Der Gründer und Investor Mark Cuban hat 2004 einen bemerkenswerten Blogeintrag geschrieben. Darin beschreibt er, was sich an den Börsen wirklich abspielt.
Bei der Lektüre läuft einem der kalte Schauer über den Rücken.
Cuban hat zwei Firmen – MicroSolutions und Broadcast.com - gegründet und groß gemacht. Nachdem er MicroSolutions verkauft hatte, brachte er Broadcast.com an die Börse. Der Kurs stieg von einem Dollar am ersten Handelstag auf über 60 Dollar am Ende des Tages.
Cuban erklärt, wie das abgelaufen ist: Die Börse, so schreibt er, ist nichts anderes als ein gigantisches Schneeball-System. Der Wert von Aktien richtet sich nicht nach dem tatsächlichen Wert des Unternehmens, sondern ist eine Marketing-Nummer: Leute, die verkaufen wollen, suchen Leute, die kaufen wollen. Zu diesem Zweck erzählen die Verkäufer den Käufern die schönsten Märchen. Entscheidend ist, dass sich möglichst viele um eine Aktie reißen.
Begeisterung für eine Aktie entsteht nicht, weil das Unternehmen gut ist. Begeisterung entsteht, weil andere sagen, dass eine Aktie ein „heißer Tipp“ ist. Mit der Wirklichkeit hat das alles nichts zu tun. Es geht um Marketing.
Cuban berichtet von der Road-Show für Broadcast.com. Das ist die Phase vor einer Börseneinführung. Dabei stellen die Manager des Unternehmens die Firma potentiellen Investoren vor. Mit Hilfe von Investment-Banken üben die Gründer, was sie sagen dürfen und was nicht. Es gibt nur ein Ziel: Möglichst viele Investoren sollen zum Kauf gebracht werden.
Cuban sagt, er sei vor allem davon erschüttert, dass unter den hunderten Investoren nicht einmal eine Handvoll vernünftiger Fragen zu dem Unternehmen gestellt wurden. Schlimmer noch: Die Investoren wollten gar nicht wissen, worum es bei dem Unternehmen geht. Sie wollten kaufen, weil das Marketing sie eingelullt hatte.
Und sie kaufen - mit dem Geld anderer. Die meisten „Investoren“ verwalten das Geld von Leuten, die ihnen das Geld anvertraut haben. Pensionsfonds und Vermögensverwalter sammeln Gelder ein und versprechen Renditen. Das Geld kommt von ganz normalen Leuten. Meist wissen diese einfachen Leute gar nicht, dass es sich um ihr Geld handelt: Wer durch Einzahlungen einen Renten-Anspruch erwirbt, sieht sein Geld über Jahrzehnte nicht. Er vertraut darauf, dass ihm am Ende seines Berufslebens die Rente ausbezahlt wird.
Bis dahin soll sich das Geld vermehren. Es soll arbeiten.
Das ist am einfachsten, wenn es in ein System eingespeist wird, das den Eindruck erweckt, Geld vermehrt sich automatisch.
Dieses System nennt sich Börse.
Die wichtigste Kennzahl an der Börse sind die Quartalszahlen (die „Nummer“, wie das in Börsen-Kreisen heißt). Sie werden von den Unternehmen ermittelt und bekanntgegeben. Übertrifft ein Unternehmen die Erwartungen der Analysten und legt eine gute „Nummer“ vor, steigt der Kurs. Bleibt die „Nummer“ hinter den Erwartungen zurück, sinkt der Kurs.
Die Nummer hat mit der Realität des Unternehmens nichts zu tun.
In seinem brillanten Buch „The Number“ hat Alex Berenson dargelegt, dass die „Nummer“ von den meisten Unternehmen im großen Stil manipuliert wird. Vor einigen Tagen hat eine Studie ergeben, dass viele Manager in Europa ihre Bilanzen manipulieren (hier).
Im Fachjargon heißt die Nummer „Fundamental-Daten“. An sie klammern sich alle, die nicht verstehen worum es geht. Cuban sagt: Wann immer von den Fundamental-Daten die Rede ist, ist Vorsicht angebracht.
