Deutschland

100.000 Stimmen verschwunden: Ging es in Hamburg mit rechten Dingen zu?

Hamburgs Wahlleiter gerät unter Druck. 100.000 Briefwähler-Stimmen schienen am Sonntag verschwunden zu sein. Nach öffentlicher Kritik tauchten 70.000 Briefe auf wundersame Weise wieder auf. Doch das Problem ist immer noch nicht gelöst: Einige Wahlbezirke sind bis heute nicht ausgezählt.
24.09.2013 22:21
Lesezeit: 2 min

Zu viele ungültige Stimmen, mehr Wähler als Wahlberechtigte, falsche Auszählungen: Die Liste der Ungereimtheiten bezüglich der Bundestagswahl wird immer länger. Vor allem in Hamburg scheinen sich die fragwürdigen Ereignisse zu mehren. Über 100.000 Briefwähler-Stimmen waren verschwunden, nun sind sie auf Nachfrage wieder aufgetaucht.

Wie die Zahlen des Statistikamts Nord in Hamburg am Montag zeigten, gab es in Hamburg in diesem Jahr 301.884 Bürger, die eine Briefwahl beantragt hatten. Aber „der niedrige Rücklauf an abgegebenen Stimmen hat uns stutzig gemacht“, sagte die Pressesprecherin der CDU Bürgerschaftsfraktion Hamburg, Julia Wagner. Nur 198.739 Wahlscheine für die Briefwahl wurden dem Statistikamt Nord zufolge nämlich abgegeben. Demnach fehlten 103.000 Briefwähler, die nicht in das offizielle Wahlergebnis eingeflossen sind.

„Uns war aufgefallen, dass diese Zahl besonders hoch ist“. Normaler Weise spricht man bei der Briefwahl von einer Ausfallquote von höchsten 5-10 Prozent. Das wären jedoch maximal 30.000 Briefwähler gewesen. „Wir haben dann den Landeswahlleiter angeschrieben und gefragt, wie die Zahlen zustande kamen“, sagte Wagner den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

Die Antwort des Landeswahlleiters verwunderte, sagte Wagner. In einer ersten E-Mail von 18:04 Uhr ist die Rede von „rationalen Erklärungen“. Eine mögliche Ursache sei, dass bei den tatsächlich zurückgesandten knapp 200.000 Briefstimmen fehlen die Wahlscheine derjenigen, die mit Wahlschein in einem Wahllokal direkt gewählt haben bzw. in einem anderem Wahllokal als dem eigenen.

Dass jedoch etwa 100.000 sich plötzlich entscheiden, doch direkt zur Wahlurne zu gehen, ist höchst unwahrscheinlich. Das bestätigte auch der Bundeswahlleiter den Deutschen Wirtschafts Nachrichten (hier).

Wenig später (um 19:30 Uhr) hatte der Landeswahlleiter dann eine ganz andere Erklärung. Plötzlich hatte diese Zahl also nichts mit dem direkten Gang zur Urne zu tun, sondern es handelte sich um einen Fehler. Ein „Rechenfehler bei der Addierung der Briefwähler aus den Wahlbezirken“.  Nun gab es am Sonntag tatsächlich dem Landeswahlleiter zufolge Briefwähler im „klassischen Sinne“ in der Größenordnung von rund 270.000. Man hat sich also um 70.000 verrechnet. Weitere 10.000 seien zudem an Briefwähler ausgegeben worden, die in anderen Wahllokalen als den eigenen abgestimmt haben. Der Rest sei „mit dem üblichen Schwund von 5-10 Prozent“ zu erklären.

Julia Wagner und die Bürgerschaftsfraktion bleiben gegenüber der Antwort des Wahlleiters skeptisch. Es sei merkwürdig, dass im Abstand von etwa eineinhalb Stunden plötzlich zwei so gegensätzliche Erklärungen vom Landeswahlleiter gemacht worden seien. Zudem bemängelt sie, dass die Wahlleitung diesen Fehler nicht wirklich öffentlich machte. „Alles geschah still und leise“, so Wagner. Die Zahlen seien einfach korrigiert worden.

