina sind groß.
Finanzielle Angst
Viele Paare und potentielle Eltern geben aber auch an, dass sie sich Kinder einfach nicht leisten können. Kinder kosten Geld und das Gehalt scheint zu knapp. Ganz abgesehen davon, dass ein Partner teilweise mit der Arbeit aussetzen oder diese deutlich verringern muss. Ganz zu schweigen von der Situation alleinerziehender Eltern. In der Zeit zwischen 1998 und 2003 sind die Ausgaben für ein Kind immerhin um 10,7 Prozent gestiegen. 549 Euro im Monat waren es durchschnittlich 2003. Die Rede ist hier von monatlichen Ausgaben für Wohnen, Nahrungsmittel, Bekleidung, Verkehr etc.. „Sie sind nicht gleich zu setzen mit den Lebenshaltungskosten für Kinder“, so das Statistische Bundesamt. So fehlen bei den so genannten Konsumausgaben alle anfallenden Aufwendungen wie zum Beispiel für Versicherungsschutz und Vorsorge. Diese sind seit 1998 überproportional angestiegen. Aber auch Aufwendungen, die Organisationen und der Staat für Kinder tätigen, wie zum Beispiel Ausgaben für die Schulbildung oder den Bau von Kindergärten, sind nicht enthalten.
Politisches Versagen
Die Politik könnte mit effizienten familienpolitischen Entscheidungen die notwendigen Weichen stellen. Allerdings zeigte die letzte schwarz-gelbe Regierung, dass die Vorstellungen der Politik auch in diesem Bereich ganz weit von den Bedürfnissen der Eltern bzw. potentielle Eltern sind. „Wir haben ein breites Förderinstrumentarium für Familienleistungen“, sagte Angela Merkel beim zweiten Demografie-Gipfel im Mai (hier).
Tatsächlich zeigt aber eine Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) im Auftrag Familienministeriums und des Finanzministeriums, dass das Förderinstrumentarium keineswegs breit und effektiv ist. Die Studie warf unter anderem auch einen Blick auf die verschiedenen politischen Maßnahmen für Familien. Das neue Betreuungsgeld etwa helfe nicht: „Insgesamt kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Einführung des Betreuungsgeldes in Deutschland die Geburtenrate positiv beeinflussen kann.“ Vielmehr sollte stattdessen auf den Ausbau der Kitas gesetzt werden. Eine Forderung, die bereits seit Jahren immer wieder in den Vordergrund rückt.