Politik

Nahost-Experte: „Die Türkei ist aktiv am Syrien-Kon​flikt beteiligt“

Lesezeit: 4 min
01.02.2013 17:33
Nach dem Selbstmord-Anschlag am Freitag in Ankara rätseln Beobachter über die Hintergründe. Die Regierung hat in einer kurzen Stellungnahme die Vermutung geäußert, der Täter könnte ein Linksradikaler gewesen sein. Linke Organisationen protestieren derzeit gegen den Einsatz der Patriot-Raketen in der Türkei. Soner Cagaptay, Direktor des Washington Institute for Near East Policy, glaubt, dass die Türkei mittlerweile militärisch aktiv in den Syrien-Konflikt involviert ist. Dadurch sei eine brandgefährliche Situation entstanden.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im November 2012 hat die Türkei eine Anfrage an die NATO nach Patriot-Raketen gestellt. Nun sind neben dem Luftabwehrsystem auch die ersten deutschen Soldaten in der Türkei eingetroffen. War das ein kluger Schachzug von Ankara oder eher eine gefährliche Einmischung in innersyrische Angelegenheiten?

Soner Çağaptay: Ich glaube, dass die eigentliche Initiative zur Stationierung eher von der NATO ausgegangen ist. Man wollte Ankara dadurch die Angst vor einem Überspringen des Syrienkonflikts auf die Türkei nehmen. Denn da gab es ein Vorspiel. Syrische Artillerie hatte in der Vergangenheit mehrmals versehentlich türkische Städte entlang der Grenze beschossen. Zudem hat die syrische Luftabwehr im Juni 2012 ein türkisches Flugzeug absichtlich abgeschossen. Insbesondere in Washington kam die Furcht auf, dass die Türken auf derartige Vorfälle irgendwann blitzartig reagieren und Vergeltung üben würden. Eine derartige Verschärfung will man nun durch diese Stationierung verhindern.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Patriot-Raketen werden ab Februar 2013 einsatzbereit sein. Doch Kritiker befürchten den Ausbruch eines neuen Konflikts im Nahen Osten. Sind diese Befürchtungen begründet?

Soner Çağaptay: Nein, denke ich nicht. Patriot-Raketen haben einen rein defensiven Charakter. Sie dienen der Abwehr von Angriffen und sind geeignet für den Schutz von Städten und ausgewählten Ortschaften. Wo immer sie stationiert sind, schützen sie Ortschaften im Umkreis von 50 bis 60 km. Wir reden hier nicht über eine offensive Waffe, die sich gegen Syrien richtet. Es geht hier nur darum, türkische Grenzstädte vor Blindgängern und unbeabsichtigten Beschüssen seitens des Assad Regimes zu schützen. Denn die Rebellenstellungen befinden sich entlang der türkisch-syrischen Grenze und sind in Kampfhandlungen mit dem syrischen Militär verwickelt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Nicht näher benannte Quellen vom Arabischen Golf haben Reuters berichtet, dass die Türkei, Saudi Arabien und Katar die syrischen Rebellen mit Waffen beliefern. Wie tief ist Ankara in diesen Konflikt verwickelt?

Soner Çağaptay: Die Türkei steckt tief drin in diesem Konflikt, weil sie Elemente der syrischen Opposition beherbergt. Medienberichten zufolge, versorge die Türkei die Rebellen mit Waffen und Geld, das aus Ländern wie Katar komme. Ankara kann es sich nicht leisten im Syrienkonflikt den Kürzeren zu ziehen. Mit anderen Worten: Ankara ist der Auffassung, dass Assad um jeden Preis gehen müsse. Die Türkei wird alles tun, um die Legitimation Assads zu untergraben. Deshalb unterstützt man die syrische Opposition. Es gibt Stimmen, die sagen, dass die türkisch-syrische Grenze ohnehin de facto nicht mehr bestehe. Denn auf der einen Seite befinden sich die von den Rebellen kontrollierten Regionen und auf der anderen Seite die Türkei. Kurzum: Die Türkei unterstützt aktiv die Rebellen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann Ankara Vorteile aus diesem Konflikt ziehen?

