Politik

Ökonom: „Währungsreform ist der einzige Ausweg aus der Schuldenkrise“

Lesezeit: 5 min
18.05.2013 01:41
Der Ökonom Christoph Braunschweig sieht zur Lösung der Schuldenkrise nur zwei Alternativen: Entweder kommt es zum völligen Chaos oder zu einer Währungsreform. Um einen sozialen Flächenbrand in Europa zu verhindern, dürften sich die Politiker für die Währungsreform vorbereiten. Sie bietet den Eliten den angenehmen Nebeneffekt, dass sie an der Macht bleiben können.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Teufelskreis der kollektiven Unvernunft aus Politiker-Versprechen und Wähler-Anspruch führt zwangsweise in die Überschuldung der Staaten. Kann ein Staat aus diesem Teufelskreis überhaupt aussteigen?

Christoph Braunschweig: Die Logik der Selbstzerstörung des Wohlfahrtsstaates aufgrund unsoliden Finanzgebarens wurzelt in dem fatalen Teufelskreis der kollektiven Unvernunft von Politiker-Versprechen und Wähler-Anspruch. Für die Politiker aller Parteien ist das Verteilen von Sozialleistungen auf Pump, die schamlose Verschuldung zu Lasten kommender Generationen, wegen der sofort wählerwirksamen Auswirkungen über die Maßen verführerisch.

Permanent werden neue „Gerechtigkeitslücken“ entdeckt, die zu entsprechenden Umverteilungsmaßnahmen führen. Der Wähler, der einerseits die Politiker verachtet, hält andererseits mit seinem Anspruchsverhalten genau diesen Teufelskreis in Gang. Jeder fürchtet, ansonsten bei der Verteilung des Sozialkuchens benachteiligt zu werden. Da viele Bürger so denken, gerät das ganze System zwangsläufig in die finanzielle Schieflage. Zu hohe Schulden werden dann mit noch höheren Schulden „bekämpft“, weil die eigentlich notwendigen Sparmaßnahmen und Strukturreformen als nicht durchsetzbar beim Wähler gelten.

Zwar stimmt der einzelne Bürger durchaus der Notwendigkeit zum Sparen zu, aber nur bei anderen Leuten oder Gruppen. Individuelle Rationalität wird zur kollektiven Irrationalität. Der Wohlfahrtsstaat beruht auf der Fiktion, dass jedermann auf Kosten von jedermann leben könne. Im weiten Mantel der staatlichen Fürsorge wird die Entmündigung des einzelnen Bürgers versteckt.

Das weiche Klima des herrschenden Sozial-Protektionismus korrumpiert die Menschen, die entsprechend heftigen Widerstand gegen jede in Aussicht gestellte Leistungsverringerung bekunden. Ludwig Erhard ging zu Recht davon aus, dass man solche umverteilenden Systeme später erfahrungsgemäß kaum mehr ändern könne, weil die Zahl derer, die davon profitieren, im Endeffekt immer größer ist als die der Zahler.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie lange kann Deutschland noch mit seinen Schulden weitermachen?

Christoph Braunschweig: Wenn man alle gesetzlich festgelegten Zahlungsverpflichtungen von Bund, Ländern und Gemeinden richtigerweise einbezieht, ergibt sich für Deutschland eine öffentliche Verschuldung in Höhe von über 80 Prozent des BIP. Noch viel schlechter fällt die Schuldenbilanz Deutschlands aus, wenn man bedenkt, dass praktisch alle Gebietskörperschaften in großem Stil auf Pump leben und dringend notwendige Investitionen unterlassen.

Zu der offen ausgewiesenen öffentlichen Verschuldung von gut 2 Billionen Euro, zu den Ausgaben für den EU-Rettungsschirm, zu den Ausgaben zur Stützung öffentlicher Banken, zu den im „Sondervermögen“ ausgelagerten öffentlichen Schulden, zu den nicht durch Rückstellungen abgesicherten Pensionslasten für Beamte, zu den öffentlichen Zuschüssen für die Sozialversicherungen, zu all diesen Belastungen der kommenden Generationen müssten eigentlich auch noch die hohen Zahlungsverpflichtungen hinzugezählt werden, die der „Rückbau“ der öffentlichen Infrastruktur verursacht.

