Finanzen

Fukushima: Olympia-Veranstalter ignorieren Warnungen, halten an Tokio fest

Bürgerrechtler haben an den Austragungsorten für die Olympischen Spiele in Tokio deutlich erhöhte Werte von Radioaktivität gemessen. Sie schickten die Berichte an das IOC und alle nationalen olympischen Komitees. Sie erhielten kein Antwort. Auch heute sieht der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) keinen Grund, sich Sorgen zu machen: „Die Spiele wurden vergeben, that's it.“
13.10.2013 18:34
Lesezeit: 5 min

Die internationale olympische Unterhaltungs-Industrie besteht auf der Durchführung der Olympischen Spiele in Japan.

Daran soll auch die immer unübersichtlich werdende Lage im außer Kontrolle geratenen, zerstörten Kernkraftwerk von Fukushima nichts ändern.

Das Internationale Olympische Komitee und die nationalen Komitees gehen davon aus, dass alles gut wird und keinerlei Gefährdung der Sicherheit für die Athleten und die Fans vorliegt.

Es ist denkbar, dass die erstaunliche Gleichgültigkeit gegenüber einer der größten und unzweifelhaft unberechenbarsten Umwelt-Katastrophen der Neuzeit darin begründet ist, dass die Olympia-Industrie gewarnt wurde.

Doch sie hat die Warnungen, die Spiele nach Tokio zu vergeben, in den Wind geschlagen.

In Japan gibt es zwei Formen der Messung: Die offizielle durch die japanische Regierung und jene, die von Bürgern durchgeführt wird – weil sie den Zahlen der Regierung nicht trauen.

Diese Bürgerrechts-Gruppe um den 70jährigen Takehiko Tsukushi ist seit der Katastrophe von Fukushima rund um die Uhr unterwegs, um der Wahrheit über die tatsächlichen Gefahren von Fukushima auf die Spur zu kommen.

Die Bürgerrechtsgruppe stellte nach zweiwöchigen Untersuchungen im April und Mai dieses Jahres deutlich erhöhte Radioaktivität an zahlreichen olympischen Sportstätten in Tokio fest. An einigen Stellen wurden sogar die ohnehin eher hohen Grenzwerte überschritten, die von der Verwaltung des Großraumes Tokios selbst festgelegt wurden. Die Spiele wurden am 7. September 2013 an Tokio vergeben.

Die stärkste Belastung wurde demnach vor dem Yumenoshima-Stadion gemessen. Im Stadion inklusive der zwölf angrenzenden Baseball-Felder sollen nach Umbauten die Reitwettbewerbe ausgetragen werden. Der gemessene Wert betrug dort 0,484 Mikrosievert pro Stunde in einem Abstand von fünf Zentimetern über dem Boden, berichtet Asahi Shimbun.

Vergleichsweise hohe Werte wurden auch auf dem Gelände der Sporthalle Tokio (Tischtennis) und der Sporthalle Yoyogi (Handball) gemessen. Allerdings konnten nicht alle 37 Sportstätten aufgesucht werden – zum Teil wegen Bauarbeiten, zum Teil, weil diese Stätten zu weit weg von Tokio liegen.

Nachdem die Verwaltung in Tokio keinerlei Reaktion auf den Bericht an den Tag legte, schickte die Bürgerrechtsinitiative ihre Erkenntnisse im Juni an das Internationale Olympische Komitee (IOC), den Präsidenten dieser erlauchten Gruppe, Jacques Rogge, sowie an 200 nationale olympische Verbände.

Das Echo war niederschmetternd. Asahi Shimbun berichtet: „Die Gruppe hat von keiner einzigen Organisation jemals eine Antwort bekommen.

Takehiko Tsukushi sagte der Zeitung: „Weder die japanische Regierung noch die Stadtverwaltung von Tokio hat die Athleten oder die Zuseher rund um die Welt darüber informiert, dass es besorgniserregende Daten über eine mögliche Verstrahlung an den Sportstätten gibt. Wenn das wirklich so ist, fühlte ich, dass es unsere moralische Verantwortung als Bürger ist, die Messungen durchzuführen und die Leute zu informieren – gleichgültig, ob sie für oder gegen die Spiele in Tokio sind.“

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) begründete sein Verhalten auf Nachfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten so: „Die Spiele wurden vergeben, that's it.“ Man erhalte immer im Vorfeld von Olympischen Spielen Informationen von Bürgerrechts-Gruppen, die gegen die Austragung in ihrer Heimat sind. Dem könne man nicht nachgehen – weil es eben immer Proteste gibt. Im übrigen sei der DOSB nicht zuständig: „Sollte sich am Austragungsort etwas ereignen, das Einfluss auf die Spiele haben könnte, ist das Internationale Olympische Komitee zuständig und nicht die Nationalen Olympischen Komitees.“

Die verschlossenen Augen des DOSB in Sachen Atomkraft sind erstaunlich: Generalsekretär des Verbandes ist Michael Vesper, Grünen-Politiker der ersten Stunde. Als Bauminister von Nordrhein-Westfalen sagte Vesper 2009 im Deutschlandfunk: „Denn wenn der Pfad erst mal als Sackgasse sichtbar wird, dann kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie lang diese Sackgasse noch ist. Dann wird jeder versuchen, frühzeitig rauszukommen und mit anderen Energieerzeugungsmethoden Geld zu machen.“

Das war 1999.

Anfang September wurde Thomas Bach, der Präsident des DOSB, zum Nachfolger von Jacques Rolle als Präsident des IOC gewählt. Er sei sich der Verantwortung des Amtes bewusst, es mache ihn demütig, sagte Bach nach seiner Wahl.

