Politik

Behörde gegen Merkel: Kanzlerin braucht Lizenz für „Staatsfernsehen“ im Internet

Angela Merkel macht sich ihr eigenes Staatsfernsehen. Mit Hilfe des gemeinnützigen Dialog-Vereins Google e.V. wird Merkel eine neue Sendung in die Welt verströmen. Die Medienanstalt Berlin Brandenburg kritisiert die Kanzlerin dafür heftig: Solche Auftritte sind ungesetzlich, Merkel bräuchte eine Sendelizenz.
05.04.2013 17:18
Lesezeit: 3 min

Am 19. April ab 17 Uhr will Bundeskanzlerin Merkel in einem so genannten Google-Hangout mit Bürgern über das Thema Integration „diskutieren“, heißt es in einer Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Die Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb) ist empört: Das sei Staatsfernsehen, wie es sich Konrad Adenauer in seiner besten Zeit nur hätte erträumen können.

Rundfunk- und Sendelizenz notwendig?

Höflich, wie die Medienwächter nun einmal traditionellerweise sind, kleidet die mabb ihre Bedenken in einer Mitteilung in Fragen und nicht als offene Kritik:

Berlin, 4. April 2013. Die Bundeskanzlerin hat angekündigt am 19. April einen Live-Chat zum Thema Integration zu veranstalten. Diese Ankündigung wirft rundfunkrechtlich und medienpolitisch zwei Fragen auf:

Erstens: Braucht man für einen solchen Live-Chat eine Rundfunklizenz, weil eine unbestimmte Vielzahl von Bürgern gleichzeitig erreicht werden kann, der Inhalt eine publizistische Relevanz hat, und dem Angebot eine Sendeplanung zu Grunde liegt?

Zweitens: Wäre eine solche Sendelizenz mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks vereinbar, wie er vom Bundesverfas-sungsgericht in seinem ersten Fernseherurteil zum Projekt des Adenauerfernsehens entwickelt worden ist?

Diese Fragen treten keinesfalls zum ersten Mal auf. So sendet das Fernsehen des Deutschen Bundestages zwar nicht mehr überregional über Satellit. Auf der Website des Deutschen Bundestags gibt es aber durchaus journalistisch gestaltete Inhalte, die dem Nutzer auf Abruf bereitstehen. Außerdem werden online Live-Sendungen angekündigt und angeboten, wie die Übertragung der Lesung der Rede von Otto Wels zum Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes durch Ulrich Matthes.

Auch die Sitzungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ sind regelmäßig nach einem transparenten Zeitplan im Internet übertragen worden und haben damit interessierten Bürgern Gelegenheit gegeben, sich an der Arbeit zu beteiligen.

Ähnliche Zielsetzungen verfolgen die Live Übertragungen der Berliner Fraktionssitzungen der Piraten.

Alle Fälle machen deutlich, dass es um einen völlig anderen Sachverhalt geht als die Planung des Adenauerfernsehens für ein zweites deutsches Fernsehprogramm. Es geht um die Öffentlichkeitsarbeit von Verfassungsorganen im Zeitalter des Internets.

Die Medienanstalten sind dennoch gehalten, das geltende Recht anzuwenden, und sie stimmen sich bei der Bewertung konkreter Fälle ab. Eine abschließende Aussage der mabb zu dem geplanten Vorhaben der Bundeskanzlerin kann es deshalb derzeit nicht geben.

„Die genannten Fälle sollten ein Anstoß für eine aktuelle medien- und netzpolitische Diskussion zu Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im Zeitalter des Internets sein. Sie sind ein Beispiel für die Notwendigkeit, die Rundfunkordnung zu einer Medienordnung weiterzuentwickeln, die überholte Unterscheidungen überwindet“, erklärt der Direktor der mabb, Dr. Hans Hege.

Die Bestimmung der Grenzen staatlicher Betätigung darf sich angesichts der Konvergenz der Medien und der wirtschaftlichen Veränderungen durch das Internet nicht auf den Rundfunk beschränken.

 Mehr als nur Staatsfernsehen

Die mabb erweist sich mit der Mitteilung als zahloser Tiger: Es ist zwar niedlich, dass sie anmerkt, dass sie hier Anhaltspunkte für einen Rechtsbruch sieht. Aber anstatt die Bundeskanzlerin aufzufordern, sich an die Gesetze zu halten, schlägt die Behörde vor, die Gesetze doch einfach zu ändern - weil sie nicht mehr zeitgemäss sind. Diese Haltung kennen wir von den Bank-Guthaben: Weil in Zeiten von Banken-Crashs die Integretät des Eigentums nicht mehr zeitgemäss ist, wird enteignet.

Warum Merkel im unendlichen Kosmos des 8-Milliarden-Euro schweren Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks keine Nische findet, um eine zeitgemässe Öffentlichkeitsarbeit als Verfassungsorgan zu praktizieren, ist unklar. Es zeigt aber, dass die Regierenden gewillt sind, alle Kanäle mit der ihr genehmen Propaganda zu berieseln. Kritische Journalistenfragen sind dank Google und Youtube nun wirklich kein Thema mehr.

Merkel, Google und die PR

Die PR-Nummer für Google sieht im übrigen auch keinen Dialog mit den Bürgern vor. Bis 15. April sollen die Bürger ihre Fragen zur Integrationspolitik auf der Seite der Bundesregierung einstellen. „Der Moderator der Diskussion wird einige dieser Fragen im Gespräch mit der Bundeskanzlerin aufgreifen“, heißt es in der Pressemitteilung.

Eine direkte Interaktion zwischen den Zuschauern und der Bundeskanzlerin wird es also nicht geben. Man kann lediglich Merkels Beantwortung live über Google-Hangout sehen. Es handelt sich dabei um die Hinzunahme eines weiteren „Streaming-Kanals“ für die Botschaft der Kanzlerin. Schließlich wird das Ganze nämlich auch auf der Regierungsseite und auf dem Youtube-Kanal der Bundesregierung live gezeigt. Auch YouTube gehört zu Google und wird von Merkel gerne verwendet.

Es ist bemerkenswert, dass sich die Bundeskanzlerin ausgerechnet jetzt vor den Google-Karren spannen läßt: Erst neulich ist auf EU-Ebene eine Initiative der PR-Agentur Burson Marsteller bekannt geworden, mit der die großen US-Internetgiganten sich um eine genehme Gesetz-Gebung in Brüssel kümmern (hier).

Angesichts der Vorwürfe der Käuflichkeit von EU-Abgeordneten hätte man sich etwas mehr Distanz von Merkel zu einem Internet-Anbieter erwarten können.

Was Merkel vielleicht entgangen ist: Anders als in der DDR gibt es in der Marktwirtschaft gelegentlich mehrere Anbieter für Services. Auch wenn Google SEEHHR groß ist, bedeutet das noch nicht die völlige Alternativlosigkeit. Aber vielleicht möchte Merkel mit diesem Auftritt ja dazu beitragen, dass sich die Bundesrepublik in ihrem Sinne weiterentwickelt.

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