Die Abwassernetze in vielen Großstädten befinden sich in einem maroden Zustand. Für Instandhaltung und Erneuerung fehlt ein dreistelliger Milliardenbetrag. Etwa 20 Prozent des Abwassers versickert heute bereits durch Risse und Löcher in den Rohren und Kanälen. Die schlechte Beschaffenheit des Schienennetzes verursacht unnötig hohe Energiekosten. Besonders drastisch ist der Substanzverzehr des Straßennetzes.

Auch Deutschland als das vermeintlich noch stabilste Land der Eurozone steckt also längst im Schuldensumpf. Die verdeckte Staatsschuld ist mit 6,2 Billionen Euro noch viel höher als die offene Verschuldung mit gut 2 Billionen Euro. Insgesamt hat Deutschland demnach (noch ohne die Eurogarantien!) gut 8 Billionen Euro Schulden und Verpflichtungen. Rein statistisch beginnt jedes Neugeborene sein Leben mit 100.000 Euro Schulden. Es ist immer eine reine Frage der Zeit, wann die Gläubiger ihr Vertrauen verlieren.

Der Zeitpunkt als solcher lässt sich nicht bestimmen. Noch nie hat ein Staat in der Geschichte jemals seine Schulden zurückgezahlt. Einstweilen „bekämpfen“ die Regierungen die Schuldenberge durch das „financial repression“, d. h., durch Weginflationieren und Nullzinspolitik zu Lasten der Steuerzahler, Sparer und Anleger. Daneben werden die Steuern und Abgaben weiter erhöht. Da dies rein rechnerisch angesichts der gigantischen Schuldenhöhe jedoch alles nicht ausreicht, wird es auf kurz oder lang dann doch zu einem Schuldenschnitt bzw. einer Währungsreform kommen müssen.

Fachleute gehen mit einer 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass dies innerhalb der nächsten 15 Jahre eintreten wird.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Hat der Staat überhaupt eine Chance aus der Schuldenspirale auszusteigen, wenn man bedenkt, dass rund die Hälfte der Deutschen direkt oder indirekt vom Staat Transferleistungen erhalten?

Christoph Braunschweig: Charakteristisch für das Prinzip des Wohlfahrtsstaates ist es, dass die ständig anwachsende Zahl von Transferempfängern es in der Hand hat, sich auf Kosten anderer Gruppen (Leistungseliten) zu bereichern.

De facto gibt es für den überzogenen und überschuldeten Wohlfahrtsstaat keine realistische Chance mehr, aus eigener Kraft und Einsicht aus der Schuldenspirale auszusteigen.

Hat sich das Krebsgeschwür der Verschuldung erst einmal tief genug in die Volkswirtschaft hineingefressen, haben die Drogen Subventionen und Sozialgeschenke zur Anhängigkeit geführt, ist es zu spät zu einer Rückkehr.

Es ist der Fluch der bösen Tat, der dem Wohlfahrtsstaat innewohnt: Zuerst auf Schulden Wahlgeschenke verteilen, dann pleite gehen und zuletzt die eigenen Bürger und dann möglichst auch noch die der „solidarischen“ Partnerländer für das Versagen der politischen Klasse zur Kasse bitten.

Im Gestrüpp der wuchernden Sozialstaats-Bürokratie blüht Misswirtschaft, greifen Zerfall und Korruption um sich. Am Leviathan der sozialstaatlichen Verwaltungsbürokratie verschleißt sich die Gestaltungskraft der politischen Intelligenz. Dem vagen Ziel der Gerechtigkeits-Optimierung folgend, ist der Staat immer weniger in der Lage, seiner eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden.

