Deutschland

Koalitionsvertrag: Regeln für die Finanzmärkte

Die Große Koalition will härter gegen Nahrungsmittel-Spekulation und gegen „gemeinschädliches Handeln“ von Managern vorgehen. Investment- und Geschäftsbanking sollen getrennt werden. Die Rating-Agenturen sollen stärker reguliert werden.
27.11.2013 15:13
Lesezeit: 3 min

Die Finanzmärkte erfüllen eine wichtige Funktion für die Volkswirtschaft. Unsere Finanzmarktpolitik gibt der realwirtschaftlichen Dienstleistungsfunktion des Finanzsektors Vorrang vor spekulativen Geschäften. Indem wir der Spekulation klare Schranken setzen, Transparenz schaffen, nachhaltige Wachstumsstrategien fördern und die Krisenfestigkeit der Finanzmarktakteure stärken, verbessern wir die Funktionsfähigkeit und Stabilität der Finanzmärkte. Risiko und Haftung müssen wieder zusammengeführt werden.

Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sollen nicht mehr für die Risiken des Finanzsektors einstehen müssen. Für uns gilt deshalb der Grundsatz: Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Markt darf in Zukunft ohne angemessene Regulierung bleiben. Dies trägt auch zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der Finanzmärkte bei. Wir halten am bewährten Dreisäulensystem der deutschen Kreditinstitute fest und werden seine Besonderheiten angemessen berücksichtigen.

Die im Rahmen der europäischen Umsetzung von Basel III vereinbarten strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsstandards für Banken müssen in den vorgegebenen Zeitplänen konsequent umgesetzt werden. Dazu gehören auch eine verbindliche Schuldenobergrenze (Leverage Ratio), die den Risikogehalt der Geschäftsmodelle angemessen berücksichtigt, und eine verbindliche, mittelfristige Liquiditätskennziffer. Bei der Erfüllung der zusätzlichen Kapitalanforderungen müssen öffentliche Eigentümer beihilferechtlich anderen Eigentümern gleichgestellt werden. Entsprechende Maßnahmen zur Erfüllung der von der Aufsicht festgelegten Eigenkapitalanforderungen für öffentliche Banken dürfen nicht als Beihilfen gewertet werden.

Unter die Europäische Bankenaufsicht fallen angesichts der Grenze von 30 Mrd. Euro auch Banken, die nur auf regional begrenzten oder sehr speziellen Sektoren tätig sind. Dies gilt z. B. für die Förderbanken, eine Sparkasse und kleinere Privatbanken. Die Bundesregierung wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beauftragen, im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Europäische Bankenaufsicht in der Praxis dafür Sorge zu tragen, dass die Besonderheiten von einzelnen Banken, beispielsweise der Förderbanken, berücksichtigt werden.

Mit Blick auf einen in den nächsten Jahren möglichen Anpassungsbedarf der CRD-IV-Richtlinie wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Förderbanken des Bundes und der Länder im europäischen Kontext bankenaufsichtsrechtlich zukünftig inhaltlich so weit wie möglich gleich behandelt werden.

Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Vorschläge der europäischen Expertengruppe um Erkki Liikanen zur Einschränkung riskanter Geschäfte, zur Einführung von Beleihungsobergrenzen bei Immobilienkrediten und einer strikteren Trennung von Investment- und Geschäftsbanking auf europäischer Ebene umgesetzt werden. Die Finanzierung der Realwirtschaft durch das bewährte Universalbankensystem darf durch das Reformvorhaben nicht gefährdet werden.

Schattenbanken müssen so reguliert werden, dass für sie bei gleichem Geschäft und gleichem Risiko für die Stabilität des Finanzsystems die gleiche Regulierung gilt wie im klassischen Bankensektor. Alle Geschäftsbeziehungen zwischen Banken und Schattenbanken müssen transparent gemacht und Ansteckungsrisiken begrenzt werden.

Die Bundesregierung unterstützt die auf europäischer Ebene vorgesehene strengere Regulierung des Hochfrequenzhandels.

Ebenso tritt die Bundesregierung für eine Eindämmung der Rohstoff- und Nahrungsmittelspekulation ein und befürwortet deshalb insbesondere die Einführung von Positionslimits auf den Rohstoffmärkten.

Die europäischen Vorschriften zur Regulierung des Derivatehandels sollen zielgerichtet ergänzt werden, um den transparenten Handel auf geregelten Börsen und Handelsplätzen zu stärken und der Entstehung systemischer Risiken entgegen zu wirken.

Rating-Agenturen haben eine zentrale Machtstellung auf den Finanzmärkten und bedürfen deshalb einer strengen Regulierung. Die Bundesregierung wird sich für eine effektive Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelungen für Rating-Agenturen einsetzen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Rating-Agenturen fördern. Wir wollen die Rechtsnormen reduzieren, die eine Einschaltung der drei großen Rating- Agenturen vorschreiben. Wir wollen auch die Bedeutung externer Ratings reduzieren.

Das bisherige Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht hat noch keine hinreichende Wirkung im Finanzmarktbereich gezeigt. In Zukunft muss noch stärker gelten: Gemeinschädliches Handeln von Unternehmen und Managern muss angemessen sanktioniert werden. Wir unterstützen die Aufnahme strenger Vorschriften in den maßgeblichen europäischen Rechtsakten, welche insbesondere den Rahmen für Geldsanktionen auf ein angemessenes Niveau anheben und die Verhängung spürbarer Sanktionen gegen Unternehmen vorsehen, die gegen regulatorische Vorgaben verstoßen, und werden für deren Umsetzung ins deutsche Recht Sorge tragen.

Wir werden den Kampf gegen Finanzbetrug, Geldwäsche und Steuerhinterziehung sowie gegen die Terrorismusfinanzierung ebenso intensivieren wie die Zusammenarbeit mit allen zuständigen Aufsichts- und Ermittlungsbehörden. Maßstab bei den Maßnahmen gegen die Geldwäsche und damit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Deutschland werden dabei die internationalen Standards der Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) sein. Wir werden auch den Geldwäschetatbestand (§ 261 StGB) entsprechend anpassen.

Wir wollen Lösungsvorschläge zum Umgang mit den Folgen eines lang anhaltenden Niedrigzinsumfeldes erarbeiten und generationengerecht im Interesse der Versichertengemeinschaft geeignete Maßnahmen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit und Stabilität der Lebensversicherungen treffen.

Die nationale Finanzmarktaufsicht in ihrer bisherigen Struktur aus BaFin und Deutscher Bundesbank hat sich bewährt und ist ein unverzichtbarer Bestandteil im Konzept der neuen europäischen Aufsichtsstruktur. Die BaFin erhält die Möglichkeit, entsprechend den europäischen Regeln den Vertrieb komplexer und intransparenter Finanzprodukte zu beschränken oder zu verbieten, sofern diese die Finanzmarktstabilität gefährden oder unverhältnismäßige Risiken für Anleger bergen. Sie erhält den kollektiven Schutz der Verbraucher als wichtiges Ziel ihrer Aufsichtstätigkeit.

(Der vollständige Koalitionsvertrag findet sich hier)

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