Bach hat nun die Möglichkeit, beim IOC etwas zu ändern - zum Beispiel die traditionelle Widerstands-Fähigkeit gegen kritische Einwände, die in der Vergangenheit meist als Majestäts-Beleidigungen abgetan wurden.

Das IOC pflegt sich erfahrungsgemäß nicht sehr intensiv mit Kritikern an den Austragungsorten von Spielen auseinanderzusetzen. Kritik wird als Querulantentum abgetan oder als Verrat am globalen Vaterland diskreditiert, dessen Außengrenzen und Spielregeln die Herren der Spiele definieren.

Die Kritiker sind meist lokale Umweltschützer. Eher selten melden sich im Vorfeld Wirtschafts-Fachleute, was den Organisatoren in die Hände spielt. Denn meist bleibt von den Spielen für die Staaten, die sie ausgerichtet haben, nichts Zählbares. Die Olympischen Spiele in Athen waren für Griechenland wirtschaftlich ein Desaster. Der globale Wander-Zirkus hinterließ dem Krisen-Land nichts als Schulden (hier).

Für die internationalen Veranstalter von Olympischen Spielen zählt jedoch vor allem der wirtschaftliche Erfolg für die Mitglieder im großen Club: Es soll ein Festival für die Sponsoren werden, eine prächtige Schau zur Ehre der Funktionäre, ein Welt-Spektakel, bei dem die Profite möglichst im geschlossenen Kreis der olympischen Profiteure bleiben: Ausrüster, die Funktionäre, Sponsoren, lokale Sport-Oligarchen. Nachhaltige Spiele sind unbekannt.

Daher können sich die Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees mit der Frage, ob man in Japan nach Fukushima überhaupt Spiele abhalten kann, nicht ernsthaft beschäftigen: Sie würden das Big Business beschädigen, von dem sie alle leben.

Das IOC sagt auf Nachfrage den Deutschen Wirtschafts Nachrichten, ob man denn nicht Bedenken habe, die Spiele angesichts der äußert unsicheren Entwicklung in Fukushima und der erhöhten Werte in Tokio in Japan abzuhalten: „Das IOC hat von den japanischen Behörden die Zusicherung erhalten, dass Tokio und die Umgebung sicher sind. Wir haben keinen Grund zu glauben, dass sich das in den nächsten sieben Jahren ändern wird.“

Eine Dekontamination, also die Abtragung einer Erdschicht, ist erforderlich ab einem Wert von 0,23 Mikrosievert, so habe es die Verwaltung von Tokio selbst festgelegt. Nach eigenen Angaben habe man im Juni 2011 Messungen durchgeführt und die Luftbelastung an 100 Stellen getestet, aber keine auffälligen Gebiete ausgemacht.

Somit gebe es für die Verwaltung auch keinen Grund zu handeln.

„Wir haben keinen Grund zu glauben, dass sich das in den nächsten sieben Jahren ändern wird.“

Andere Verwaltungen, wie die Präfektur von Saitama im Großraum Tokio, erklärten wiederum ausdrücklich, man werde eigene Messungen durchführen, um dem Bericht über erhöhte Strahlungswerte nachzugehen.

Obwohl das IOC und alle nationalen Verbände die beunruhigenden Berichte der Messungen durch die Bürgerrechtler ignoriert hatten, konnten sie wegen der internationalen Medien-Berichte über Fukushima das Thema vor der Vergabe der Olympischen Sommerspiele an Japan nicht ganz unter den Tisch kehren.

Japans Ministerpräsident Shinzo Abe versprach schließlich in seiner 45-minütigen Rede, dass „die Lage in Fukushima unter Kontrolle“ sei. Und „es hat und wird niemals eine Gefahr für Tokio bestehen“.

Im Anschluss an die Präsentation fragte Gerhard Heilberg, IOC-Mitglied aus Norwegen, nach weiterführenden technischen Argumenten. Daraufhin verbürgte sich Abe nochmals persönlich für die Sicherheit in Tokio, es gebe „kein Problem und es wird in Zukunft auch keines geben“.

Der Blogger Jens Weinreich dazu im Spiegel: „In der Geschichte der Wahrheitsverdrehungen und Versprechen bei Olympiabewerbungen werden die Aussagen von Shinzo Abe am Samstag vor der 125. IOC-Vollversammlung wohl einen Spitzenplatz einnehmen.“

Der Kinderarzt Alex Rosen sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten zu dieser Garantie: „Das würde ja bedeuten, dass der japanische Premier der Welt persönlich garantieren kann, dass es in Japan in den kommenden Jahren kein Erdbeben, keine Stürme und keine Flutwellen mehr geben wird.“

Wie sich die Lage in Fukushima wirklich entwickelt, ist leicht anhand der Berichte aus der Region und den Urteilen von unabhängigen Fachleuten zu eruieren (mehr dazu hier).

Der japanische Premier Abe, der noch wenige Wochen zuvor die Sicherheit der Spiele garantiert hatte, hat die Weltgemeinschaft zu Hilfe gerufen – weil Japan allein mit den Folgen von Fukushima nicht fertig wird (hier).

Der Schaden, den die Katastrophe jetzt schon angerichtet hat, wird mit etwa 500 Milliarden Dollar beziffert – vorausgesetzt, dass ab jetzt nichts mehr passiert.

Eine ansatzweise verlässliche Eindämmung der Katastrophe würde hunderte Millionen, wenn nicht Milliarden kosten, sagte der Physiker Sebastian Pflugbei den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

Die Kandidatur Tokios für die Olympischen Spiele stützt sich auf einen fest angelegten „Reserve-Fonds“ von 4,5 Milliarden Dollar, berichtete die FAZ.

Wer setzt in der zur Globalisierung verdammten Menschheit eigentlich die Prioritäten?

The games must go on.

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