Es bleibt abzuwarten, wie die politischen Parteien, die bisher Zuteilungs-Parteien waren, mit der Rolle als Zumutungs-Parteien zurechtkommen. Zur Zeit ist der Leidensdruck der Krisis in Deutschland offenbar noch nicht hoch genug, um die allgemeine Lethargie in eine Mobilisierung des nachdenkenden Teils Deutschlands zu überführen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn der Staat es nicht tut, was passiert dann im „worst case“?

Christoph Braunschweig: Die Abstiegs-Ängste in den hoch verschuldeten westlichen Wohlfahrtsstaaten stehen im krassen Widerspruch zum dynamischen Optimismus der wirtschaftlich prosperierenden asiatischen Länder. Das gesamte westliche Demokratiemodell steht auf der Kippe, wen man die Dinge tatsächlich bis zum unvermeidlichen Crash weiterlaufen lässt. Der dann eintretende Crash könnte das Einfallstor für politische Rattenfänger sein. Was eine politische Radikalisierung mit sich bringen kann, zeigt insbesondere die jüngere deutsche Geschichte auf das Eindringlichste.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann die gemeinsame Schulden-Haftung über den ESM genau die Dynamik entwickeln, die Deutschland in den Crash treibt?

Christoph Braunschweig: Diesbezüglich ist zwischen einer wirtschaftlichen und einer politischen Komponente zu unterscheiden. Der ESM ermöglichst im Endeffekt den unbegrenzten Zugriff auf die nationalen Haushalte durch demokratisch nicht kontrollierbare, rechtlich immune und von den Bürgern nicht überprüfbare EU-Funktionärs-Einrichtungen.

Der letzte verbliebene Bereich nationaler Souveränität, das Haushaltsrecht und im Ergebnis auch die Verfassung werden damit ausgehebelt. Die ESM-Mittel werden aber vermutlich gar nicht zur Gänze gebraucht. Die elektronische Notenpresse der EZB füllt die Finanzierungslücken geräuschlos. Die Behauptung des EZB-Rates, dass das geschaffene Geld ja neutralisiert werde, verfängt nicht.

Wenn Nichtbanken wie Versicherungen, Pensionskassen und Private beginnen, ihre Anleihen zu verkaufen, muss die EZB das neu geschaffene Geld direkt auf die Konten der Verkäufer überweisen. Das erhöht den umlaufenden Zahlungsmittelbestand. Dabei ist zu beachten, dass die Euroraum-Banken lediglich Staatsanleihen in Höhe von knapp 1600 Milliarden Euro halten.

Der Großteil der ausstehenden Staatsschulden in Höhe von etwa 7000 Milliarden Euro dürfte vor allem bei Nichtbanken im In- und Ausland liegen. Die fatale Logik des ungedeckten Papiergeldes wird also zu einer weiteren Ausweitung der Geldmenge führen.

Die Zentralbanken wollen die Zahlungs- und Konjunktur-Probleme mit der Ausgabe von immer neuem Geld lösen. Letztlich wird die vermeintliche Problemlösung dann selber zum zentralen Problem: der offen zutage tretenden Geldentwertung. Spätestens dann wird die Haltung der Bürger gegenüber den „Rettungsinstrumenten“ drastisch umschlagen.

Die politische Komponente ist darin zu sehen, dass die Bürger erst dann die wahre Bedeutung und das tatsächliche Risiko der Haftungsgarantien für sich realisieren, wenn die Haftung zieht – und das wird sie auf jeden Fall. Dann werden die bisher eher abstrakt wirkenden „Rettungs-Instrumente“ zu Brand-Beschleunigern, sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht.

Christoph Braunschweig ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Staatlichen Wirtschaftsuniversität Jekaterinenburg. Er hat selbst noch bei Friedrich Hayek studiert und ist einer der profiliertesten Vertreter der sogenannten Österreichischen Schule. Sein neues Buch, dem dieser Auszug entstammt, heißt: „Wohlfahrtsstaat – leb wohl! Der wirtschaftliche und moralische Zerfall des Wohlfahrtsstaates“, und ist im LIT Verlag erschienen. 311 Seiten, 29,90 Euro.


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