Für EZB-Präsident Mario Draghi ist die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Währungsunion weitgehend gebannt. Die Krise sei noch nicht überwunden, aber es gebe viele ermutigende Zeichen, sagte Draghi in einem Interview mit dem Spiegel.
Draghis Euphorie ist auffällig. Sie ist um eine Spur zu laut geraten: Wenn nämlich alles so gut ist, warum muss Draghi dann überhaupt noch vom Euro-Crash reden?
In der Europäischen Zentralbank gibt es offenbar einen knallharten Richtungsstreit, bei dem die Protagonisten nun zur offenen Wortschlacht übergegangen sind. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sagte der Bild nämlich das genaue Gegenteil: Der Euro sei in der „Reha“. Dort brauche es Ausdauer und einen starken Willen, andernfalls bestehe Rückfallgefahr. Die Ruhe an den Finanzmärkten könne sich als „trügerische Sicherheit“ erweisen. Weidmann: „Die Krise kann wieder auflodern. Jeder muss sich seiner Verantwortung für eine stabile Basis im eigenen Land und im gesamten Euro-Raum bewusst sein.“
Draghi zeigt sich dagegen ausgesprochen zufrieden mit der Lage in der Euro-Zone. Die Wirtschaft erhole sich in vielen Ländern, die Ungleichgewichte im europäischen Handel nähmen ab und die Haushaltsdefizite sänken, sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank: „Das ist mehr, als vor einem Jahr zu erwarten war.“ Der erfolgversprechende Weg sei, die laufenden Staatsausgaben zurückzufahren und Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt einzuleiten. In Griechenland und Frankreich müsse dies noch geschehen.
Wie immer bei Draghi ist das maximal die halbe Wahrheit: Die Arbeitslosigkeit ist in Europa im Verlauf des Jahres weiter gestiegen und hat in einigen Ländern historische Höchsstände erreicht. Alle Euro-Staaten sind heute stärker verschuldet als vor einem Jahr.
Draghi führte die seiner Meinung nach gute Lage auf seinen umstrittenen Kurs zurück, die Banken mit zusätzlicher Liquidität auszustatten, der vor allem in Deutschland auf Widerstand gestoßen war: „Jedes Mal hieß es, um Gottes willen, dieser Italiener zerstört Deutschland. Es gab diese perverse Angst, dass sich die Dinge zum Schlechten entwickeln.“ Passiert sei aber das Gegenteil. „Die Inflation ist niedrig, und die Unsicherheit hat sich verringert.“
Das ist Chuzpe: Die Inflation ist niedrig, weil die Banken die Gratis-Gelder der EZB nicht an die Unternehmen weiterreichen. Wie panisch die europäischen Regierungschefs immer noch sind, zeigte der jüngste EU-Gipfel, bei dem Angela Merkel vor dem Untergang von Euro-Land warnte und die Lage sogar mit dem Endstadium der UdSSR und der DDR verglich (mehr dazu hier).
Den Vorwurf, die Niedrigzins-Politik gehe zu Lasten der europäischen Sparer, beantwortet Draghi mit einem überraschenden Geständnis: Dass die Rendite entsprechender Anlagen teilweise nicht einmal die Inflation ausgleiche, sei nicht die Schuld der EZB. „Insbesondere in den vergangenen Jahren konnten wir die langfristigen Zinsen gar nicht kontrollieren, weil die Investoren wegen der Euro-Krise hochgradig verunsichert waren“, verteidigte er sich. Stattdessen würden die langfristigen Kapitalrenditen auf den globalen Finanzmärkten bestimmt.
Das ist eine Schutzbehauptung: Die Zinsen für die Eurozone bestimmen Signore Draghi und die Süd-Fraktion in der EZB, unter aktiver Duldung der machtlosen Deutschen.
Doch es ist klar, warum Draghi das sagt.
Denn erstmals räumt der EZB-Chef mit dieser Aussage ein, dass die Deutschen durch seine Zinspolitik einer schleichenden Enteignung unterworfen sind. Der ehemalige Goldman-Banker weiß, dass er in diesem Punkt auf sehr dünnem Eis tanzt - weil die Stimmung in den nordeuropäischen Staaten bereits am Kippen ist. Daher schiebt Draghi die Schuld auch weit von sich - und macht die anonymen „globalen Finanzmärkte“ für das Desaster verantwortlich.
Weil er um die Brisanz des Themas in Deutschland weiß, versucht Draghi sein deutsches Publikum zu beruhigen und versichert, dass „im Moment“ keine Zinserhöhung geplant sei: „Im Moment sehen wir keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.“ Derzeit könne auch von einer Deflation keine Rede sein: „Wir haben keine japanischen Verhältnisse.“
Da hat Draghi allerdings recht: Wir haben europäische Verhältnisse.
Und die sind deutlich gefährlicher als die japanischen, weil im Bond-Markt nicht die Bürger Europas die Staatsanleihen halten, sondern die Pleite-Regierungen, die, um an der Macht zu bleiben, keinen schmutzigen Trick auslassen werden.
Die nun erstmals offiziell eingeräumte Enteignung der deutschen Sparer ist nur ein erster Schritt.
Es werden weitere folgen.
Am Ende wird keine perverse Angst mehr herrschen.
Sondern die blanke Wut.