Politik

EU: Der Zentral-Staat ist ein Paradies für Industrie-Lobbyisten

Die EU-Abgeordneten nehmen dankbar jede Hilfe an, die ihnen die etwa 20.000 Industrie-Lobbyisten in Brüssel anbieten. So schreiben sich die Gesetze fast wie von selbst. Aktuelles Beispiel: EU-Abgeordnete haben sich ganze Passagen im Bereich Datenschutz von US-Konzernen diktieren lassen.
13.02.2013 00:04
Lesezeit: 3 min

Aktuell:

Viel heiße Luft am Aschermittwoch: Von Dampfplauderern und Muttis Kinderzimmer

Nicht nur die politischen Entschlüsse entfernen sich derzeit immer weiter von den nationalen Parlamenten hin zur EU. Auch die Lobbyismus haben erkannt, dass die intensive Bearbeitung der EU-Parlamentarier der wirkungsvollste Hebel für ihre Interessen ist. Meist erreichen die Lobbyisten mit einem geschickten Schachzug die Gesetzgebung von 27 Staaten. Schätzungen zufolge agieren allein in Brüssel zwischen 15.000 und 20.000 Lobbyisten.

Die Zentralisierung macht die Abgeordneten „deutlich anfälliger für Lobbyismus“, sagt Richard Gutjahr, Journalist und Mitbegründer der neuen Internetplattform Lobbyplag.eu, den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Es gebe mittlerweile sogar entsprechende Gruppen, die von den Unternehmen und Interessensvertretungen extra auf die EU zugeschnitten wurden. Lobbyisten sind Gutjahr zufolge nicht per se schlecht, allerdings müsste hier mehr Transparenz herrschen. Je mehr Gewicht das EU-Parlament beispielsweise erhalte, umso wichtiger sei es, herauszufinden, wo die Einflussnahme tatsächlich stattfindet.

Die Plattformen, die Seiten wie GuttenPlag-Wiki und VroniPlag-Wiki in Deutschland hervorgebracht hatten, seien zwar wichtig gewesen, um die Aufmerksamkeit beispielsweise der deutschen Bürger für derartige Technologien zu schärfen. Aber diese zielten bisher lediglich darauf ab, die „Eitelkeiten verschiedener Persönlichkeiten zu hinterfragen und sie bloßzustellen“, so Gutjahr. Nun müsse man beginnen die Technologien für wichtigere Themen einzusetzen, wie beispielsweise bei der Analyse des EU-Gesetzes zur Datenschutzreform. Das ist immerhin „ein Gesetz der EU, das mindestens die nächsten zehn bis 15 Jahre in 27 Mitgliedstaaten bindend sein wird“.

Die Plattform Lobbyplag.eu beschäftigt sich derzeit mit genau diesem neuen EU-Gesetzesentwurf und letztlich auch mit dem Verhältnis zwischen EU-Abgeordneten und Lobbyisten. Sie zeigt, welche Änderungen des Gesetzes Unternehmen wie Amazon oder Ebay forderten, und vergleicht dies mit dem gesetzlichen Änderungsvertrag zur EU-Datenschutzreform. Ganze Paragraphen wanderten von den Papieren der Lobbyisten eins zu eins in den Änderungsvertrag - und das ist kein Einzelfall. Gutjahr bemängelt nicht das reine Copy-and-Paste an sich. Vielmehr kritisiert er, dass im Änderungsvertrag selbst nicht einmal angegeben ist, ob ein Teil des Textes von einem Unternehmen oder einer Interessensvertretung übernommen wurde und wenn ja, von wem. Ähnlich wie bei der ehemaligen Bildungsministerin Schavan (hier) und Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg fehlen hier jegliche Angaben über die Herkunft der übernommenen Passagen – ganz abgesehen davon, dass sie als solche nicht gekennzeichnet sind.

Doch wieso sind die Brüsseler Abgeordneten so anfällig für die Lobbyisten? Gutjahr, der mit einigen von ihnen gesprochen hat, sagt, dass die meisten einfach eine „Menge Themen bearbeiten müssen“. Oft seien sie in vielen Ausschüssen nur als Beisitzer anwesend, sie kennen sich nicht umfassend aus und haben auch kaum die Möglichkeit, sich entsprechend in die jeweilige Materie einzuarbeiten. „Sie sind hoffnungslos überfordert, zeitlich und auch sonst, wenn es darum geht, sich mit bestimmten Sachen zu befassen und sich entsprechend zu informieren“, so der Mitbegründer von Lobbyplag.eu.

