Deutschland

Auch die Fehler abgeschrieben: Uni Düsseldorf eröffnet Verfahren gegen Schavan

Bildungsministerin Annette Schavan hat für ihre Dissertation so präzise abgeschrieben, dass man erkennen kann, dass sie die Originale nur aus der Sekundärliteratur kennt. Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eröffnet nun ein Verfahren zur Aberkennung des Doktor-Titels. Schavan droht, zum Steinbrück der CDU zu werden.
23.01.2013 00:48
Lesezeit: 2 min

„Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ – so ist der Titel der Dissertation, mit der Annette Schavan 1980 ihren Doktortitel an der Heinrich-Heine-Universität erworben hat, nach damaliger Einschätzung von Prüfern und Gutachtern ein „opus admodum laudabile“, also ein ausgezeichnetes Werk.

Dieses Lob hat 32 Jahre gehalten, bis ein anonymer Wissenschafts-Kontrolleur der Bildungsministerin auf die Schliche kam. Akribisch untersucht der Experte auf Schavanplag die intellektuelle Leistung von Schavan, und kommt mit der Nüchternheit eines Meteorologen zu einem vernichtenden Ergebnis:

„Insgesamt gibt es 97 Seiten im Haupttext der Dissertation von S. 11 bis 335, auf denen Übernahmen aus 45 Quellen nicht oder nicht ausreichend kenntlich gemacht werden. Bei 63 von 130 einzelnen Fragmenten handelt es sich um Verschleierungen, d.h. die (wirkliche) Quelle der Ausführungen wird – im Gegensatz zu Bauernopfern – auch im Umfeld der Übernahme nicht genannt. Bedeutendste Plagiatsquelle ist die Habilitationsschrift des polnischen Franziskaners Antoni Jozafat Nowak mit 21 Fragmenten.

Als Muster lässt sich erkennen, dass die Verfasserin oft vorgibt, Primärquellen zu rezipieren, während sie tatsächlich mit leichten Abwandlungen aus der Sekundärliteratur abschreibt. In vielen Fällen werden dabei auch Fehler bei Zitaten oder Literaturangaben mit übernommen bzw. – seltener – korrekte Literaturangaben fehlerhaft übertragen.“

Die Universität Düsseldorf hat am Dienstag in überraschender Einhelligkeit beschlossen, den Erkenntnissen nachzugehen. Sie teilt mit: „Der Fakultätsrat hat alle Sachverhalte der Vorprüfung ausführlich diskutiert und heute in geheimer Abstimmung mit 14 JA-Stimmen und einer Enthaltung entschieden, dass das Hauptverfahren zu eröffnen ist.“

Schavans Methode des Abschreibens bestand darin, dass sie wichtige Bücher von C.G. Jung, Sigmund Freud und Martin Buber nicht selbst gelesen hat, sondern Urteile aus der Sekundärliteratur als ihre eigenen Schlussfolgerungen ausgibt.

Zum Verhängnis wurde der CDU-Politikerin, dass sie auch die Fehler abgeschrieben hat. So kann der Plagiats-Wächter erkennen, dass es nicht Schavans eigene Gedanken sind, sondern eine „vorgetäuschte Rezeption“ der Originale ist.

Eigene Gedanken sind aber das Entscheidende an einer wissenschaftlichen Arbeit. Umso peinlicher, dass selbst das Fazit ihrer Forschung nicht von ihr selbst stammt, sondern mindestens an einer Stelle von Lutz Hupperschwiller stammt. Dessen Werk trägt den Titel: „Gewissen und Gewissensbildung in jugendkriminologischer Sicht“.

Die Vorgehensweise von Schavan wird von ihr vielleicht als Jugendsünde gesehen. Kriminell war sie sicher nicht. Wer jedoch beim Thema „Gewissen“ so locker mit dem gedanklichen Eigentum anderer umgeht, müsste sich, wenn er sein Gewissen im Lauf der Jahrzehnte gebildet hat, eigentlich fragen, ob er als Politiker eine Rolle spielen kann.

