Seit Beginn der Krise verloren über 350.000 Spanier wegen nicht bezahlter Hypotheken ihr Zuhause. Viele begingen aus Verzweiflung Selbstmord. Am 6. März starb ein 50-Jähriger Mann in Bilbao, nachdem er aus dem vierten Stock seines Hauses gesprungen war. Seine Wohnung sollte wegen nicht bezahlter Miete zwangsgeräumt werden. In Spanien werden pro Tag 500 Immobilien zwangsgeräumt.
Richter kritisieren das spanische Kreditrecht aufs Schärfste. Die Gesetze würden aus den Kreditnehmern Leibeigene machen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte die Zwangsräumungen in Spanien kürzlich für illegal. Als Grund gaben die Richter an, dass die spanischen Gesetze den Bürgern keinen ausreichenden Schutz vor missbräuchlichen Klauseln in den Hypothekenverträgen gäben. „Die Banken missbrauchen ihre Position. Dieses System basiert auf der Verantwortung des Schuldners bis zu seinem Tod“, sagt Ivan Cisneros, von der Plattform der Hypothekenopfer. In Spanien sei es nicht möglich offensichtlich missbräuchliche Vertragsklauseln anzufechten. Es gebe keine gleichberechtigten Vertragspartner, da „eine starke Seite, die Bank, der Schwächeren, dem Käufer, ihre Konditionen diktiert.“
Die Immobilienkrise hat viele Spanier, wie Eduardo Cachago, in ein Schreckensszenario getrieben. 2006 kauft sich der 45-Jährige eine 60 Quadratmeter große Wohnung im Madrider Stadtteil La Elipa. Die Madrider Sparkasse gibt ihm dafür einen Kredit und verspricht konstante Ratenzahlungen von 800 Euro pro Monat. Was Eduardo nicht weiß: Die Sparkasse ist in Finanznöten, teilt den Kredit in mehrere Darlehen auf und überträgt sie einer Bank in der Schweiz. „Jetzt tun sie so, als hätte ich neben der Hypothek ein weiteres Darlehen. Davon wusste ich gar nichts“, sagt Eduardo dem Deutschlandradio mit Blick auf seinen Bankordner. „Hier ist von einer Kreditkarte die Rede, über die ich mir 5.000 Euro geliehen hätte. Diese Karte habe ich aber nie gesehen.“ Einen Kreditvertrag mit einer Schweizer Bank habe Eduardo nie unterzeichnet.
Doch das ist erst der Anfang des Alptraums. Die Rückzahlungsraten für Eduardos Hypothek steigen stark an. Zu Beginn habe ihm der Bankberater noch gesagt, der Kredit habe einen Festzins. Nach sechs Monaten würde der Hypothek dem Leitzins angepasst, so die neue Darstellung der Bank. Eduardo zahlt. Er macht Überstunden und arbeitet am Wochenende für den Traum einer eigenen Wohnung. „Bis August 2008 bezahlte ich die Raten, am Ende waren es 1.760 Euro im Monat“, sagt Eduardo dem Deutschlandradio.
Doch dann verliert er seine Arbeit. Eduardo will die Wohnung aufgeben, um seine Schulden zu begleichen. Das sieht das spanische Kreditrecht jedoch nicht vor. Der Schuldner haftet mit seinem ganzen Vermögen. Die Bank empfiehlt Eduardo, die Raten weiter zu bezahlen, verschweigt ihm aber, welche hohen Verzugszinsen ihn erwarten, wenn er nicht rechtzeitig den vollen Betrag überweißt. Eduardo bemüht sich, selbst in der Arbeitslosigkeit, wenigstens einen Teil seiner Schulden abzubezahlen. Doch dann wird seine Wohnung zwangsversteigert - zu 50.000 Euro. Das ist weniger als ein Fünftel des ursprünglichen Kaufpreises. Neuer Besitzer ist die Madrider Sparkasse, jene Bank die Eduardo den verhängnisvollen Kredit vermittelte. „Hätten diese Leute mir damals gesagt, dass die Wohnung so oder so zwangsversteigert wird und es gar keine Rolle spielt, wie viel ich zahle, hätte ich denen keinen Cent mehr gegeben.“
Die Kosten der Versteigerung muss Eduardo übernehmen. Monat für Monat steigen seine Schulden durch die hohen Verzugszinsen. Inzwischen schuldet er der Bank sogar mehr als die ursprüngliche Kreditsumme. Sollte Eduardo wieder Arbeit finden, würde ein Teil seines Gehalts sofort gepfändet – und das bis an sein Lebensende, denn Privatinsolvenzen wie in Deutschland, gibt es in Spanien nicht.
Die Plattform der Hypothekenopfer hat Klage beim europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingereicht. Für viele verschuldete Spanier ist das die letzte Hoffnung. Auch das spanische Parlament will nach dem Urteil des EuGH und unter dem öffentlichen Druck das Kreditrecht reformieren. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy machte aber bereits klar, dass das neue Gesetz, aufgrund der Wahrung der Rechtssicherheit, keinesfalls rückwirkend gelten werde. Eduardo Cachago wird also Schuldner bleiben – sein Leben lang.