Doch dies ist Wagner zufolge nicht alles, was bei den Wahlen zu mehr Fragen als Antworten führte. „Bei der Landespressekonferenz am Montag zeigte sich dann, dass noch immer nicht alle Wahlbezirke ausgezählt seien.“ Bis Montag fehlten beispielsweise noch neun Wahlbezirke und es gab keine Angaben darüber, wie viele Wählerstimmen dies ausmacht. „Auch heute sind noch nicht alle ausgezählt“, sagt Wagner.  Und dennoch habe der Wahlleiter schon am Sonntag das vorläufige Ergebnis abgegeben.

Außerdem mussten 100 Wahllokale wegen Unregelmäßigkeiten noch einmal nachgezählt werden. „Und wir haben viele Wortmeldungen von Bürgern bekommen. Bürger, die beispielsweise keine Wahlunterlagen erhalten haben oder eben erst gestern bzw. heute.“ Es gebe dieses Jahr „extreme Missstände“, so Wagner. „Wir gehen davon aus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist.“

Ärgerlich sei dies, weil die Unterschiede zwischen CDU  und SPD sehr gering waren. „Das macht schon was aus.“ Nicht nur in Bezug auf die Bundestagswahl, sondern auch hinsichtlich des Volksentscheids zum Rückkauf des Hamburger Energienetzes durch den Senat (mehr hier). „Es geht uns darum, Transparenz zu schaffen und auf den Missstand hinzuweisen.“ Es stelle sich mittlerweile die Frage,  ob Hamburg überhaupt in der Lage ist, ordnungsgemäße Wahlen durchzuführen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Gericht bestätigt: Sächsische AfD darf als rechtsextrem bezeichnet werden
21.01.2025

Der sächsische Landesverband der AfD hatte 2023 gegen die Einschätzung des Verfassungsschutzes Beschwerde eingelegt, die Partei als...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis und Ölpreis: Trumps zweite Amtszeit könnte turbulent für den Rohstoffmarkt werden
21.01.2025

Donald Trump ist zum zweiten Mal US-Präsident – turbulente Zeiten scheinen sicher. Unmittelbare Auswirkungen kommen auf den...

DWN
Panorama
Panorama Macht Elon Musk hier den Hitlergruß? Wirbel um Video im Netz
21.01.2025

Bei einer Parade zu Trumps Amtseinführung reckt Elon Musk den ausgestreckten Arm zum Publikum. Viele wollen darin einen Hitlergruß...

DWN
Politik
Politik Trump erlässt Austritt aus Weltgesundheitsorganisation: "Die WHO hat uns abgezockt"
21.01.2025

Donald Trump verfügt in einem Präsidentenerlass, die Weltgesundheitsorganisation zu verlassen. Die WHO habe schlecht auf die...

DWN
Politik
Politik Trump-Regierung: TV-Moderator, Milliardär, Radikale - wer sind die mächtigsten Köpfe in Trumps Team?
21.01.2025

Die Auswahl der Kandidaten für zentrale Regierungspositionen folgte bei der Trump-Amtseinführung besonderen Kriterien: Medienwirksamkeit,...

DWN
Finanzen
Finanzen Upstart-Aktie: Prognose 2025 - wie die KI des Fintechs den Stellenabbau in Banken beschleunigt
21.01.2025

Bei der Vielzahl neuer AI-Startups und Hi-Tech-Schmieden, die ihre IT-Kompetenz um Künstliche Intelligenz ergänzen und sich dadurch neu...

DWN
Politik
Politik Panamakanal, Migration und Trans-Personen: Trump kündigt Knallhart-Maßnahmen bei Antrittsrede an
20.01.2025

Donald Trump führt als 47. US-Präsident nun offiziell die Geschicke der Vereinigten Staaten. Bei seiner Antrittsrede wiederholte er seine...

DWN
Politik
Politik Trump-Amtseinführung: Erste Maßnahmen nach der Vereidigung - und die Auswirkungen
20.01.2025

Die zweite Amtszeit von Donald Trump beginnt mit weitreichenden Maßnahmen. In den ersten Stunden nach Trumps Amtseinführung sind bereits...