Soner Çağaptay: In der derzeitigen Phase muss die Türkei auf den Sturz des Assad Regimes setzen. Aus der Sicht Ankaras ist das eher eine Herausforderung, als ein Vorteil. Denn je länger der Konflikt dauert, desto wahrscheinlicher wird ein überschwappen des Konflikts in die Türkei. Erstens ist ein religiöser Radikalisierungsprozess gepaart mit salafistischen Elementen und der Al Qaida zu beobachten. Zweitens sollte man die PKK in Nordsyrien nicht vergessen. Deshalb möchte Ankara den Bürgerkrieg in Syrien so schnell wie möglich beenden. Das ist der einzige Ausweg, um Spannungen in der Türkei zu verhindern.

In der Ära nach Assad wird es sicherlich interessant sein die türkische Außenpolitik zu beobachten. Insgesamt werden wir in Syrien eine Reihe von Oppositionsparteien sehen, die der Türkei wohlgesonnen sein werden. Die Türkei wird politischen Einfluss in Syrien haben. Doch bisher hat Ankara noch keine Beziehungen zu allen Gruppen der syrischen Gesellschaft gesponnen wie beispielsweise mit den Christen oder den Alawiten. Dies wird eine große Herausforderung für die Türkei darstellen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten:  Einige türkische Zeitungen und Politiker äußern die Angst, dass ein in Syrien beginnender Konfessionskrieg bis in die Türkei dringen könnte. Ist jene Angst begründet?

Soner Çağaptay: Ein konfessionsgebundener Konflikt würde sich zwischen Alawiten und Sunniten abspielen, wobei Alawiten in der Minderheit sind. Ein derartiger Konflikt würde nur in abgespeckter Weise auf die Türkei übergehen, wobei es nur eine einzige Möglichkeit gibt: In der türkischen Region Hatay lebt eine kleine aber geographisch konzentrierte alawitische Gemeinde. Insgesamt gibt es eine Million Alawiten, die in der Türkei leben. Diese stehen sowohl ethnisch, als auch religiös den syrischen Alawiten, die das Assad Regime kontrollieren und an der Macht sind, sehr nahe. In der syrischen Flüchtlingsfrage handelte Ankara sehr klug. Die Mehrheit der Flüchtlinge sind Sunniten. Man verhindert die Unterbringung der Menschen in den von Alawiten besiedelten Gebieten. Vielmehr versucht Ankara die Flüchtlinge geographisch zu verteilen, um möglichen Spannungen vorzubeugen. Ein guter Schritt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die syrischen Kurden leben hauptsächlich entlang der türkisch-syrischen Grenze. Steckt hier ein neues Konfliktpotential zwischen Türken und Kurden?

Soner Çağaptay: Die PKK genießt bei syrischen Kurden ein großes Ansehen und erhält große Unterstützung. Dasselbe kann man nicht über iranische oder irakische Kurden sagen. Je mehr es zu Zwischenfällen zwischen der PKK und der Türkei kommt, desto mehr werden sich die syrischen Kurden von der Türkei und der syrischen Opposition abwenden. Denn deren Schutzpatron sind nun einmal die Türken. Deshalb ist es so wichtig, dass Ankara Friedensverhandlungen mit der PKK führt und das Kurdenproblem in der Türkei möglicherweise lösen wird. Hier hat Ankara die Möglichkeit auch Brücken zwischen der Türkei und den syrischen Kurden zu bauen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was sagt uns das für die türkische Sicherheitspolitik?

Soner Çağaptay: Der syrisch-kurdische Ableger der PKK, die PYD (Partei der Demokratischen Union) ist sehr aktiv in Syrien. Insbesondere die Ortschaften um Aleppo herum sind weitgehend Aktionsgebiete der PYD. Wenn Ankara in Syrien einmarschieren sollte, müssten sich die Türken nicht nur mit dem syrischen Regime auseinandersetzen, sondern auch mit der PYD. Doch dieses Szenario ist sehr unwahrscheinlich. Entscheidend ist hier, ob die Friedensverhandlungen zwischen der Türkei und der PKK erfolgreich sein werden. Wenn ja, dann braucht sich Ankara keine Gedanken über die kurdische PYD Präsenz in Syrien zu machen.

Dr. Soner Çağaptay ist Direktor des Türkei-Programms am Washington Institute for Near East Policy, Washington DC. Seine Forschungsschwerpunkte sind derzeit die türkisch-amerikanischen Beziehungen und die türkische Innenpolitik. Er ist Absolvent der Yale-University und spricht neun Sprachen.


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