Im Auftrag der liberalen Denkfabrik Open Europe befragte das Meinungsforschungsinstitut YouGov Ende August 1.010 Menschen in Deutschland nach ihrer Meinung zur Europapolitik. Grund für die Befragung, so ein Sprecher von Open Europe, sei die Bundestagswahl und ihre Auswirkungen auf die Europa-Politik.
Die Denkfabrik stellt fest, dass die Mehrheit der Deutschen allen Modellen zur weiteren europäischen Integration sehr skeptisch gegenübersteht. Zudem setzte sich der Trend des Vertrauensverlustes in die Politik weiter fort. Dies geht aus den Ergebnissen der Befragung hervor.
Damit vertritt die Mehrheit der Deutschen in dieser zentralen Frage eine fundamental andere Position als alle im Bundestag vertretenen politischen Parteien.
Das dürfte ein Novum in der Geschichte seit der Wiedervereinigung sein.
Interessant ist, dass der Dissens praktisch in allen wichtigen Sachfragen der Europa-Politik fundamental ist.
Die deutschen Wähler sind in der Mehrheit nur für den Erhalt des Euro (55 Prozent), wenn schwache Staaten aus dem Euro fliegen - die Mitgliedschaft also auf Staaten mit ähnlicher Wirtschaft beschränkt bleibt. Nur ein Drittel (32 Prozent) der Befragten ist der Meinung, dass eine Rückkehr zur D-Mark erstrebenswert sei.
Die Eurozone vollständig auflösen möchte nur eine Minderheit von 30 Prozent. 59 Prozent der Befragten wollen die Währungsunion weiter behalten.
Die deutschen Wähler sind mehrheitlich gegen jede Form der finanziellen Unterstützung von anderen Mitgliedsstaaten. Die Hälfte der Befragten (52 Prozent) ist gegen eine Vergabe weiterer Kredite an Krisenstaaten. Weit über die Hälfte der Befragten lehnt Banken-Rettungsschirme (56), Euro-Bonds (64) oder gar Fiskalunion (70 Prozent) ab.
57 Prozent sind entschieden gegen einen Schuldenschnitt auf Kosten der Steuerzahler. Zwei Drittel der Befragten fordern eine Volksabstimmung über alle weiteren Transferzahlungen, die unter der neuen Regierung anfallen.
Die Geldpolitik der EZB sehen die meisten Deutschen ebenfalls kritisch. 42 Prozent von ihnen halten das Ankauf-Programm für Staatsanleihen (OMT) für eine illegale Form der Staatsfinanzierung. Diese Frage ist derzeit Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (mehr hier). Eine Entscheidung zum Prozess fällt voraussichtlich Ende September.
Keine endgültige Meinung haben die Deutschen in der Frage, wie man den Euro retten könnte. Knapp die Hälfte (46 Prozent) ist der Ansicht, dass der Euro nicht zu jedem Preis gerettet werden sollte, während 42 Prozent die Gemeinschaftswährung unbedingt erhalten wollen.
Allerdings ist eine Mehrheit von 45 Prozent der Meinung, dass das europäische Projekt auch ohne Euro funktionieren kann. Nur 42 Prozent teilen Angela Merkels Meinung in dieser Frage (Keine endgültige Meinung haben die Deutschen in der Frage, wie man den Euro retten könnte. Knapp die Hälfte (46 Prozent) ist der Ansicht, dass der Euro nicht zu jedem Preis gerettet werden sollte, während 42 Prozent die Gemeinschaftswährung unbedingt erhalten wollen.
Doch die Mehrheit glaubt, dass Europa auch ohne Euro funktionieren könne (45 Prozent). Nur 42 Prozent folgen der offiziellen Doktrin der Bundesregierung („Scheitert der Euro, scheitert Merkel Europa“).
Die unterschiedliche Auffassung der deutschen Politiker und ihrer Wähler zur Europa-Politik wird bei der letzten Frage offensichtlich. Auf die Frage, welche Partei ihre Ansichten zur Europa-Politik am besten wiederspiegelt, bekam die CDU/CSU 29 Prozent der Stimmen. Nur magere 18 Prozent entfielen auf die SPD. Und die dritt-häufigste Antwort lautete „Weiß nicht“ (15 Prozent), dicht gefolgt von „keine“ (11 Prozent).
„Ein Mehr Europa scheinen die deutschen Bürger nur zu befürworten, wenn es um die Haushaltskontrolle anderer Mitgliedsstaaten geht“, sagt Nina Schick, politische Analystin von Open Europe. „Die Deutschen bleiben bei allen anderen Initiativen der Eurozone, die derzeit diskutiert werden – Schuldenschnitt und Bankenunion inbegriffen – mehrheitlich dagegen. Die Frage ist, ob der nächste deutsche Kanzler eine weitere europäische Integration dennoch vorantreibt und damit das Risiko eingeht, die Gegensätze zwischen Politikern und Wählern weiter zu vergrößern“, so Schick.
Erst neulich hat eine Studie ergeben, dass die Deutschen sich in der Frage der Europa-Politik nicht mehr von ihrer Regierung vertreten fühlt. Die Politik erkenne nicht die Brisanz des Themas, sagte eine Forscherin von der Universität Hohenheim (mehr zu den sehr interessanten Ergebnissen - hier).
Wir werden im neuen Magazin der Deutschen Wirtschafts Nachrichten eine Umfrage veröffentlichen, die wir bei 300 Bundestagsabgeordneten durchgeführt haben. Deren Ergebnis zeigt: In fast allen wichtigen Fragen denken die Politiker parteiübergreifend fundamental anders als die Bürger (bitte hier bestellen, solange der Vorrat reicht!)
Nennt man das eigentlich Demokratie?