„Die Lobbyisten liefern den Abgeordneten mundgerecht das, was sie benötigen“, so Gutjahr. „Die Abgeordneten selbst schauen anschließend, ob es ihrer Meinung entspricht, und übernehmen es.“ Umso fraglicher ist es, auch angesichts des riesigen Bürokratieapparates in Brüssel, dass es keine Instanz in der EU selbst gibt, die bei so wichtigen Aspekten wie der Gesetzgebung Kontrollen durchführt. „Das wundert mich.  Für jede Packungsbeilage und Doktorarbeit gibt es Programme und Kommissionen, die diese gegenlesen und doppelt und dreifach überprüfen, ob es Fremdeinflüsse gab“, sagt Gutjahr. „Und ausgerechnet bei der wichtigsten Instanz, der Gesetzgebung“, werde das unterlassen. „Wir wollen diese Kontrolle sein“, sagt Gutjahr. Ziel sei es, dass die EU-Abgeordneten in Zukunft ihre Dokumente über die Plattform laufen lassen, so dass diese ihnen am Ende dabei hilft, wenigstens in Form von Fußnoten die Quellen für etwaige nicht selbst verfasste Abschnitte in Texten anzugeben.

Doch der Weg hin zur Transparenz auch von Seiten der Lobbyisten ist noch lang. Die EU hat zwar bereits ein Register eingeführt und die Lobbyisten gebeten, sich dort entsprechend anzumelden, um für die Abgeordneten etc. erkennbar zu sein. Doch bisher haben sich von den bis zu 20.000 Lobbyisten in Brüssel seit Mitte 2011 kaum mehr als 5.500 registriert.

Auch etwaige Pläne der EU-Kommission bezüglich der Aufspaltung der Beziehung zwischen Abgeordneten und Lobbyisten zeugen kaum von Erfolg. Im September etwa kündigte die EU-Kommission den Abgeordneten an, der Dominanz großer Wirtschaftsunternehmen in den so genannen Expertengruppen entgegenzuwirken und nannte dafür sogar eine selbst auferlegte Frist. Bis 31. Januar sollte dies geschehen. Doch wie eine Untersuchung der Alter EU, einer Allianz von NGOs, Gewerkschaften, Professoren etc. zeigte, kam die Kommission dem bisher nicht nach – im Gegenteil in einigen Fällen hatte diese Dominanz sogar noch zugenommen.

Die Tragweite des Lobbyismus ist immens. Spätestens dann, wenn Geschenke oder Gelder ins Spiel kommen, wird aus Lobbyismus Korruption - eine Erfahrung, die jüngst der österreichische EU-Abgeordnete Ernst Srasser machen musste (hier).

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Corporate lobbying through expert groups from Corporate Europe Observatory on Vimeo.

Weitere Themen

Krugman: Deutsche Sparpolitik in Griechenland ist verrückt

Obama: Mindestlohn von 9 Dollar stärkt unsere Wirtschaft

Keine Bankkredite: Unternehmen beschaffen sich Geld am Anleihenmarkt

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Feuer, Flamme und viel kaltes Wasser: Preussischer Whisky aus der Uckermark
21.02.2025

In der Uckermark brennt Cornelia Bohn ihren eigenen Whisky – als erste Frau weltweit mit eigener Destillerie. Die ehemalige DDR-Bürgerin...

DWN
Politik
Politik Bundestagswahl 2025: Kommt die Vermögenssteuer? Die neue Regierung braucht Geld
21.02.2025

Kommt nach der Wahl die Wiedereinführung der Vermögenssteuer? SPD und Grüne haben konkrete Pläne. Auch Linke und BSW streben eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen: Jeder vierte deutsche Haushalt verfügt über keinerlei Ersparnisse
21.02.2025

Einer Erhebung der Direktbank ING zufolge, verfügen 23,5 Prozent aller Deutschen über keinerlei Kapital, über das sie kurzfristig...

DWN
Panorama
Panorama Elon Musk: Trump-Berater schwenkt Kettensäge - Symbol für Bürokratieabbau
21.02.2025

Auf einer Tagung der US-Konservativen lässt sich der Tech-Milliardär Musk für seine radikalen Stellenstreichungen im Regierungsapparat...

DWN
Politik
Politik Bundestagswahl: Auslandsdeutsche können nicht rechtzeitig per Briefwahl abstimmen
21.02.2025

Mehrere Auslandsdeutsche berichten, zu spät oder bislang noch gar keine Wahlunterlagen erhalten zu haben. Nun drohen die Stimmen dieser...

DWN
Finanzen
Finanzen Palantir-Aktie nach Kursrutsch ein Kauf? Vom CIA-Projekt zum Börsenstar - eine Analyse
21.02.2025

Nach einer monatelangen Kursrallye ist die Palantir-Aktie in den vergangenen Tagen eingebrochen. Lohnt es sich, den Rücksetzer zum...

DWN
Politik
Politik Rente mit 63: Wer wirklich von der abschlagsfreien Rente profitiert
21.02.2025

Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist für Menschen gedacht, die beruflich sehr stark belastet sind. Doch aktuelle DIW-Zahlen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Wirtschaftskrise: Konjunkturflaute bedroht Mittelstand - vor allem Kleinstunternehmen
21.02.2025

Die Konjunkturflaute erfasst nach Einschätzung des Nürnberger IT-Dienstleisters Datev zunehmend den deutschen Mittelstand: „Die...