Ungarn ist für die EU zu einem wichtigen Experiment geworden: Wie weit kann Brüssel gehen, um politische Veränderungen in einem Mitglieds-Staat zu erzwingen?
Seit Monaten wird dem Premier Orban vorgeworfen, mit seinen Gesetzeserlässen die Demokratie in seinem Land und somit auch in der EU zu gefährden.
In der Tat fährt Orban einen völlig abgehobenen Kurs, der sich weder um die wirklichen Probleme seines Landes und erst recht nicht um die Befindlichkeiten der Zentrale in Brüssel schert. Jüngst ist Orban mit dem Vergleich Merkels mit Hitler aufgefallen (hier).
Ausweitung der Macht der EU
Aus diesem Grund soll die EU mit neuen Instrumenten ausgestattet werden, um die Werte der EU in den Mitgliedsländern zu verteidigen.
Wie das belgische Magazin Knack berichtet, machen sich derzeit vor allem Länder wie Deutschland, die Niederlande und Belgien dafür stark. Ein neues Instrument wurde bereits geschaffen. Das so genannte Justizbarometer. Dieses Instrument erfasst verschiedene Rahmenbedingungen in den einzelnen Justizsystemen der Mitgliedsstaaten. Hierbei geht es zum Beispiel um die durchschnittliche Dauer für Justizreformen und die Beobachtung und Bewertung von Verfahrensabwicklungen. Geprüft wird aber auch, „inwieweit eine Justiz als unabhängig wahrgenommen wird“, so die EU-Kommission. Im Mai will die Kommission aufgrund dieses Barometers erstmals „länderspezifische Empfehlungen abgeben“. Diese müssen dann von den Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat im Juni bestätigt werden. Noch entscheidet das jeweilige Land aber selbst, ob es die Haushaltspolitik und Gesetzgebung danach ausrichtet.
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, erklärt den Nutzen des Barometers:
Das Barometer ist ein Instrument (…), um wirksame, unabhängige und qualitativ hochwertige Systeme Gerechtigkeit in Europa zu fördern. Durch die Verbesserung des Justizsystems tragen wir zur Wiederherstellung des Wachstums in Europa und zur Stärkung der strukturellen Voraussetzungen, die für ein nachhaltiges Wachstum erforderlich sind, bei.
Neben dem Justizbarometer sollen die Kompetenzen der EU durch einen weiteren Schritt ausgeweitet werden. Dabei geht es um die Defizite der einzelnen Mitgliedstaaten und die Eingriffsmöglichkeiten der Kommission. Die Kommission will in Zukunft frühzeitig Maßnahmen einfordern können, wenn ein Staat ein zu hohes Defizit aufweist. Als „letzten Ausweg sollte die Aussetzung von EU-Geldern möglich sein“, so Reding.
Weitere Instrumente geplant
Diese zwei zusätzlichen Instrumente sind jedoch nicht die einzigen, die die Macht der Kommission stärken sollen. Es sind lediglich erste konkrete Beispiele. Reding betonte am Montag, wie wichtig weitere Druckmittel seien:
Was uns fehlt ist eine besser entwickelte Sammlung an Instrumenten, um die Lücken zwischen der ‚soft power‘ politischer Überzeugung, der Rolle der Kommission als Hüterin der Verträge und der ‚nuklearen Option‘ (…) zu schließen.
Bei der nuklearen Option handelt es sich um den Artikel 7 im EU-Vertrag: Die Suspensionsklausel:
Sie besagt, dass bestimmte Rechte eines Mitgliedstaats (u. a. sein Stimmrecht im Rat) ausgesetzt werden können, falls dieser die Grundsätze, auf denen die Union beruht (Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit), schwerwiegend und anhaltend verletzt. Die Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaats sind für diesen jedoch weiterhin verbindlich.
Da jedoch die Umsetzung des Artikel 7 „nuklear ist, haben sie Angst, diesen zu nutzen”, sagte Pieter Cleppe den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Aus diesem Grund werde die Kommission nach weiteren Eingriffsmöglichkeiten zur Wahrung der Demokratie suchen.
Wer wacht über die Wächter?
Diese Forderung nach neuen Instrumenten ist jedoch äußerst kritisch zu bewerten, so Cleppe: „Wer wacht eigentlich über die Wächter selbst? Was tun wir, wenn die EU selbst die Demokratie aufgibt“. Das Hauptdefizit der EU ist der Mangel an demokratischer Legitimation in der EU selbst. Die wichtigsten Funktionen werden durch einen Kuhhandel zwischen den Mitgliedsländern besetzt. Die Mitgliedsländer selbst haben dagegen zumindest formal demokratische Prozesse für die Bestellung ihrer Amtsträger.
„Die Kommission hat niemand gewählt. Und dennoch hat sie ein Monopol für die Gesetz-Gebung“, so Cleppe. „Die Kommission ist jetzt schon sehr mächtig: Zwei Drittel aller Regulierungen werden von ihr bestimmt. Sie greift in das Leben von 500 Millionen EU-Bürgern ein“, sagt Cleppe. „Allenfalls sollten Nachbarländer intervenieren können, wenn ein Mitgliedsstaat die Demokratie abschafft“. Die Verantwortung dürfe aber nicht „bei der supranationalen Institution EU liegen, die nur unzureichend zur Rechenschaft gezogen werden kann.“