Beim jüngsten EU-Gipfel vor Weihnachten scheint Untergangsstimmung geherrscht zu haben. Die Südländer weigern sich seit Jahren, einer technokratischen Idee Angela Merkels zuzustimmen: Sie sollen sich vertraglich zu Reformen im Geist der Troika aus IWF, EZB und EU zu verpflichten, um an bestimmte EU-Strukturfördergelder zu kommen (mehr hier). Der IWF, dessen aktuelle Chefin Christine Lagarde gerne an der Spitze der EU-Kommission sähe (hier) verfolgt eine ähnliche Linie (hier).
Doch die Südeuropäer wollen die geforderte Aufgabe der nationalen Souveränität nicht hinnehmen (hier).
Nun hat Le Monde die Diskussionen anhand von Notizen rekonstruiert. Diese Notizen lesen sich wie der Abgesang eines morschen, zum Scheitern verurteilten Systems.
Es zeigt sich ein gewaltiger Riss, der durch die Euro-Zone geht. Und er verläuft überraschender Weise nicht zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden, wie man das bisher gewohnt war.
Derr Riss verläuft fundamental zwischen Deutschland und dem Rest Europas.
So beklagte der Niederländer Mark Rutte, dass sein Land schmerzhafte Reformen ohne die Solidarität der anderen durchführen musste – und nun sollten die Niederländer für jene zahlen, die keine Reformen machen.
Der Österreicher Werner Faymann sagte, dass Österreich seine Souveränität nicht zugunsten der EU aufgeben werde. Alle Verträge müssten durch die Parlamente, Österreich lehne „Diktate“ ab - und nichts anderes seien die von Merkel vorgeschlagenen Verträge mit der EU.
Der Finne Jyrki Katainen sprach davon dass die Rettungspläne den Populismus gestärkt hätten und sprach von der „Krebserkrankung“ der EU.
Francois Hollande hielt sich bedeckt und riet den versammelten EU-Führern, auf Zeit zu spielen: Man solle sich jetzt auf allgemeine Prinzipien einigen und die wirklich harten Themen erst nach der EU-Wahl im Frühjahr 2014 behandeln. Hollande sitzen die Euro-Skeptiker von Marine Le Pen im Nacken (hier).
Der Belgier Elio di Rupo schloss sich Hollande an und plädierte auf eine Verschiebung der Reformen auf nach der EU-Wahl.
Der Spanier Mariano Rajoy forderte, dass Verträge nur freiwillig geschlossen werden könnten, weil alles andere die Souveränität der Staaten gefährde.
EZB-Chef Mario Draghi konterte: „Wenn Sie keine Reformen machen, werden Sie Ihre Souveränität verlieren.“
Die berufsmäßigen Euro-Retter erwiesen sich als lahme Enten: José Manuel Barroso sagte, er werde nicht mehr im Amt sein, wenn die Änderungen beschlossen sind. Herman Van Rumpoy, der ebenfalls im kommenden Jahr ausscheidet, sagte, er wolle kein Chaos hinterlassen.
Diese Debatten führten dazu, dass Angela Merkel in ungewohnt drastischer Weise den Untergang der Euro-Zone beschwor: Sie komme aus einem Land, das von der Bundesrepublik Deutschland gerettet werden musste. Für die Europäer werde niemand aufstehen, um sie zu retten. Merkel nannte die Griechenland-Rettung als Beweis dafür, dass die EU sehr wohl Krise bewältigen könne, und forderte Taten: „Wenn wir uns alle so verhalten wie das im Kommunismus der Fall war, dann sind wir verloren. Ohne verstärkte Integration wird unsere Währung früher oder später explodieren.“
Merkel sagte, dass sie bei der Lektüre des Buchs „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark über den Vorabend des Ersten Weltkriegs ähnliche Phänomene erkannte hätte wie heute in der EU. Alle Bemühungen einer zu einer politischen Lösung seien gescheitert – und das habe zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs geführt. „Das Leben ist ungerecht“, sagte Merkel. Es sei besser, jetzt 3 Milliarden Euro zu bezahlen als die EU in einigen Jahren mit 10 Milliarden Euro retten zu müssen.
Derart fatalistische Worte einer Regierungschefin sind mehr als Frustration über einen abgelehnten Vorschlag.
Die Analyse Merkels lautet: Der Euro wird „explodieren“, wenn die Euro-Zone nicht zu einer radikalen Integration übergeht. Die Lage ist ähnlich gefährlich wie vor hundert Jahren – als es danach zu einem Weltkrieg kam.
Die EU-Führer einigten sich auf eine Verschiebung weiterer Reformen auf den Herbst 2014.
In dem Zustand, in dem sich die EU zu Ende des Jahres 2013 präsentiert, sind Zweifel abgebracht, ob die Euro-Zone diese Reformen überhaupt noch erleben wird.
Die Kombination aus einer Währungsunion, die nicht funktioniert, und einer gigantischen Schulden-Krise, kann die Euro-Zone nicht ohne großen Knall überstehen.
Der Knall wird allerdings in jedem Fall kommen. Denn die Schulden verschwinden nicht. Sie bleiben und werden beglichen werden müssen.
Mit oder ohne Euro.
Wir erleben den Anfang vom Ende einer Ideologie.
In einem Punkt irrt Merkel allerdings: Die Verschleppung einer Entscheidung wird den Crash nicht billiger machen.
Mit jeder Milliarde mehr, die in das marode System gepumpt wird, wird die „Rettung“ vor allem für den deutschen Steuerzahler wegen der Zinsen und Zinseszinsen auf die neuen, faulen Kredite exponentiell teurer.
Das mag die Banken freuen.
Ihren Amtseid hat die Kanzlerin jedoch erst vor wenigen Tagen auf das deutsche Volk geschworen.
Mag sein, dass für eine Kanzlerin ein solcher Eid beim dritten Mal eine reine Floskel ist.
Doch in einer veritablen Krise, wie sie sich durch den Schulden-Tsunami ankündigt, wird jedes Wort einer Kanzlerin auf die Goldwaage gelegt.
Auch der Amtseid.
So wahr ihr Gott helfe.