Schavan gibt sich – noch – trotzig, will natürlich nicht zurücktreten, im Gegenteil: Sie will wieder in den Deutschen Bundestag und bewirbt sich um ein Mandat.

Dummerweise fällt die Affäre in den Bundestags-Wahlkampf. Wenn die Bild-Zeitung („Wir sind Papst!“) erst einmal dahinterkommt, dass Schavan auch aus einem Buch von Joseph Ratzinger abgeschrieben hat, dann dürften die Verdienste der Ministerin (welche Verdienste eigentlich?) endgültig vergessen sein.

Was Angela Merkel aber gar nicht gebrauchen kann, ist, dass nun auch die CDU ihren Steinbrück hat. Daher ist es gut vorstellbar, dass die Kanzlerin die Notbremse zieht. Merkels Gewissen kennt nur eines: die Wiederwahl. Das Verfahren an der Universität wird sich über mehrere Monate hinziehen, Schavan kann, sollte ihr der Doktor-Titel abgesprochen werden, dagegen vor dem Bundesverwaltungsgericht Berufung einlegen.

An einer Stelle plagiiert Schavan zwei Freud-Experten: „Den lebenserhaltenden Trieben gegenüber stehen die Todestriebe [...]] sie versuchen, lebende Einheiten zu zerstören, Spannungen radikal auszugleichen und so das Lebewesen in den anorganischen Zustand zurückzuführen, der als der Zustand der absoluten Ruhe angesehen wird.“

In „Jenseits des Lustprinzips“ hatte Freud allerdings nicht an die moderne Medien-Wirklichkeit und die innere Leere nach einem Rücktritt gedacht.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Euro-Kurs wird zur Gefahr: Europas Exporte brechen ein
06.07.2025

Ein starker Euro, schwaches Wachstum, neue US-Zölle – Europas Wirtschaft gerät unter Druck. Die EZB warnt, doch die Lage droht zu...

DWN
Politik
Politik Neuregelung der Vaterschaft: Mehr Rechte für leibliche Väter
06.07.2025

Die Bundesregierung plant eine Reform, die leiblichen Vätern zu mehr rechtlicher Anerkennung verhelfen soll. Der Entwurf aus dem...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnungstausch: Wie Sie Ihre Ferienwohnung herzaubern und worauf Sie achten müssen
06.07.2025

Der Wohnungstausch boomt – günstig, persönlich und spannend. Doch wie funktioniert das Ganze wirklich, und worauf muss man achten,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Jungmakler mit TikTok: Wie eine Generation den Versicherungsmarkt neu denkt
06.07.2025

TikTok-Reichweite, neue Rollenbilder, klare Erwartungen: Junge Makler treiben die Disruption im unabhängigen Versicherungsvertrieb voran....

DWN
Technologie
Technologie Wäschetrockner: Neues Energie-Label einfach erklärt
06.07.2025

Seit dem 1. Juli gelten für Wäschetrockner strengere Energiekennzeichnungen. Verbraucher sollen Geräte nun besser vergleichen können....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Praktika und Probearbeiten: Rechte, Pflichten und Fallstricke für Berufseinsteiger
06.07.2025

Viele Praktikanten kennen ihre Rechte nicht – und riskieren, ausgenutzt zu werden. Was wirklich erlaubt ist, wann Praktika bezahlt werden...

DWN
Technologie
Technologie Lithium: Schlüssel zur technologischen Unabhängigkeit – doch der Rohstoff ist knapp
06.07.2025

Lithium ist der Treibstoff moderner Technologien – von E-Autos bis Energiewende. Doch was passiert, wenn die Nachfrage explodiert und das...

DWN
Politik
Politik Rückkehr der Wehrplicht trotz Wirtschaftsflaute? Nato-Ziele nur mit Pflicht zum Wehrdienst möglich
05.07.2025

Die Nato drängt: „Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen“, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie...