Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im Koalitionsvertrag kommt die Schuldenkrise in Europa nicht vor. Haben all jene, die – wie Sie oder wir bei den DWN – seit Jahr und Tag davor warnen, etwas übersehen?
Daniel Stelter: Nicht nur im Koalitionsvertrag spielt das Thema keine Rolle. Schon im Wahlkampf ist es den großen Parteien gelungen, das Thema auszuklammern. Statt über die erheblichen Risiken der derzeitigen Politik und über Alternativen zu diskutieren, haben wir uns mit dem „Veggie-Day“ der Grünen und anderen Themen beschäftigt. Da sind wir Wähler aber auch selber schuld. Die Politiker wollten nicht darüber sprechen und die meisten wollten nichts mehr davon hören. Der Großteil der Deutschen mag denken, dass es schon irgendwie gut gehen wird und wenn dann ohnehin nur „die Reichen“ trifft.
Dass wir in Wahrheit den Wohlstand des ganzen Landes aufs Spiel setzen wird nicht erkannt. Die große Koalition konnte deshalb auch ernsthaft nichts in den Vertrag schreiben. Denn dann hätte man von sich aus unangenehme Wahrheiten präsentieren müssen. Stattdessen wird man sich von kommenden Turbulenzen – und die werden kommen – überrascht zeigen und dann „notgedrungen akzeptieren“, dass es doch etwas teurer für Deutschland wird. Das Versprechen von Draghi, „alles Notwendige zu tun“, um den Euro zu retten, hat die Finanzmärkte beruhigt und der Politik Zeit gekauft. Diese wird aber nicht genutzt. Stattdessen hofft die Politik auf ein Wunder. Das wird aber nicht kommen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist Deutschland eine Insel der Seligen, wie die Regierungs-PR uns gerne einreden möchte?
Daniel Stelter: Auf den ersten Blick ja! Die Wirtschaftsleistung liegt über dem Niveau von 2008, was in den anderen Ländern Europas nicht der Fall ist. Wir erzielen Rekordüberschüsse im Außenhandel, die Arbeitslosigkeit ist so tief wie seit 25 Jahren nicht mehr, der Staat insgesamt hat ein Haushaltsüberschuss, sogar im neuesten Pisa-Test haben wir uns etwas verbessert. Bei diesen Fakten muss die PR-Abteilung gar nicht viel machen. Das ist aber genau das Problem für jene, die auf die Risiken aufmerksam machen wollen. Und diese sind erheblich.
Lassen Sie mich nur einige Aspekte herausgreifen. Die Schulden von Staaten und Privaten in der Eurozone wachsen immer noch um rund 100 Millionen Euro pro Stunde während die Wirtschaft stagniert. Die Gesamtschuldenstände sind schon jetzt jenseits eines ordentlich zu bedienenden Niveaus. Irland (406% vom BIP), Portugal (381%) und Spanien (300%) werden aus eigener Kraft niemals in der Lage sein, diese Schulden zurück zu zahlen. Griechenland (286%), Italien (262%) und Frankreich(252%) haben vor allem ein Staatsschuldenproblem, welches sie theoretisch über höhere Besteuerung im Inland lösen könnten. Hauptkreditgeber sind wir Deutschen. Wir freuen uns über unsere Exporterfolge doch in Wahrheit verkaufen wir unsere Autos auf Kredit. Und unsere Schuldner sind von immer schlechterer Qualität.
Nach Schätzung des DIW haben wir allein seit 2008 rund 600 Milliarden Euro Auslandsvermögen verloren. Das spüren wir nicht direkt. Aber im Kern ist es ein Wohlstandsverlust für uns alle. Vereinfacht gesagt hätten wir für das Geld auch schöne Urlaube in Italien und Spanien verbringen können. Und das geht weiter so. Es stimmt zwar, dass einige Länder, vor allem Spanien, ihr Außenhandelsdefizit deutlich gesenkt haben – sie brauchen also weniger Kredit aus dem Ausland. Von wirklicher Wettbewerbsfähigkeit sind sie aber noch weit entfernt. Wir Deutschen machen also genauso weiter wie vor der Krise. Wir freuen uns über unsere Exporte – dabei könnten wir unsere Autos genauso gut verschenken.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was müsste eine verantwortungsbewusste Regierung konkret tun?
Daniel Stelter: Wir müssten einen Kassensturz machen: Welche Schulden werden nicht mehr ordentlich bezahlt werden? Was muss getan werden, um den Kreislauf aus Sparpolitik und Schuldenständen zu durchbrechen? Wie bei einer Unternehmensinsolvenz müssen sich Gläubiger und Schuldner zusammen setzen und besprechen, wie man das Unternehmen und die Arbeitsplätze retten kann und dann macht jeder Abstriche: die Mitarbeiter verzichten auf Lohn, das Management wird ausgetauscht und die Gläubiger verzichten auf Forderungen.
Auf die Eurozone übertragen bedeutet dies: wir kommen um Schuldenschnitte nicht herum und sollten im Gegenzug fundamentale Reformen verlangen. Diese sind umso leichter durchzusetzen, je besser eine Wirtschaft läuft. Darum müssen wir auch die kurzfristig angelegte und pro-zyklische Sparpolitik beenden. Die Schulden sind so hoch, da kann man sich nicht mehr „heraussparen“. Ich weiß, dass dieser Punkt bei Ihren Lesern bitter aufstößt. Aber es nutzt nichts, den Sünder zu betrafen, wenn der Schaden für uns dann noch größer wird.
Damit wäre es aber nicht getan. Die Regierung muss dringend die anderen Themen anpacken, die unseren Wohlstand gefährden. Die Versprechen für Renten und Gesundheitsversorgung sind nicht zu erfüllen. Nach Schätzungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich wird die deutsche Staatsverschuldung auf bis zu 400% des BIP steigen, wenn die derzeitigen Versprechen nicht einkassiert werden. Und das war eine Berechnung vor Mütter- und Lebensleistungsrente.
Wir werden alle länger arbeiten müssen, das Rentenniveau wird sinken, wir brauchen dringend qualifizierte Zuwanderung und bessere Schulen. Nur dann können wir hoffen, unseren Wohlstand zu erhalten. Leider sieht es nicht danach aus, dass die kommende Regierung diese Themen in der richtigen Weise anpackt. Im Gegenteil.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In allen Euro-Staaten sind die Schulden in den vergangenen Jahren deutlich stärker gewachsen als die Wirtschaft. Wozu führt dies?
Daniel Stelter: Schulden können nicht ewig schneller wachsen als das Einkommen. Auch wenn versucht wird, die Zinsen nahe Null zu halten, ist es endlich. Wenn man sich als Unternehmen oder Privatperson finanziell übernimmt, kann man Ausgaben einschränken und härter arbeiten um die Verschuldung in den Griff zu bekommen. Auch bei Staaten ist das theoretisch möglich.
Voraussetzung ist aber, dass es gelingt einen Außenhandelsüberschuss zu erzielen. Nur dann können die Schulden sinken. Schweden hat das bei seiner Bankenkrise in den 1990er Jahren vorgemacht: Die Banken wurden verstaatlicht und saniert, die Krone massiv abgewertet und der Exportboom half, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Leider haben wir es nicht mit einem einzelnen Land zu tun, welches sich so sanieren möchte, sondern mit einem großen Teil der Eurozone aber auch England, die USA und Japan.
Der Euro erschwert die Anpassung zusätzlich, weil nicht wie früher eine rasche Abwertung von Lira, Pesete und Franc stattfinden kann. Es geht dann nur über echte Lohnkürzungen und hohe Arbeitslosigkeit, welches den sozialen Zusammenhang gefährdet. Schauen Sie nach Frankreich, wo nicht nur Exoten einen Sieg von Marie Le Pen bei den nächsten Präsidentenwahlen für denkbar halten.
Da Heraussparen nicht geht, bleiben nur die Optionen Inflation und Schuldenschnitt. Für Inflation haben sich die Ökonomen den Begriff der „finanziellen Repression“ einfallen lassen. Letztlich geht es darum, den Zinssatz deutlich unter das nominale Wachstum der Volkswirtschaft zu drücken um damit über Zeit die Schuldenquoten sinken zu lassen. Diese Strategie haben die USA erfolgreich nach dem zweiten Weltkrieg verfolgt. In Deutschland findet sie zur Zeit statt, was zur Reduktion der Staatsschulden beiträgt.
Die Krisenländer sind jedoch von finanzieller Repression weit entfernt, weil die Zinssätze immer noch über der Wachstumsrate der Wirtschaft liegen. Nichts mehr als deutliche Inflation wünschen sich diese Länder. Doch ist es schwer in einer überschuldeten Welt, Inflation zu erzeugen. Denn diese setzt mehr Kredite und mehr Nachfrage voraus. Letztlich werden wir Inflation nur dann bekommen, wenn die Öffentlichkeit das Vertrauen in Geld verliert. Doch dann reden wir nicht mehr von 4%.
Damit bleibt – so fürchte ich – nur die Option von Schuldenschnitten. Diese können einseitig erfolgen, in dem der Schuldner einfach die Zahlung einstellt oder in einem geordneten Prozess, in dem Gläubiger und Schuldner einen Schuldenerlass vereinbaren. Aus meiner Sicht ist das der beste Weg, da die Gläubiger auf diese Weise etwas im Gegenzug bekommen- z. B. Reformen - und Höhe und Verteilung des Schadens definiert werden kann. Auf diese Weise ließe sich die derzeitige Spirale unterbrechen. Dass dieser Vorschlag bei den Gläubigern nicht auf Gegenliebe stößt, ist mir bewusst. Ich bin aber davon überzeugt, dass es so oder so zu Schuldenschnitten kommen wird. Dann doch besser organisiert als chaotisch.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Zentralbanken manipulieren sich weltweit durch die Schuldenkrise – haben die einen Plan, den wir nicht kennen?
Daniel Stelter: Wenn, dann kenne ich ihn auch nicht. Im Ernst: Die Zentralbanken haben einen guten Anteil daran, dass es überhaupt zur Krise gekommen ist. In den USA waren die Zinsen über Jahre hinweg zu tief und in Europa hätte die EZB das Entstehen der Kreditblasen in der Peripherie verhindern müssen. Als die Krise ausbrach haben Politik und Zentralbanken erst einmal klassisch reagiert. Eine Krise, ausgelöst durch zu viele Schulden, wurde durch noch mehr Schulden und noch mehr und billigeres Geld bekämpft.
Das war sicherlich richtig, hätte es doch sonst einen ungeordneten Systemzusammenbruch gegeben.
Im Jahr 5 der Krise läuft der Gelddruck-Prozess jedoch unvermindert weiter. Alle wesentlichen Notenbanken – außer der EZB, der zur Zeit auch wegen des noch ausstehenden BVG-Urteils die Hände gebunden sind – verfolgen eine extrem aggressive Geldpolitik. Wichtiges Ziel ist dabei durch die Schwächung der eigenen Währung die Exporte anzukurbeln. Das erinnert fatal an die 1930er Jahre wo ebenfalls versucht wurde, die eigene Lage durch Abwertung zu verbessern. Ansonsten haben die Notenbanken nur Zeit gekauft. Das eigentliche Problem der Überschuldung können sie auch nicht lösen.
Das kann nur die Politik. Zwar gibt es immer noch die Hoffnung auf Inflation, doch die scheint sich auf die Finanzmärkte zu beschränken.Machbar wäre es nur, wenn die Staaten sich großzügig Konjunkturprogramme von den Notenbanken finanzieren ließen. Solche Forderungen werden auch immer lauter. Eine andere Idee ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag, dass die Notenbanken die bereits gekauften Staatsschulden einfach annullieren, also auf Zins und Tilgung verzichten.
Je länger die Krise andauert, desto wahrscheinlicher sind derartige Maßnahmen. Vergessen wir nicht, dass Irland es letztes Jahr vorgemacht hat. Die irische Notenbank war der einzige Käufer einer Milliardenanleihe – im Volumen von immerhin rund 20% des irischen BIP! – die 40 Jahre läuft und die ersten Jahre tilgungsfrei ist. Die Zinszahlungen des Staates werden umgehend als Gewinnausschüttung an den Staat zurückgezahlt. Da ist Weimar nicht mehr weit.
Aber zusammengefasst: nein, die Notenbanken halten den Laden zusammen und kaufen uns Zeit. Die Frage, welche Gläubiger wie viel verlieren werden, können sie nicht beantworten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Alle anderen Anlageformen sind ebenfalls manipuliert, entweder durch Blasen, oder kriminelle Energie. Wie kann der Sparer, der nicht ins Kasino will, sein Vermögen retten?
Daniel Stelter: Die Geldpolitik hat zweifelsohne zu einem Boom an den Finanzmärkten geführt. Die Zinsen sind tief, die Anleihenpreise entsprechend hoch. Die Aktienmärkte haben sich nicht nur erholt, sondern sind in den USA und Deutschland sogar auf Rekordniveau. Mit der fundamentalen Entwicklung der Wirtschaft lässt sich dies nicht erklären. Immobilienpreise befinden sich zumindest in Deutschland ebenfalls im Höhenflug.
Auf der anderen Seite muss man sich immer bewusst machen: Wir haben zu viele Schulden und diese Schulden müssen irgendwie reduziert werden. Diesen Schulden stehen entsprechende Vermögen gegenüber. Wer also Schulden reduzieren will, reduziert auch Vermögen. Dies geschieht entweder verdeckt durch finanzielle Repression/Inflation oder offen über Pleiten und Schuldenrestrukturierung. Es ist deshalb naheliegend, kein Gläubiger von schlechten Schuldnern zu sein.
Wir alle sind das jedoch, wenn schon nicht direkt, so doch indirekt über Lebensversicherungen. Als deutsche Bürger stehen wir für die Garantien für andere Länder und die Target Forderungen der Bundesbank gerade. Für den Teil des Vermögens den man selber verwaltet bietet sich eine Mischung aus Sachwerten an, wozu neben Immobilien und Gold durchaus auch Aktien gehören.
Dabei geht es nicht so sehr darum, das Vermögen zu mehren sondern darum, Vermögen dauerhaft zu erhalten. Aus meiner Sicht wäre das schon ein großer Erfolg. Niemand wird ungeschoren aus dieser Situation heraus kommen. Wie schon nach Hyperinflation und Währungsreform wird der Staat über Steuern und Abgaben – Stichwort Lastenausgleich – auch jene an den Kosten beteiligen, die klug genug waren, ihr Geld nicht direkt zu verlieren.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie kann man die Schulden realistischer Weise abbauen?
Daniel Stelter: Wie gesagt: jeder Schuldenabbau ist immer auch ein Vermögensabbau. Aus meiner Sicht sollten wir es geordnet machen und Schaden minimierend. Eine Möglichkeit wäre ein Schuldentilgungsfonds in den der Schuldenüberhang von Staaten und Privatsektor eingebracht und über einen längeren Zeitraum von beispielsweise 20 Jahren abgetragen wird.
Selbst wenn wir Deutschen für einen Teil der Schulden der anderen Länder aufkommen müssten, entspräche die Belastung nur rund 1% unseres Vermögens pro Jahr. Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch ich finde es ungerecht, dass jene die solide gewirtschaftet und gespart haben für die Sünden der anderen mitbezahlen müssen. Aber der Schaden der nicht bedienbaren Schulden ist schon eingetreten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was geschieht, wenn die Schulden nicht abgebaut werden – und die Politik hofft, dass der Spuk irgendwie vorübergeht?
Daniel Stelter: Dann wird es zu Pleiten und einseitigen Zahlungsausfällen kommen. Oder zur unbegrenzten Finanzierung durch die Notenbanken. Auf jeden Fall wird der Schaden noch größer als er schon ist.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie plädieren für einen massiven Schuldenschnitt in Europa, für private und öffentliche Haushalte. Wer wird das bezahlen?
Daniel Stelter: Die Gläubiger. Der Vorteil eines organisierten Schuldenschnittes ist, dass auch festgelegt werden kann, wer die Rechnung bezahlt. Nehmen wir Italien als Beispiel: Die privaten Haushalte sind sehr vermögend – vermögender als die Deutschen übrigens – und der italienische Staat könnte sein Problem leicht lösen. Griechenland, Spanien, Irland und Portugal hingegen sind so hoch verschuldet, dass eine Beteiligung der ausländischen Gläubiger unerlässlich ist. Wenn wir in Deutschland unser eigenes Staatsschuldenproblem lösen und zugleich mit den genannten vier Ländern solidarisch sind, ist die Belastung der Steuerzahler machbar. Das entspräche – wieder auf 20 Jahre gerechnet – ungefähr 1,2% vom BIP pro Jahr. Außerdem brauchen wir dann noch eine Antwort auf die bereits angesprochenen ungedeckten Versprechen des Staates für Renten und Gesundheit.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Schulden können nur durch höhere Steuern der Reichen und weniger Sozialleistungen für die Masse abgebaut werden. Haben wir dann eine Revolution in Deutschland?
Daniel Stelter: Populär ist es sicherlich nicht. Generell denke ich, dass wir Deutschen viel eher gewillt sind, uns den Problemen zu stellen als die Bevölkerung in einigen anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich. Ich denke sogar, wenn die Politik die Wahrheit sagt und ein faires Konzept vorlegt, dass die Bevölkerung einen solchen Weg mitgehen würde. Das macht das Spiel auf Zeit so schädlich.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der IWF schlägt eine Zwangsabgabe von 10% vor, die BCG hat in „Back to Mesopotamia“ 11% für die Deutschen ermittelt, um das Haushalts-Defizit auf 80% zu reduzieren. Kommt diese Abgabe?
Daniel Stelter: Der IWF betont, es sei nur ein Diskussionsbeitrag und in meiner damaligen Publikation – ich bin ja nicht mehr bei BCG – ging es ebenfalls nicht um eine Empfehlung, sondern um ein Aufzeigen der enormen Probleme vor denen wir stehen. Ich bezweifle, dass die Politik heute ernsthaft einen Schuldentilgungsfonds und Zwangsabgaben plant oder gar andenkt. Ich glaube, es wird weiter auf Zeit gespielt und bei der nächsten Krisenwelle reagiert werden. Damit kommen wir zu einer schleichenden Realisierung eines immer größeren Schadens. Der Preis, den wir alle für das Vermeiden von unangenehmen Nachrichten heute, in Zukunft zahlen müssen, wächst mit jedem Tag.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Über die Banken-Krise gibt es kein Wort im Koalitionsvertrag. Sie haben in Ihrem neuen Buch die gigantischen Schulden der Banken ermittelt. Müssen wir mit Banken-Crashs rechnen?
Daniel Stelter: Nein. Ich glaube nicht an Bankenzusammenbrüche. Weder Staaten noch die Notenbanken werden einen Zusammenbruch einer größeren Bank zulassen. Es wird immer Geld zur Verfügung gestellt werden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der EU wird immer noch gestritten, ob die Steuerzahler oder die Gläubiger (à la Zypern) die Banken retten sollen. Wen wird es treffen?
Daniel Stelter: Zypern war ein Versuch. Es sollte vor allem Gläubiger treffen, die keine EU Bürger sind und die Politik wollte den eigenen Bürgern demonstrieren, wie hart sie die Interessen des eigenen Landes schützt. Ich finde den Weg jedoch nicht gerecht. Zu einen waren die Filialen der Banken in London offen, so dass die dortigen Kunden in erheblichem Maße Geld abheben konnten. Zudem wurden nur Bankguthaben herangezogen, nicht die sonstigen Kapitalanlagen die der Kunde bei der Bank gehalten hat. Man könnte sagen, es war eine Dummensteuer. Wenn die Politik in diese Richtung gehen will, wird niemand mehr 100.000 Euro auf dem Konto halten. Dann bleibt gar nichts anderes übrig, als auch andere Vermögenswerte heranzuziehen. Vergessen wir nicht: Der Schuldenüberhang muss aus der Welt. Ohne Verluste für die Gläubiger – wie auch immer diese organisiert werden – wird es nicht gehen.
Dr. Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Think Tanks „Beyond the Obvious“. In dem äußerst lesenswerten Blog analysiert Stelter den täglichen Schulden-Wahnsinn.
Zuvor war Stelter von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner und Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Von 2003 bis 2011 verantwortete er weltweit das Geschäft der BCG Praxisgruppe Corporate Development (Strategie und Corporate Finance).
Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen bei der Vorbereitung auf die Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das mit dem „getAbstract International Book Award 2010“ ausgezeichnete Buch „Accelerating out of the Great Recession“ (in Deutschland: „Vor der Krise ist nach dem Aufschwung“). Im April 2013 erschien sein aktuelles Buch „Die Billionen Schuldenbombe“ über die Schuldenkrise. Stelter ist ein international gefragter Redner und Autor.