Der Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), Ben Bernanke, hat sich vergangene Woche kritisch über die Lage an den Börsen geäußert. Manchmal entsprächen die Kurse nicht mehr den Fundamental-Daten (hier).
Leider haben auch die Fundamental-Daten nichts mit der Realität zu tun. Sie haben dieselbe Funktion wie ein TV-Spot.
Sie sollen zum Kauf verführen.
Und sie werden manipuliert, was das Zeig hält.
Diese Manipulationen sind teuflisch, denn sie sind nicht per se illegal. Man kann eine Bilanz so oder so gestalten. Je größer das Unternehmen, desto leichter kann die „Nummer“ manipuliert werden. Berenson schreibt, dass den legalen Manipulationen keine Grenzen gesetzt sind.
Die Börsen eilen derzeit von Allzeit-Hoch zu Allzeit-Hoch. Dies ist mit Sicherheit auf die von Berenson beschriebenen Phänomene der „Bilanz-Gestaltung“ zurückzuführen.
Seit einigen Jahren hat sich die Entwicklung jedoch dramatisch beschleunigt. Der Grund: Man hat eine Möglichkeit gefunden, die Meldung der Unternehmens-Daten direkt in die Computersysteme einzuspeisen. Roboter reagieren darauf. Ein Roboter kann eine Manipulation nicht erkennen.
Der sogenannte Hochgeschwindigkeits-Handel (High Frequenzy Trading, HTF) hat die Börsen grundlegend verändert. Eine von Nanex veröffentlichte animierte Grafik (am Anfang des Textes) zeigt die atemberaubende Entwicklung.
Der Handel ist seit 2007 faktisch explodiert. In der Grafik sind die bunten Kurven jene der Roboter-Tätigkeit. Es lohnt sich die Grafik bis zum Ende zu betrachten: Es kommt zu einem wahren Feuerwerk der Handelstätigkeit.
Die Menschen spielen nur noch eine Rolle, indem sie die Zahlen ordentlich manipulieren. Den Rest übernimmt der Computer. Deshalb arbeiten bei den Banken heute auch schon mehr Computer-Programmierer als Schalterbeamte.
In den USA hat erst kürzlich die Firma Knight Capital in einer halben Stunde 440 Millionen Dollar wegen eines Computerfehlers verloren.
Das Geld gehört nicht irgendwelchen Zockern.
Es ist das Geld, das irgendwo auf der Welt Leute hart verdienen mussten.
Jetzt ist es weg.
Um das Problem in den Griff zu bekommen, möchte die EU eine Finanztransaktions-Steuer erheben. Damit soll jede Transaktion besteuert werden.
Vordergründig erhofft sich die Politik von dieser Maßnahme eine Eindämmung des hochriskanten HFT. Die Steuer kann jedoch keine Blasen verhindern, wie Marc Gongloff schreibt.
Tatsächlich möchte die Politik an den sagenhaften Gewinnen partizipieren, die durch den Hochgeschwindigkeits-Handel möglich sind.
Klamme Schulden-Staaten brauchen jeden Cent.
Auch wenn er durch Manipulationen entstanden ist.
Cuban berichtet, dass die meisten Geschäfte an der Börse nicht durch besonderes Fachwissen, sondern durch Insider-Handel gemacht werden. Irgendwo werden Details durchgestochen. Die am besten vernetzt sind, profitieren am meisten. Die Vernetzung lassen sich die Kasino-Besucher einiges kosten. Das Wall Street Journal hat neulich enthüllt, wie im Libor-Skandal mit Geld, Sex und Drogen bestochen wird (hier).
Libor ist überall.
Bestechung ist überall.
Manipulation ist überall.
Die Bestechung zum Zwecke des Insider-Handels gehört zum Einmaleins der Börsen. Auch die Wirtschaftsprüfer spielen mit: Kürzlich flog ein Prüfer von KPMG auf, weil er von einem Händler für Insider-Wissen mit Bargeld und Rolex-Uhren bestochen wurde (hier).
Berenson bringt in seinem Buch eine interessante Analogie zu den Börsen in den 1920er Jahren: Die Börsen waren damals eine reine Zocker-Partie. Die Händler nannten sich selbst Spekulanten. Reporter der New York Times und des Wall Street Journal erhielten satte Bestechungsgelder, wenn sie positiv über eine Aktie berichteten.
Das Ende ist bekannt: Der Börsencrash in den 1920er Jahren war die Folge eines durch und durch unmoralischen, korrupten und verbrecherischen Treibens, an dem alle beteiligt waren: Banken, Händler, Manager, Wirtschaftsprüfer, Medien.
Durch den Hochgeschwindigkeits-Handel erleben wir heute dasselbe Phänomen. Allerdings ist durch die Fähigkeit der Computer, die Gewinne faktisch exponentiell zu steigern, die Fallhöhe unvergleichlich größer als damals.
Hinzu kommt, dass auch alle anderen Märkte manipuliert sind: Der Bond-Markt, der Gold-Markt, von den Derivaten gar nicht zu reden.
Daher haben die „Investoren“ gar keine Alternativen mehr: Sie werden ins Verderben gejagt, weil sie nur an den Börsen schnelle und hohe Renditen erwirtschaften können.
Die Zentralbanken gießen Öl ins Feuer, indem sie billiges Geld ohne Ende ausschütten. Das Geld wandert in die Börsen. Die Kurs-Manipulationen werden ins Unermessliche gesteigert.
Glücklich ist, wer für eine kurze Zeit Gewinne einstreifen kann.
Das Ende wird jedoch verheerend sein. Marc Faber hat in einem Interview mit The Globe and Mail gesagt, dass er erwartet, dass es zu einem noch nie dagewesenen Crash kommen wird.
Das ist nicht überraschend.
Der Crash ist nur logisch.
Denn so, wie das Marketing positiv wirkt – alle Lemminge kaufen – so beschleunigt das Marketing auch als negative Botschaft die Katastrophe – alle Lemminge wollen verkaufen.
Ein einziges Ereignis genügt, damit das Schneeball-System in sich zusammenbricht.
Im kleinen Stil hatte man das beim privaten Schneeball-System von Bernie Madoff gesehen.
Doch im Vergleich zu dem, was sich wegen der durch die Roboter beschleunigten, globalen Manipulations-Maschine aufbaut, war Madoff ein Samariter.
Die Börsen-Reporter der ARD jubeln, wie alle anderen „Berichterstatter“, jeden Abend kurz vor acht über die neuen „Höhenflüge“. Diese Börsen-Sendungen sind das Groteskeste, was der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk zu bieten hat. Sie halten die Fiktion aufrecht, dass es hier um etwas Reales geht.
Jeder denkende Mensch sollte dagegen bei jedem weiteren Anstieg zittern. Die Tatsache, dass die Kurse, völlig abgekoppelt von der Wirklichkeit, so gigantisch steigen, ist nicht der Beweis dafür, dass die Krise zu Ende geht.
Die Höhenflüge der Börsen sind der sicherste Beweis, dass der Crash näher rückt. Mit jedem Höchststand wird sichergestellt, dass am Ende noch mehr Geld vernichtet wird.
Der Verlust wird reales Geld sein.
Von den Rentnern.
Den Sparern.
Den Anlegern.
Den Staaten.
Man sollte Mark Cuban genau zuhören. Cuban ist kein Verschwörungs-Theoretiker, kein Esoteriker und kein Kommunist.
Er weiß, was das System im Innersten zusammenhält.
Der System-Crash wird gewaltig sein.
Keiner kann sagen, dass er nichts gewusst habe.
Wie in einem klassischen Rechtssystem gilt auch bei der Börse: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.
Beim globalen Schneeball-System Börse gibt es nur ein Gesetz, wie Cuban berichtet: Er habe den Goldman Sachs Banker Raleigh Ralls gefragt, was der Kern der Börse sei, an welche Regel man sich halten müsse. Die Antwort aus dem Hause Goldman: „Get long, get loud!“ (Wette auf etwas und schreie es laut hinaus!)
Wenn die großen Meister des Hypes am Ende vom Panik-Geschrei der Anleger übertönt werden, ist Zahltag.
Für alle.
Dann wird es heißen: „Get short, get out!“ (Verkaufen!!)
So etwas nennt man Panik.
Die neuen „Nummer“ wird für viele einfach zu merken sein.
Es wird eine „Null“ sein.